Die Diskussion um Nullretaxationen hat es in Baden-Württemberg bis in den Landtag geschafft – wurde dann aber abrupt beendet. Unterstützung hatten die Apotheker von der FDP/DVP-Fraktion erhalten. Fünf Politiker um den FDP-Abgeordneten Jochen Haußmann hatten die Landesregierung aufgefordert, sich zu positionieren. Das hat das Sozialministerium nun getan – und auf die Rahmenverträge zwischen Apothekern und Kassen sowie die geringen Fallzahlen verwiesen.
Auf ein deutliches Signal gegen Nullretaxationen haben die Apotheker vergeblich gehofft: In ihrer Stellungnahme zu dem Antrag der FDP zieht Gesundheitsministerin Katrin Altpeter (SPD) das Fazit, dass man „derzeit keine Notwendigkeit für ein politisches Tätigwerden“ sehe. Schließlich werde derzeit nach Mitteilung der AOK der Arzneiliefervertrag mit dem Landesapothekerverband (LAV) neu verhandelt. Im Rahmen dessen solle „auch die Problematik der Retaxation thematisiert und einer expliziten Lösung zugeführt werden“.
Insgesamt sieht Altpeter Nullretaxationen nicht als Problem. Da weder AOK und der Verband der Ersatzkassen (vdek) noch die Landesapothekerkammer* Informationen zur genauen Zahl von Retaxationen und Nullretaxationen vorlegen konnten, bezieht sie sich in ihrer Stellungnahme auf Daten des BKK-Landesverbands. „Lediglich 817 Verordnungen, deren Bezahlung komplett abgelehnt wurde, bezogen sich auf Verstöße gegen die bevorzugte Abgabe von Rabattarzneimitteln“, heißt es in der Stellungnahme. Insgesamt seien für diese Verordnungen 36.702,99 Euro retaxiert worden.
Aus Sicht der Gesundheitsministerin lässt sich durch Nullretaxationen „derzeit keine Gefährdung der Arzneimittelversorgung insbesondere für den ländlichen Raum erkennen“. Altpeter erkennt zwar an, dass ein Apotheker „in eine Zwangssituation geraten kann“, wenn die Arzneimittelversorgung dringend, der verordnende Arzt aber nicht erreichbar sei. Solchen Situationen solle durch möglichst klare vertragliche Vereinbarungen begegnet werden.
Nach Angaben des BKK-Landesverbands handele es sich bei einem Großteil der Retaxationen um Fehler bei der Berechnung der nach der Arzneimittelpreisverordnung beziehungsweise der Hilfstaxe festgelegten Preise oder um Fehler bei der Zuzahlungsberechnung. In diesen Fällen sei die Abrechnung jeweils auf den korrekten Preis korrigiert worden.
Der Umgang mit Formfehlern richte sich nach dem Ergänzungsvertrag zwischen der IKK classic, dem BKK Landesverband, der Knappschaft und dem LAV. Demnach würden Verordnungen mit Fehlern, die in der Arztpraxis korrigiert werden könnten, oder Rezepte mit Formfehlern bei der Abrechnung abgewiesen. Die Apotheke habe dann die Möglichkeit, die Fehler zu heilen und die Abrechnung neu einzureichen.
Anders bei Fehlern wie fehlender Unterschrift des Arztes, nicht abgezeichneten Veränderungen auf dem Rezept oder einem Abgabedatum vor dem Verordnungsdatum: Dabei „handelt es sich häufig um gravierende Fehler, welche der Apotheke bei der Abgabe auf jeden Fall hätten auffallen müssen“, so Altpeter. Trotzdem werde die Heilung zugelassen. Nullretaxationen ohne spätere Heilungsmöglichkeit seien laut BKK-Landesverband „eher Ausnahmen“ und bezögen sich hauptsächlich auf nicht erstattungsfähige Präparate. Die AOK habe mitgeteilt, „grundsätzlich keine Nullretaxationen bei geringfügigen Formfehlern“ vorzunehmen.
Der Gesundheitsministerin zufolge ist die Geltendmachung von Retaxationen durch die Kassen wesentlich von den Arzneilieferverträgen abhängig. Daher kommt sie zu dem Schluss: „Nicht zuletzt mit Blick auf die Selbstverwaltungsgarantie obliegt es den Krankenkassen oder ihren Verbänden und Apothekerverbänden, partnerschaftlich vertragliche Regelungen zu verhandeln und bestehende Probleme unter Wahrung der beiderseitigen Verantwortung für die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu lösen.
Altpeter betont: „Sofern die Patienten das richtige Arzneimittel erhalten haben, erscheint es nur im Ausnahmefall, nämlich bei schwerwiegenden Verstößen der Apothekerin oder des Apothekers gegen die Abgabe- und Abrechnungsvorschriften von Arzneimitteln, sachgerecht, neben dem Entgelt für die pharmazeutische Dienstleistung auch die Erstattung der Beschaffungskosten für das verordnete Arzneimittel vorzuenthalten.“
Kammerpräsident Dr. Günther Hanke ist zwar froh, dass sich die Politik mit dem Thema Nullretaxationen auseinandergesetzt hat. „Zufrieden können wir mit den Antworten aber nicht sein.“ Die Häufigkeit der Nullretaxationen erfasse das Problem nur unvollständig, kritisiert Hanke. „Skandalös sind vor allem die drastischen Einzelfälle, durch die Apotheken in wirtschaftliche Schieflage geraten können.“ Dieser Punkt werde überhaupt nicht erwähnt.
Hanke weiter: „Auch die Folgen der Retaxationspraxis der Krankenkassen auf die Arzneimittelversorgung schätzt das Sozialministerium meines Erachtens falsch ein.“ Er sieht gleich in mehrfacher Hinsicht eine Gefährdung der Versorgung, etwa durch die direkten finanziellen Auswirkungen, den zusätzlichen bürokratischen Aufwand und die damit zusammenhängenden Kosten.
Dies alles trage zur schlechten wirtschaftlichen Lage und dadurch zur abnehmenden Apothekenzahl bei. „Gerade im ländlichen Raum hat jede Apothekenschließung Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung“, so Hanke.
Hinzu komme, dass Apotheker fehlerhaft ausgestellte Rezepte nicht einlösen dürften und wollten. „Wenn Patienten nun auch noch wegen marginaler Formfehler auf Rezepten nicht unmittelbar versorgt werden können, nimmt die Versorgungsqualität dementsprechend ab“, so Hanke. Patienten müssten deshalb häufiger weite Wege zurück zum Arzt in Kauf nehmen. Ein großes Problem sei das vor allem an oder vor einem Wochenende. „Eine zeitnahe Versorgung ist dann besonders im ländlichen Raum kaum mehr möglich.“
* Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Beitrags hatte es geheißen, der Landesapothekerverband habe keine Zahlen mitgeteilt. Tatsächlich wurde nicht der Verband, sondern die Landesapothekerkammer gefragt.
APOTHEKE ADHOC Debatte