„Apotheken profitieren von OTC-Switch“ Patrick Hollstein, 28.04.2015 11:55 Uhr
Seit einem Jahr steht Jörg Wieczorek an der Spitze des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH). Der Geschäftsführer des mittelständischen Herstellers Hermes Arzneimittel ist bekannt dafür, dass er sagt, was er denkt, und in Diskussionen kein Blatt vor den Mund nimmt. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC erklärt er, warum OTC-Hersteller manchmal mehr Einsatz von den Apotheken erwarten und warum die Pharmazeuten sich von den Krankenkassen nicht an der Nase herum führen lassen sollten.
ADHOC: Wie zufrieden sind Sie als OTC-Hersteller mit den Apotheken?
WIECZOREK: Im Großen und Ganzen sind wir sehr zufrieden mit den Apotheken und ihrer täglichen Arbeit für die Patienten vor Ort. Mein Eindruck ist jedoch, dass der Bereich der Selbstmedikation in vielen Apotheken heute etwas stiefmütterlicher behandelt wird als noch vor fünf oder zehn Jahren.
ADHOC: Inwiefern?
WIECZOREK: Zu einer guten Beratung gehört eine gute Präsentation, sowohl in der Sicht- als auch in der Freiwahl. Hierzu gehören auch Aufsteller und Kosmetik in der Apotheke, aber ein paar Schütten weniger dürften es manchmal schon sein...
ADHOC: Daran sind die Hersteller mitunter nicht ganz unschuldig.
WIECZOREK: Es ist Aufgabe des Apothekers, nicht nur Werbekostenzuschüsse, sondern auch qualitative und quantitative Aspekte im Blick zu haben.
ADHOC: Was macht eine gute Sichtwahl aus?
WIECZOREK: Die Indikation sollte klar erkennbar sein. Und innerhalb der Indikation sollten OTC-Produkte immer marktgerecht platziert werden. Ein Stück weit profitieren auch die Apotheken, wenn sie große Mediainvestments belohnen.
ADHOC: Warum das denn?
WIECZOREK: Weil Apotheken von bekannten Marken profitieren und weil es ohne Werbung keine Marken gäbe. Dann hätten wir nur Billigprodukte und Eigenmarken. Marken muss man pflegen wie seine Kinder, das gilt für Hersteller genauso wie für Apotheker.
ADHOC: Trotzdem muss man als Apotheker nicht jede Marke mögen und unterstützen.
WIECZOREK: Das ist richtig. Gerade für den Mittelstand, der keine riesigen Werbebudgets hat, ist ein guter Draht in die Apotheke existenziell.
ADHOC: Wie bewerten Sie die Übernahmen, die derzeit auf globaler Ebene stattfinden?
WIECZOREK: Übernahmen hat es schon immer gegeben und wird es auch weiterhin geben. Viele Zusammenschlüsse machen Sinn. Aber es wird immer auch Mittelständler geben, die alleine bleiben wollen. Größe ist nicht alles, auch in unserem Markt nicht.
ADHOC: Wie sieht es mit der Markenvielfalt aus?
WIECZOREK: Das steht in der Tat auf einem anderen Blatt. Wir haben gesättigte Märkte und leben in einem Verdrängungswettbewerb. Große Marken werden seit Jahren stärker, kleine Marken schwächer. Das ist eine Herausforderung, denn es wird immer schwieriger, neue Marken einzuführen. Dachmarken sind zwar eine Antwort, aber sie werden diese Entwicklung sogar weiter beschleunigen.
ADHOC: Was ist der Ausweg?
WIECZOREK: Eines der großen Themen für die Industrie sind neue OTC-Switches. Ich glaube, dass es in den nächsten fünf bis zehn Jahren diesbezüglich gravierende Veränderungen in unserer Branche geben wird – von der die Apotheken profitieren werden.
ADHOC: Inwiefern?
WIECZOREK: Der Kostendruck im Gesundheitswesen wächst, Ärzte werden weniger Zeit haben, um sich mit kleineren Erkrankungen zu beschäftigen. Daher sind OTC-Switches eine Chance für die Apotheken, sich mit einer aktiven Beratung und Empfehlung auch zu neuen, komplexeren Produkten zu profilieren. Aus meiner Sicht sind solche Medikamente in der Hand der Apotheker wunderbar aufgehoben.
ADHOC: OTC-Switches bedeuten aber auch das Ende der Erstattung.
WIECZOREK: Deshalb fordern wir ja auch, dass die Kassen solche Produkte zumindest bis zum Alter von 18 Jahren übernehmen. Das kostet nach unseren Berechnungen mit 12 Millionen Euro einen Bruchteil der gesamten Arzneimittelausgaben, entlastet aber gerade Patienten mit chronischen Erkrankungen. Neurodermitis beispielsweise hört doch nicht auf, weil man zwölf Jahre alt wird.
ADHOC: Aber auch nicht, wenn man 18 wird.
WIECZOREK: Wir wollen keine komplette Erstattung, das wäre unrealistisch.
ADHOC: Welche Produkte kommen für OTC-Switches infrage?
WIECZOREK: Medikamente gegen Harnwegsinfektionen oder Pilzerkrankungen wären Beispiele. Auch die „Pille danach“ passt in diese Entwicklung. Man muss nur aufpassen, dass man nicht allzu viele Beschränkungen einführt. Was es nicht geben darf, sind OTC-Arzneimittel 1. und 2. Klasse. Aus demselben Grund sehe ich übrigens Forderungen nach einem zusätzlichen Honorar kritisch. Beratung gehört immer zur Selbstmedikation. Wenn man hier differenziert, riskieren die Apotheker Teile ihres Geschäfts zu verlieren.
