Ein überraschendes Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (LSG) versetzt die Pharmabranche in Aufregung. In einem Eilverfahren verboten die Richter für das Antidiabetikum Albiglutid von GlaxoSmithKline (GSK) die Bildung eines Erstattungspreise auf der Basis der üblichen Mischkalkulation. Das sei rechtswidrig, so die Richter. Sollte der vorläufige Spruch im Hauptverfahren bestätigt werden, fürchtet die Pharmabranche erhebliche Konsequenzen für die Preisbildung und Arzneimittelversorgung in Deutschland.
Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Wegen der noch unsicheren Gemengelage geben die am Verfahren beteiligten Parteien daher nur spärlich Auskunft. Nach den vorliegenden Informationen hatte der GKV-Spitzenverband gegen einen Schiedsspruch zur Festsetzung des Erstattungspreise für das von GSK vertriebene Antidiabetikum Eperzan geklagt. In dem vergangenen Mittwoch gefällten Spruch im einstweiligen Verfahren untersagten die Richter die Preisbildung auf der Grundlage der Mischkalkulation.
Das LSG will sich zum Urteil ebenso wenig äußern wie GSK: „Derzeit wollen und können wir den Beschluss nicht weiter kommentieren, da wir zunächst die schriftliche Begründung abwarten. Wir bitten daher um Ihr Verständnis, dass wir uns erst nach deren Vorlage und anschließender interner Erörterung dazu äußern können und werden“, so ein Konzernsprecher. Auch der GKV-Spitzenverband gibt sich schmallippig: „Da wir die schriftliche Begründung noch nicht kennen, bitte ich um Verständnis dafür, dass wir das Urteil in dem einstweiligen Rechtschutzverfahren noch nicht bewerten beziehungsweise kommentieren.“
Beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (VFA) sieht man jedoch bereits weitreichende Konsequenzen. Die Ansichten des LSG stünden der seit sechs Jahren vollzogenen AMNOG-Praxis entgegen: „Die Flexibilität des Mischpreises bei Arzneimitteln und der Verhandlung darüber würden einem starren Algorithmus geopfert. Die Freiheit der Verhandlung zwischen pharmazeutischem Unternehmer und GKV-Spitzenverband und auch der Bewegungsraum der Schiedsstelle würden stark eingeschränkt“, so ein VFA-Sprecher.
Der VFA-Sprecher weist aber auch darauf hin, dass es ist „kein abschließendes Urteil“ sei: „Hier hat das Landessozialgericht vor dem eigentlichen Urteil bisher lediglich seine Sichtweise dargelegt. Das Urteil selbst steht also noch aus. Und das Landessozialgericht ist in dieser Sache auch nicht die letzte Instanz.“
Sollte sich diese Haltung durchsetzen, fürchtet der Verband, dass damit nicht nur der Grundpfeiler der AMNOG-Preisfindung ins Wanken geriete, sondern die Patienten in Deutschland von Innovationen abgeschnitten würden: „Die flexible Idee des AMNOG, einen im Einzelfall angemessenen Preis zu finden, würde durch einem starren Algorithmus ersetzt. Mit der Konsequenz, dass noch mehr Arzneimittel den Patienten in Deutschland nicht mehr zur Verfügung stünden.“
Die Bildung von Mischpreisen für ein Arzneimittel sei bislang die Regel gewesen. „Würde diese Regel kippen, hätte das gravierende Auswirkungen für Ärzte und Patienten. Die Konsequenz für die Versorgung wäre, dass ein neues Medikament für viele Kassen-Patienten gar nicht verschrieben werden darf, selbst wenn es der Arzt für notwendig hielte. Für 40 Prozent der Patienten stünde dann die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln zur Disposition. Und die Therapiefreiheit der Ärzte würde so weiter eingeschränkt und sie müssten neue Regressdrohungen fürchten“, heißt es beim VFA.
Zum Hintergrund: Die sogenannte Mischkalkulation kommt bei neuen Arzneimittel immer dann zum Einsatz, wenn der Zusatznutzen nur für einem Teilbereich der Patienten nachgewiesen werden, das Arzneimittel aber auch für darüber hinaus gehende Patienten eingesetzt werden kann. In diesen Fällen wird ein Preis festgesetzt, der sich nicht ausschließlich am Preis für die zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT) für die Patientengruppe ohne Zusatznutzen orientiert. Mit der Folge, dass der Mischpreis deutlich über dem ZVT-Preis liegt.
Der Preis übersteigt den ZVT-Preis um ein mehrfaches. Damit bleibt es für die Hersteller wirtschaftlich interessant, neue Arzneimittel in Deutschland anzubieten, auch wenn der Zusatznutzen nur für kleine Patientengruppen belegt ist.
Zwar steht das Urteil in der Hauptsache noch aus. Trotzdem fürchtet die Branche den Einfluss des Eilverfahrens auf laufende Preisverhandlungen. Mit Verweis auf das im Eilverfahren vom LSG ausgesprochen Verbot der Mischkalkulation könnten die Krankenkassen jetzt bereits niedrigere Preise durchsetzen, heißt es. Sollte das LSG die Mischkalkulation auch im Hauptverfahren für rechtswidrig erklären, dürfte der Fall vor dem Bundessozialgericht landen. Bis zur Entscheidung des obersten Gerichts in mehreren Jahren stünde die AMNOG-Preisfindung auf unsicherem Grund.
Auch Professor Jürgen Wasem, Vorsitzender der Schiedsstelle Arzneimittel nach AMNOG, sieht das Urteil kritisch: „Überraschender Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg im ER-Verfahren zu Albiglutid“, twitterte er. Mischpreise bei Arzneimitteln mit Patientengruppen mit und ohne Zusatznutzen seien jetzt rechtswidrig. „Denn Preis ist dann bei PG [Patientengruppen] ohne ZN [Zusatznutzen] oberhalb ZVT [zweckmäßiger Vergleichstherapie]“, so Wasem. Auch Wasem fürchtet „massenweise“ Verordnungsausschlüsse, wenn das die Mischpreise nicht im Gesetzt ausdrücklich verankert werden.
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) hat dem Diabetesmedikament Albiglutid (Eperzan) Anfang 2015 einen Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen bescheinigt – allerdings nur in der Kombination mit Metformin.
Albiglutid ist seit März 2014 für Erwachsene als Monotherapie zugelassen, die an Diabetes mellitus Typ 2 erkrankt sind und bei denen Ernährungsumstellung und Bewegung den Blutzuckerspiegel nicht ausreichend senken. Als Add-on ist es in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Arzneimitteln einschließlich Insulin zugelassen. Albiglutid wird mit einem Einweg-Injektionspen einmal wöchentlich unter die Haut gespritzt.
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