Patienten, die mehrere verschiedene Medikamente einnehmen, sollen in einem Krankenkassenprojekt besser vor Wechselwirkungen geschützt werden. Das Vorhaben von Barmer und AOK Nordost mit mehreren beteiligten Kliniken in Berlin und Brandenburg funktioniert so: Mit Zustimmung der Patienten können Kliniken bestimmte Krankenkassendaten abrufen, eine Software weist dann auf mögliche Risiken durch verschiedene bereits verordnete Arzneimittel hin. Potenziell gefährliche Informationslücken zur medizinischen Vorgeschichte sollen so geschlossen werden.
Das Projekt TOP ermöglicht den behandelnden Ärztinnen und Ärzten, ohne Zeitverzug alles Wichtige zur medizinischen Vorgeschichte aus Routinedaten der Krankenkasse zu erfahren. Die Abkürzung TOP steht für „Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit“.
Am Klinikum Frankfurt (Oder) gehe TOP nun in die entscheidende Phase, sagte die Barmer-Landesgeschäftsführerin Barmer Berlin/Brandenburg, Gabriela Leyh, am Mittwoch. Rund 750 Versicherte beider Kassen, die regelmäßig fünf und mehr Wirkstoffe einnehmen, hätten dort ihre Teilnahme erklärt, hieß es.
Die Anzahl der verordneten Wirkstoffe nimmt mit dem Alter zu. Ein durchschnittlicher Patient ab 40 Jahren habe innerhalb von zehn Jahren 21 Arztpraxen aufgesucht, 37 Diagnosen, 76 Rezepte, 20 verschiedene Wirkstoffe sowie 113 Arzneimittelpackungen erhalten, schilderte Leyh. Dies sei kaum überschaubar, es brauche digitale Lösungen. Schlimmstenfalls seien Komplikationen bei der Therapie bis hin zum Tod möglich.
Das Projekt hat unter anderem mit Testläufen im Oktober 2020 begonnen und läuft bis Ende September 2024. Insgesamt nehmen gut ein Dutzend Kliniken aus sechs Bundesländern teil. In Brandenburg gehören dazu auch noch das Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam, die Havelland Kliniken in Nauen und das Carl-Thiem-Klinikum in Cottbus. In Berlin sind es das Auguste-Viktoria-Klinikum und das Humboldt-Klinikum von Vivantes. Man wünsche sich, dass ein solches Vorgehen zum Standard werde, um die Versorgung zu optimieren, sagte Leyh. Deutschland hinke bei dem Thema im internationalen Vergleich hinterher.
Während in den Apotheken im vergangenen Jahr die pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) starteten, hatte die Barmer im Rahmen des Innovationsfonds ein eigenes Modell zum Medikationsmanagement aufgelegt: „Adam“. „Adam“ steht für „Anwendung für ein digital unterstütztes Arzneimitteltherapie-Management“ und ist ein gemeinsames Projekt von Barmer und Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). 18 Millionen Patient:innen mit hohem Medikamentenbedarf sollen sicherer behandelt werden und so vor unerwünschten und schlimmstenfalls tödlichen Wechselwirkungen geschützt werden.
„Arzneimitteltherapie ist hochkomplex. 1860 Wirkstoffe in 450.000 Kombinationen kann keine Ärztin oder Arzt ohne elektronische Hilfe überblicken“, so Barmer-Vorstandschef Professor Dr. Christoph Straub. Mit Adam habe man erstmals zeigen können, dass Informationen, die den Krankenkassen vorliegen, Informationslücken bei den behandelnden Ärzten schließen. „Das ermöglicht ihnen eine bessere Behandlung ihrer Patienten.“
Patient:innen, die fünf Arzneimittel und mehr einnehmen, können sich für Adam einschreiben. Dann wird die jeweilige Hausarztpraxis digital mit vollständigen Routinedaten der Krankenkasse zu Vorerkrankungen und Arzneimitteln versorgt. Die behandelnden Ärzt:innen werden auf Risiken durch potenziell gefährliche Wechselwirkungen hingewiesen.
Durch Adam könne die durch Neben- und Wechselwirkungen bedingte Sterblichkeit von Polypharmazie-Patienten um 10 bis 20 Prozent gesenkt werden, so die Barmer. Bei flächendeckender Anwendung könnten jährlich 65.000 bis 70.000 Todesfälle bundesweit vermieden werden. Weitere Details sollen morgen vorgestellt werden.
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