Derzeit wird heftig über den Medikationsplan debattiert – was soll drauf, wer darf ihn erstellen, und wer wird fürs Mitmachen vergütet. Doch welchen Nutzen hat der Plan überhaupt für die Patienten? Diese Frage wurde beim Hauptstadtkongress diskutiert. Vor allem bei den Patienten fehle derzeit noch das Verständnis für die Notwendigkeit eines Medikationsmanagements, so das Fazit.
Der Referentenentwurf des E-Health-Gesetzes sieht vor, dass Patienten, die mindestens drei Arzneimittel verordnet bekommen, ab Oktober 2016 einen Anspruch auf einen Medikationsplan haben. Dass in dem Gesetzentwurf lediglich der Plan, aber keine Medikationsanalyse genannt ist, stört beispielsweise die ABDA.
„Wir dachten, wenn wir irgendwo drin sind, dann da“, so Dr. Christian Belgardt, Präsident der Berliner Apothekerkammer. Aber auch wenn es der Gesetzgeber anders sieht – „das wird uns nicht davon abhalten, uns weiter mit AMTS zu befassen“. Ärzte hätten das Thema zwar besetzt, „aber wir sind die Arzneimittelexperten“.
Wie wichtig eine Anleitung zur Einnahme ist, verdeutlichte Professor Dr. Marion Schaefer, die an der Berliner Charité den Studiengang Consumer Health Care leitet: Nicht Arzneimittel töten, sondern die falsche Anwendung. Die Frage der Adhärenz könne bei manchen Arzneimitteln tatsächlich über Leben und Tod entscheiden, so Schaefer.
Krankenhausapothekerin Pamela Kantelhardt sieht in ihrem Alltag vor allem Doppelverordnungen als Problem. Verschiedene Ärzte verschrieben Arzneimittel mit unterschiedlichen Namen, bringt sie die Situation auf den Punkt. „Uns fehlen häufig Informationen, aber auch unsere Informationen nach draußen sind nicht immer korrekt“, so die Apothekerin.
Die Probleme beim Entlassmanagement kennt auch Hannelore Loskill, stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe. Patienten würden bei der Einlieferung umgestellt, bei der Entlassung umgestellt und nähmen im schlimmsten Fall sowohl die alten als auch die neuen Medikamente. „Das ist natürlich eine Katastrophe.“
Loskill kritisierte, dass es in den Arztpraxen keine Zeit gebe, die Medikation zu überprüfen – und in Kliniken noch weniger. Wie das Medikament einzunehmen sei, müsse der Patient mit dem Apotheker klären. „Die meisten Patienten wären längst gestorben, wenn die Apotheke ihnen nicht geholfen hätte“, spitzte Loskill das Problem zu. Daher gehört aus ihrer Sicht auch die Selbstmedikation auf den Medikationsplan.
Das ein Medikationsplan hilft, darüber besteht weitgehend Einigkeit. Allerdings gebe es bislang wenig Studien, die einen Nutzen des Medikationsmanagements belegen, der über den persönlichen Nutzen für den Patienten hinausgehe, räumte Schaefer ein. Das habe auch ethische Gründe, den Versicherten könnte in einer Vergleichsstudie eine sachlogisch bessere Leistung nicht vorenthalten werden. Dennoch frage die Politik zu recht, wo der Nutzen sei.
Tatsächlich sieht Schaefer in dem geplanten Medikationsplan – einer reinen „Auflistung“ ohne Beteiligung der Apotheker – keine großen Vorteile. Denn die Ärzte seien bei der Prüfung auf AMTS relativ hilflos. Was die softwaregestützte Arzneimittelprüfung angeht, sind die Ärzte aus ihrer Sicht weit hinterher.
Aus Schaefers Sicht muss zunächst dem Patienten verständlich gemacht werden, warum ein Medikationsmanagement nötig ist. Allerdings: „Ärzte haben dafür keine Zeit, und für die Apotheker ist es auch nicht wesentlich einfacher.“ Sie betonte, man komme nicht darum herum, selbst an die Patienten heranzutreten.
Das fehlende Problembewusstsein bei den Patienten kennt Belgardt aus der Praxis: Es gebe weniger als zehn Patienten, die einen Plan wollten – aber er habe mindestens einmal am Tag Zweifel, ob die Medikation richtig verstanden worden sei.
Tim Steimle, Apotheker bei der Techniker Krankenkasse (TK), betont mit Blick auf den Arzneimittel-Coach der Kasse, dass Apotheker eine wichtige Rolle bei der Beratung spielten. 80 Prozent der Patienten befürworteten die Einbindung der Apotheker. Das bedeute aber nicht, dass sich auch 80 Prozent in der Apotheke beraten lassen wollen. „Der Vorteil wurde noch nicht ausreichend deutlich gemacht“, findet auch Steimle.
An dem TK-Coaching selbst würden nur etwa 30 Prozent der angeschriebenen Patienten teilnehmen. „Nicht jeder ist davon überzeugt, dass es ein Problem gibt.“ Das bestätigt Steimle in seiner Haltung, die Fallzahlen klein und die Intervention möglichst zielgenau zu halten. Er habe die Sorge, dass, wenn wie geplant schon ab drei Medikamenten Anspruch auf einen Medikationsplan besteht, dieser dann meistens doch nicht angewendet wird.
Steimles Ziel ist es, in den kommenden Jahren herauszufinden, was das Medikationsmanagement bringt und wem es nützt. Dann könne man es denjenigen anbieten. Die Leistung „mit der Gießkanne“ zu vergeben, hält er hingegen nicht für angemessen.
Belgardt will AMTS in den Alltag integrieren. „Wir könnten es heute machen, auch wenn wir kein Extra-Geld bekommen und wir dieses Geld eigentlich bräuchten.“ Trägheit und mangelnde Belohnung seien die Gründe, dass sich das Medikationsmanagement noch nicht durchgesetzt habe. Die Kammer wolle sich dem Thema aber weiterhin widmen und dafür auch einen Mitarbeiter einstellen.
Loskill zeigte sich überzeugt, dass Patienten auch bereit wären, für die Leistung zu zahlen – „wenn man ihnen klar machen kann, dass es ihnen etwas bringt“. Genau an dieser Stelle sieht Kantelhardt aber das Problem: Der Patient merke nur, wenn etwas passiere – das verhindere die Apotheke aber, so das der Patient gar nichts mitbekomme. Aus ihrer Sicht muss es zunächst Belohnung genug sein, den Patienten mit einem Benefit aus dem Krankenhaus gehen zu sehen – zumindest am Anfang.
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