Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag (TAB) hat einen Bericht über Arzneimittelrückstände in Trinkwasser und Gewässern vorgelegt. Die Experten sehen keine Gefährdungen für das Trinkwasser. Allerdings seien Risiken für andere Wasserarten und für Fische durch Arzneimittelrückstände nicht auszuschließen. Das TAB verweist auf große Wissenslücken.
Hintergrund des Berichts ist der seit Jahren zunehmende Verbrauch von Arzneimitteln. Ausgeschieden gelangen diese, stark verdünnt, wieder in Grundwasser und Gewässer. Dort bauten sich manche der Stoffe nur langsam ab, könnten in der Umwelt akkumulieren und über den Nahrungskreislauf oder das Trinkwasser wieder in den Körper gelangen, heißt es in dem Bericht im Auftrag des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung.
Es gebe „noch große Wissenslücken über Vorkommen und Wirkungen von Arzneimittelrückständen in der Umwelt“, heißt es im Vorwort. Ein flächendeckendes Monitoring der Mikroverunreinigungen im Wasser und deren Wirkungen fehle. Beim Genuss von Trinkwasser sei derzeit nichts zu befürchten, aber aus Laborversuchen und ersten Felduntersuchungen gebe es „interpretationsbedürftige Hinweise, dass Gewässerökosysteme durch Arzneimittelrückstände in Kombination mit anderen Mikroverunreinigungen beeinträchtigt werden“ können.
Der Bericht beinhaltet eine Bestandsaufnahme zu Mengen, Konzentrationen und Trends von Arzneimittelreststoffen im Wasser sowie zu vorhandenen Hinweisen, Indizien und Evidenzen für negative Wirkungen. Zudem enthält er Kapitel zu den Auswirkungen auf die Gesundheit und Umwelt sowie zum Vorsorgeprinzip und gesellschaftlichen Zielkonflikten zwischen Gesundheit, Tierwohl und Umweltschutz. Abschließend behandelt werden die Themen Strategien und Maßnahmen zur Verringerung der Risiken durch Arzneimittelrückstände, ohne das bestehende Niveau des Gesundheitsschutzes abzusenken.
Laut Bericht werden insgesamt deutlich mehr Human¬- als Tierarzneimittel verbraucht. In Deutschland werden Vorkommen und Konzentrationen pharmazeutischer Wirkstoffe in der Umwelt und insbesondere in Gewässern bislang allerdings nicht flächendeckend systematisch überwacht. Stichprobenuntersuchungen und Schätzungen weisen aber auf einen Anstieg von Arzneimittelrückständen und anderen Mikroverunreinigungen in Gewässern und im Trinkwasser hin. Nach Schätzungen des Umweltbundesamtes (UBA) wurden 2002 in Deutschland 6200 t Humanarzneimittelwirkstoffe verwendet, 2012 lag der Wert bereits bei 8120 t, was eine Steigerung von 30 Prozent innerhalb von zehn Jahren bedeutet.
Die Arzneimittel enthalten etwa 2300 verschiedene Wirkstoffe, von denen einige wenige einen besonders hohen Anteil haben: Die fünf Wirkstoffe Metformin, Ibuprofen, Metamizol, Acetylsalicylsäure und Paracetamol machten 2012 zusammengenommen rund die Hälfte der insgesamt abgegebenen Menge an Arzneistoffen aus. Insgesamt werden zwar deutlich mehr Human- als Tierarzneimittel verbraucht, aber auch im veterinärmedizinischen Bereich werden erhebliche Mengen umgesetzt. Beispielsweise wurden 2015 in Deutschland Nutztiere mit 805 t Antibiotika behandelt. In Bezug auf Tierarzneimittel ist die Datenlage laut Bericht jedoch unzureichend, denn es werden nur die Abgaben von Antibiotika und einigen anderen ausgewählten Wirkstoffen amtlich erfasst. Schätzungen des Gesamtverbrauchs an Tierarzneimitteln bei Nutztieren seien nicht sehr zuverlässig, und aus dem Bereich der Heimtiere lägen auch keine belastbaren Daten vor.
In Böden, Oberflächengewässern und insbesondere in Kläranlagenabflüssen seien Arzneimittelrückstände in Konzentrationen von bis zu 10 µg/l, in Einzelfällen aber auch deutlich darüber gefunden worden. In einem Kläranlagenzulauf sei der Spitzenwert von 492 µg/l für das Schmerzmittel Paracetamol gemessen worden. In den Oberflächengewässern, in die Kläranlagen einleiten, finde sich meist eine um mindestens die Hälfte verringerte Konzentration. In einigen Regionen, wie dem hessischen Ried und in Teilen Berlins bestehe Handlungsbedarf, weil Grenzwerte überschritten wurden.
In Bezug auf die Auswirkungen gebe es aktuell keine Hinweise für eine akute oder chronische Gesundheitsgefährdung von Menschen durch Arzneistoffe im Trinkwasser. Tendenziell könnten Mikroverunreinigungen durch Arzneimittelrückstände zunehmen, so dass eine besondere Wachsamkeit bei Risikogruppen wie ungeborenem Leben, Kleinkindern, Heranwachsenden sowie älteren Menschen geboten sei. In Oberflächengewässern fänden sich deutlich höhere Konzentrationen von Arzneimittelrückständen als im Trinkwasser.
33 Prozent der Humanarzneistoffe und 45 Prozent der Tierarzneimittel besäßen eine hohe Ökotoxizität. Mögliche Schäden seien beispielsweise Beeinträchtigungen des Stoffwechsels, der Fortpflanzungsfähigkeit und des Wachstums, aber auch Verhaltensänderungen und im Extremfall der Tod von Organismen. Dadurch, dass die Gefährdungsabschätzung für tierische Organismen und Lebensgemeinschaften mit computergestützten Modellen geschehe, seien diese jedoch „mit Unsicherheiten behaftet“, heißt es in dem Bericht weiter.
Bei den Umweltwirkungen der Arzneimittelreststoffe in Gewässern sei aber zu bedenken, dass aquatische Organismen in der Regel höheren Expositionen ausgesetzt seien als Menschen und daher ungleich stärker gefährdet seien. Das gelte insbesondere für Organismen, die in Hotspots wie den Unterläufen von Kläranlagen leben. Es sei neuerdings auch schon in Feldversuchen beobachtet worden, dass Arzneimittelrückstände in Kombination mit anderen Mikroverunreinigungen aquatische Lebensgemeinschaften beeinträchtigten. Dennoch seien die im Freiland bestehenden Umweltrisiken durch Arzneimittelrückstände zumeist noch unklar.
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