ADHOC: Fürchten Sie keine Abwanderung heutiger OTC-Produkte in den Mass Market?
WIECZOREK: Nein. Wenn man erklärungsbedürftige Produkte aus der Verschreibungspflicht in die Selbstmedikation entlässt, stärkt das aus meiner Sicht die Apothekenpflicht. Wenn der OTC-Bereich ein Qualitätsmerkmal der Apotheke ist, kann man sehr gut rechtfertigen, warum er grundsätzlich in die Apotheke gehört.
ADHOC: Welchen Stand haben die Apotheken bei der Politik?
WIECZOREK: In persönlichen Gesprächen mit Politikern erfahre ich immer eine ausgesprochen hohe Wertschätzung der Apotheker. Meiner Ansicht nach könnten die Apotheker als Lotse im Gesundheitswesen eine noch bedeutendere Rolle übernehmen. Wenn es ihnen gelingt, diesen Anspruch weiterhin mit Qualität zu füllen, müssen sie sich keine Sorgen um ihre Zukunft machen.
ADHOC: Wenn man hört, was die Kassen manchmal von sich geben, könnte man eher verzweifeln.
WIECZOREK: Auch wenn es schwer fällt: Man sollte auf so manche Einlassung seitens der Kassen gar nicht eingehen. Je mehr man darüber redet, desto mehr Bedeutung gewinnen solche Nebenkriegsschauplätze.
ADHOC: Nebenkriegsschauplätze?
WIECZOREK: Nehmen wir die Forderung nach Apothekenketten: Niemand möchte in der aktuellen Situation eine Liberalisierung, die Äußerungen der Politik sind da eindeutig. Das ist auch verständlich, denn aus meiner Sicht kann man mit großen Strukturen weder Kosten einsparen noch die Versorgung verbessern. Wenn wir selbst keine Fehler machen, haben wir gute Chance, mit diesem System weiter zu bestehen – das gilt für Apotheker, Großhändler und Hersteller gleichermaßen.
ADHOC: Was für Fehler könnten das sein?
WIECZOREK: Apotheken sollten aufpassen, dass sie sich gegenüber ihren Kunden als inhabergeführte Apotheken präsentieren. Niemand sollte versuchen, Drogeriemärkte zu kopieren, denn dann macht es am Ende für den Verbraucher keinen Unterschied mehr. Dann hätten es die Befürworter einer Liberalisierung deutlich einfacher.
ADHOC: Also auch in Zukunft die Einrichtung in Eiche massiv?
WIECZOREK: Apotheken dürfen schon modern daher kommen, aber sie sollten deutlich als Individualapotheke zu erkennen sein. Das trifft für 90 Prozent der Apotheken zu, aber einige Verbünde haben es aus meiner Sicht schon übertrieben. Es ist gefährlich, wenn man sich wie eine Kette darstellt. Und ich habe manchmal den Eindruck, dass Handzettel eine neue Sportart unter Apothekern sind. Brauchen wir das wirklich? Discount können Andere besser: Drogerien oder Tankstellen. Die Trivialisierung von Arzneimitteln ist aus meiner Sicht ein Brandbeschleuniger.
ADHOC: Auch die Hersteller präsentieren ihre Produkte gelegentlich „konsumig“.
WIECZOREK: Ich habe schon vor einem Jahr eingeräumt, dass wir es bei On-Pack-Promotions und auch bei Dummy-Aufstellern gelegentlich übertrieben haben. Aber wir haben auch erkannt, dass solche Kampagnen nicht sonderlich erfolgreich sind. Man muss die Bedürfnisse des Kunden ansprechen. Arzneimittel sollten jedenfalls nicht Gegenstand von Basar und Lockpreisen werden.
ADHOC: Glauben Sie, dass sich das Image der Pharmaindustrie verbessern wird?
WIECZOREK: Wir arbeiten daran. Wir als BAH waren in der Vergangenheit zwar erfolgreicher als Andere, sind aber sicher zu still gewesen. Vor diesem Hintergrund ist auch der Umzug unserer entsprechenden Abteilungen nach Berlin zu verstehen: Wir müssen den Wert und die Bedeutung unserer Branche besser erläutern – und dürfen uns nicht dafür schämen, dass wir auch Geld verdienen wollen.
ADHOC: Wie stehen die Chancen, dass die Hersteller bald wieder mehr Geld verdienen können?
WIECZOREK: Wir warten das Ergebnis des Pharmadialogs ab. Ich gehe aber davon aus, dass es 2018 positive Veränderungen für die Industrie und für die Apotheken geben wird.
Jörg Wieczorek ist seit 1. Juli 2014 Vorstandsvorsitzender des BAH. 1963 geboren, fing der gelernte Einzelhandelskaufmann 1985 bei Beiersdorf an. Von 1989 bis Ende 1994 arbeitete er für Bayer, danach bis 1999 bei Boehringer Ingelheim. Schließlich war er bei Novartis für das deutsche OTC-Geschäft verantwortlich. Seit Anfang 2008 leitet er als Geschäftsführer bei Hermes das gesamte OTC-Geschäft.