Jamaika-Sondierungen

Auf Messers Schneide

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Berlin -

Wie bei einem Schwergewichtsboxkampf haben sich CDU, CSU, FDP und Grüne in den letzten beiden Wochen abgetastet. Nun geht es an die Substanz. In den nächsten Tagen wollen die Unterhändler ausloten, ob die Gemeinsamkeiten für eine Jamaika-Koalition ausreichen. Die Unterhändler richten sich auf schwierige und zähe Verhandlungen ein. In zwei Wochen soll Klarheit herrschen.

Mit einem Treffen der Chefverhandler im kleinen Kreis starteten Sonntag die Sondierungen. Die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU), das Grünen-Spitzenduo Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir sowie FDP-Chef Christian Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki wollten dabei eine Basis für die heiße Phase der Beratungen schaffen. Angestrebt werden bis Mitte November konkretere Ergebnisse zu zentralen Themen, damit die vier Parteien über die Aufnahme formeller Koalitionsverhandlungen entscheiden können.

Zumindest der vorläufige Fahrplan für die nächsten Tage steht – Änderungen vorbehalten. Verschiebungen von Themenblöcken sind nicht ausgeschlossen. Danach soll am Donnerstag das Thema Gesundheit aufgerufen werden – gemeinsam mit Block 3 (Klima, Energie, Umwelt) und Block 7 (Familien, Frauen, Senioren, Jugend). Im Komplex Gesundheit wird auch über Arbeit, Rente und Pflege verhandelt. Angesetzt sind die Gespräch von 9 bis 14 Uhr. Nicht auszuschließen ist allerdings, dass die Tagesordnung nochmals neu sortiert wird. Denn bei den Themen Klima, Energie und Umwelt liegen die Positionen von Union, FDP und Grünen am weitesten auseinander. Dies könnte die Verhandlungen der anderen Themen nicht nur zeitlich zu sehr belasten.

Für die CSU sitzen neben Seehofer, Alexander Dobrindt, Joachim Hermann, Thomas Kreuzer, Andreas Scheuer und Barbara Stamm am Tisch. Die CDU schickt Merkel, Peter Altmaier, Volker Bouffier, Volker Kauder, Peter Tauber und Hermann Gröhe ins Rennen. Die FDP setzt auf Lindner, Kubicki, Nicola Beer, Marco Buschmann, Alexander Graf Lambsdorff, Katja Süding, Michael Theurer und Volker Wissing. Die für Gesundheit zuständige Parteivize Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist nicht im Verhandlungsteam. Die Grünen werden durch Göring-Eckhardt, Özdemir, Katja Dörner, Britta Haßelmann, Toni Hofreiter, Markus Kurth und Michael Kellner vertreten.

Eines der Themen, über die jetzt im Rahmen der Sondierungen noch gesprochen werden soll, ist die „flächendeckende Apothekenversorgung und die Frage des Versandhandels“. Ob es dabei bereits zu konkreten Vereinbarungen kommt, ist offen. Dies könnte auch erst in den späteren Koalitionsverhandlungen erfolgen.

Überdies müssen sich die Unterhändler von Union, FDP und Grünen weiteren Gesundheitsthemen annehmen. Dazu gehören Krankenhausfinanzierung, Medizinstudium, die Unabhängigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MdK) und die Stärkung der Patientenrechte. Auch die Finanzierung des Gesundheitswesens steht auf der Agenda – von der dualen Struktur aus GKV und PKV über die Beteiligung der Arbeitgeber und den Steuerzuschuss für ALG-II-Empfänger bis hin zu Verteilungsfragen wie dem Morbi-RSA.

Einig waren sich die angehenden Koalitionäre bereits in der ersten Runde, die Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege spürbar zu verbessern. Deshalb wird über die Frage der Vergütung und die volle Refinanzierung von Tarifsteigerungen im Rahmen der Krankenhausvergütung diskutiert. Geprüft werden auch die Möglichkeiten eines Sofortprogrammes zur Verbesserung der Personalausstattung. Um die Pflegekräfte zu entlasten, soll die Dokumentation entbürokratisiert werden. Hierbei sollen insbesondere die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden. Die Versorgung mit Medizinalhanf wollen die Koalitionäre sicherstellen. Strittig ist vor allem die Frage der generellen legalen kontrollierten Abgabe von Cannabis.

