AvP: Vertrag gebrochen, Rechte erloschen Alexander Müller, 15.10.2020 10:17 Uhr
Eine der Kernfragen im Insolvenzverfahren zu AvP betrifft die sogenannten Aussonderungsrechte der Apotheker. Für die Betroffenen liegt der Fall klar: Da jeder Rezeptumsatz eindeutig zugeordnet werden kann, müssten diese Beträge der Insolvenzmasse entnommen und direkt ausgezahlt werden. Doch so einfach ist es in der Praxis nicht: Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Bernhard Bellinger kommt nach einer intensiven Prüfung in seiner Kanzlei sogar zu dem gegenteiligen Schluss: dass das Aussonderungsrecht gesperrt ist. Paradoxerweise liegt das daran, dass AvP die eigenen Verträge gebrochen hat.
Für das Aussonderungsrecht spielt es Bellinger zufolge eine große Rolle, ob Treuhandabsprachen von AvP eingehalten wurden oder nicht. Zunächst gilt: Hat der Apotheker seine Forderungen gegenüber den Kassen wirksam an das Rechenzentrum abgetreten, gibt es generell kein Aussonderungsrecht. „Nur der Inhaber einer Forderung hat ein Aussonderungsrecht, das ist eine zwingende Bedingung“, so Bellinger.
Doch selbst bei nicht abgetretenen Forderungen inklusive einer Treuhandabsprache zwischen Rechenzentrum und Apotheke gibt es Bellinger zufolge kein Recht auf Aussonderung, wenn AvP die Treuhandabsprache verletzt hat. Und genau das ist nach Bellingers Recherchen systemimmanent bei AvP gewesen.
Er weist in diesem Zusammenhang auf die Timings und den Zahlungsfluss bei AvP hin. Zu dem Zeitpunkt, als das Rechenzentrum 80 Prozent des Rezeptumsatzes des Vormonats überweist, ist das Geld der Kassen regelmäßig noch nicht auf dem Konto. Konkret: AvP überweist üblicherweise etwa am 7. September den Abschlag auf Juli-Basis, obwohl nur – wenn überhaupt – 50 Prozent der Krankenkassenzahlungen für den August vorhanden sind und der Rest erst am 15. reinkommt. „Diese Unterdeckung ist folgerichtig systemimmanent“, schlussfolgert der Rechtsanwalt. Tatsächlich habe AvP sogar in den schon viel zitierten AGB die Ermächtigung festgehalten, dass Banken Zugriffe auf die Abwicklungsgelder der Krankenkassen haben – offenkundig zur Zwischenfinanzierung.
Mit Blick auf die Aussonderungsrechte zitiert Bellinger zwei Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH). Solche Ansprüche scheiden laut einer Entscheidung aus 2011 aus, wenn der Treuhänder das Treuhandkonto auch für eigene Zwecke nutzt und so eigenes Geld mit dem Geld des Kunden vermischt wird. Für ein Aussonderungsrecht sei nach einer BGH-Entscheidung aus 2019 zudem Bedingung, dass der Zahlungseingang für die Apotheke ungeschmälert auf dem Konto von AvP bis zur Auszahlung liege. Sei zwischendurch nicht genug für die Auszahlung dieses Betrages auf dem Konto, sei der Aussonderungsanspruch darauf für immer weg.
Bellinger geht davon aus, dass die Konten bei AvP zwischendurch im Soll geführt wurden, bis wieder Geld von den Krankenkassen einging. In diesem Fall hätte sich AvP nicht an die Treuhandabsprachen gehalten. „Wir müssen davon ausgehen, dass AvP die Treuhandabsprachen verletzt hat, wenn am 4. oder 7. September eine Auszahlung ohne entsprechendes Guthaben stattfand“, so Bellinger. Damit greifen aus seiner Sicht die zitierten BGH-Urteile und ein Aussonderungsrecht ist gesperrt.
Ob der Apotheker als Treugeber davon weiß, dass AvP die Treuhandabsprache verletzt, ist laut Bellinger unerheblich. Er verweist wieder auf den BGH, der in einem anderen Fall 2011 entschied: „Respektiert der Treuhänder die treuhänderische Bindung des Kontos nicht, kann dies auch von seinen Gläubigern nicht verlangt werden.“ Daraus folgt laut Bellinger, „dass das Konto insgesamt nicht mehr dem Vermögen der Treugeberin (Apotheker) zugerechnet werden kann. Es dürften somit bei der oben geschilderten Konstellation keine Aussonderungsrechte bestehen.“ Vorsorglich prüft seine Kanzlei zusätzlich gerade, ob sich etwas anderes ergeben könnte, wenn Apotheker 2019 eine Zusatzvereinbarung mit bedingter Abtretung mit AvP getroffen haben. Es gelte auch dafür wahrscheinlich dasselbe.