Botanicals: BAH warnt vor Wildwuchs Patrick Hollstein, 03.06.2016 12:10 Uhr
Pelargonium als Nahrungsergänzungsmittel – in Deutschland undenkbar. Doch in Ländern wie Italien und Großbritannien werden viele pflanzliche Präparate als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet. Wenigstens die gesundheitsbezogenen Aussagen sollten reguliert werden, doch die EU-Kommission schiebt die Prüfung laut Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) auf die lange Bank.
Seit 2006 gilt die EU-Verordnung zu Health Claims, mehr als 200 gesundheitsbezogene Aussagen wurden von der Lebensmittelbehörde EFSA bereits zugelassen. Angaben zu pflanzlichen Inhaltsstoffen wurden bislang jedoch ausgespart. Rund 2000 Claims werden daher derzeit von den Herstellern verwendet, ohne dass deren Stichhaltigkeit bewiesen wäre. Laut BAH wäre der größte Teil der Behauptungen wohl nicht zu halten.
Die EU-Kommission hatte den Prozess im September 2010 überraschend gestoppt und unlängst sogar grundsätzlich infrage gestellt. Offenbar geht es darum, die Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln zu schützen. „Das geht zu Lasten der Verbraucher und ruiniert den Markt für pflanzliche Arzneimittel“, kritisiert BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser.
Laut Weiser werden Phytohersteller existenzgefährdend im Wettbewerb benachteiligt. Sie müssten seit Jahren den Preis für die Entlastung der Hersteller von Botanicals bezahlen. Der BAH fordert die EU-Kommission auf, den klaren gesetzlichen Auftrag des EU-Parlaments endlich umzusetzen und einen weiteren Missbrauch irreführender Werbeaussagen zu verhindern.
Laut BAH ist jede sechste OTC-Packung ein pflanzliches Arzneimittel; auf 1,4 Milliarden Euro summierten sich die Umsätze zuletzt. Botanicals, die sich wie ein Arzneimittel präsentierten, schadeten dem Image der pflanzlichen Arzneimittel und schwächten deren wirtschaftliche Bedeutung.
Auch die Bundesregierung teilt diese Ansicht. Gesundheitsbezogene Angaben müssten auch für alle Lebensmittel wissenschaftlich fundiert sein, hieß es im Frühjahr 2014 als Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen. Auch bei pflanzlichen Inhaltsstoffen, bei denen es einen „traditionellen“ Gebrauch geben könne, müsse die Zulässigkeit der Claims wissenschaftlich bewertet werden.
In Deutschland können Wettbewerbsvereine und Wettbewerber gegen irreführende Aussagen vorgehen und für entsprechende Produkte sogar eine Zulassung als Traditionsarzneimittel fordern. In Ländern wie Italien oder Großbritannien werden pflanzliche Präparate aber seit jeher als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Bionorica, Dr. Willmar Schwabe sowie der Zulassungsdienstleister Diapharm hatten die EU-Kommission sogar schon wegen Untätigkeit verklagt, vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) aber eine Schlappe kassiert.
1550 Angaben zu pflanzlichen Stoffen liegen der EFSA vor, weitere 500 sind bereits bewertet und warten auf die Entscheidung der Kommission. Bis 2008 hatten die Mitgliedstaaten rund 44.000 Formulierungen zur Prüfung eingereicht, die nach einzelnen Stoffgruppen und Zusammenhängen zu einer konsolidierten Liste von rund 4600 Angaben zusammengefasst wurden. Rund 1600 Einträge der konsolidierten Liste wurden nicht zugelassen.
Die Verordnung soll in der EU einheitliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln oder der Werbung für Lebensmittel schaffen.
Verbraucher sollen durch die Gemeinschaftsliste eindeutige Informationen zu Lebensmitteln – auch Nahrungsergänzungsmitteln und diätetische Lebensmittel – erhalten. Außerdem soll ein fairer Wettbewerb gewährleistet werden. In Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) für die Liste zuständig.