Bis vergangenen Freitag waren in einer ersten Sondierungsphase zwölf Themenkomplexe grob auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersucht worden. Dabei wurde klar, dass einige brisante Themen nur separat auf Chef-Ebene zu klären sind. Dazu gehören die Flüchtlingspolitik, der Klimaschutz und die Verkehrspolitik mit Weichenstellungen zur Zukunft von Autos mit Verbrennungsmotor.

Beim Ausstieg aus der Kohleverstromung zeichnen sich jetzt erste Kompromisse ab. Die Grünen bestehen niocht mehr auf einem Aus für Verbrennungsmotoren und für Braunkohlekraftwerke im Jahr 2030. Parteichef Cem Özdemir sagte: „Mir ist klar, dass wir alleine nicht das Enddatum 2030 für die Zulassung von fossilen Verbrennungsmotoren durchsetzen werden können.“ Statt des konkreten Datums für den Ausstieg verlangen die Grünen nur noch „ein klares Bekenntnis, dass wir alles dafür tun, um die Fahrzeuge der Zukunft – vernetzt, automatisiert und emissionsfrei – zu bekommen“.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warnte in der Bild-Zeitung, eine Neuwahl wäre eine Katastrophe, ein Signal der Handlungsunfähigkeit demokratisch gewählter Parteien und ein Nährboden für Extremisten. „Alle Parteien wissen, dass es jetzt darum geht, Jamaika hinzubekommen. Dazu müssen sich alle Parteien am Tisch am Riemen reißen.“ Günther rief seine Partei zu mehr Zugeständnissen etwa beim Familiennnachzug von Flüchtlingen auf: „Als Familienpartei kann die CDU in diesem Bereich Kompromisse machen.“

CSU-Vize Christian Schmidt machte allerdings in der Passauer Neuen Presse klar, dass seine Partei in dieser Frage nicht gesprächsbereit ist: „Am Nein der CSU zum Familiennachzug wird nicht gerüttelt.“ Der Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Anton Hofreiter, beharrte im selben Blatt auf den Familiennachzug, zeigte sich jedoch in anderen Fragen der Flüchtlingspolitik flexibel: „Beim Ziel, die Asylverfahren zu beschleunigen sowie abgelehnte und ausreisepflichtige Asylbewerber konsequent zurückzuführen, werden wir uns aber nicht querstellen.“

Auch Merkel mahnte die möglichen Jamaika-Partner davor, immer wieder eine vorgezogene Neuwahl für den Fall des Scheiterns ins Spiel zu bringen. Auch die CDU müsse ein Jamaika-Bündnis nicht um jeden Preis eingehen, sagte die Kanzlerin in einer Sitzung des CDU-Vorstands in Berlin. Es sei aber auch nicht klug, ständig öffentlich das Stichwort Neuwahl zu nennen. Schließlich hätten alle Partner auch die staatspolitische Verantwortung, eine stabile Regierung zustande zu bringen.

Die FDP goss derweil Öl ins Feuer und plädierte bereits dafür, die deutschen Klimaschutzbemühungen zu verlangsamen. „Wir haben da ja vorgeschlagen, [...] uns mehr Zeit zu lassen, um Klimaziele zu erreichen. 2050 ist ja auch das Datum, um das es da eigentlich geht“, sagte Fraktionsvize Katja Suding vor einer Sitzung des FDP-Präsidiums in Berlin. Das deutsche CO2-Sparziel für 2020 gilt nach aktuellem Stand als nur noch schwer erreichbar. Beer erklärte, die FDP wolle die international vereinbarten Klimaziele für die Jahre 2050 und 2030 einhalten.

Grünen-Parteichefin Simone Peter kündigte für die zweite Runde der Sondierungsgespräche „knallharte und beinharte Verhandlungen“ an. Auch der Grünen-Politiker Robert Habeck appellierte an alle Sondierer, nicht ständig öffentlich über ein mögliches Scheitern der Gespräche zu spekulieren. „Wir sollten uns nun darauf konzentrieren, gemeinsame Ergebnisse zu erzielen und das Neuwahl-Gerede endlich einstellen“, sagte der Kieler Umweltminister dem Handelsblatt.

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