Professor Dr. Harald Schweim sieht den Versandhandel als Einfallstor für Medikamentenmissbrauch. Gegenüber der Zeitung „Welt am Sonntag“ warnte der ehemalige Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die Kombination aus rezeptfreien Medikamenten und Versandhandel bei bestimmten Wirkstoffen gefährde den Patientenschutz.
Der Pharmakologe von der Universität Bonn hat vor allem Paracetamol-haltige Arzneimittel im Blick. Ab einer Einzeldosis von sechs Gramm sind Leberschäden möglich, zehn bis zwölf Gramm können tödlich wirken. Paracetamol ist das am häufigsten mit Selbstmordabsicht eingenommene Arzneimittel. Seit April 2009 dürfen nur noch Packungen mit maximal zehn Gramm des Wirkstoffs ohne Rezept abgegeben werden. Die bis dahin üblichen 30er-Packungen sind seitdem verschreibungspflichtig.
Schweim wirft den Versandapotheken vor, die gesetzlichen Freigrenze durch den Mehrverkauf von Kleinpackungen aus Umsatzgründen zu unterlaufen. „Für die Patienten und damit letztlich auch für das Gesundheitssystem, das für die Folgen des Missbrauchs von Arzneien aufkommen muss, birgt das Risiken“, warnt der Pharmakologe.
Bei Kombinationspräparaten mit Paracetamol liegt der Marktanteil der Versender Schweim zufolge teilweise deutlich über ihrem Durchschnitt von 12,5 Prozent im OTC-Markt. „Jedes Prozent, das der Versand über dem Durchschnitt aller Produkte im Versandhandel liegt, legt bei problematischen Arzneimitteln eine Vernachlässigung der Beratung nahe“, so Schweim.
Der ehemalige BfArM-Chef fordert daher, den Versandhandel bei kritischen Substanzen einzuschränken: „Die Zahlen beweisen, dass hier Sicherheitslücken offensichtlich sind.“ Schweim will diese Präparate daher vom Versand ausschließen – über die Pflicht zu einer persönlichen Beratung durch den Apotheker. Bei der „Pille danach“ hat der Gesetzgeber bereits eine weitere Ausnahme geschaffen. Bei Notfallkontrazeptiva spielt neben der Beratungsintensität aber auch die möglichst umgehende Einnahme eine Rolle.
Der Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) wies die Vorwürfe gegenüber „Welt am Sonntag“ vehement zurück. „Unsere Mitglieder geben die Verantwortung als Apotheker ja nicht ab, nur weil sie ihre Medikamente über den Versandhandel zu den Patienten bringen“, sagte Geschäftsführer Udo Sonnenberg. „Solche Behauptungen, wonach wir den Umsatz vor das Patientenwohl stellen, sind daher völlig aus der Luft gegriffen.“
Über eine weitere Begrenzung von Packungsgrößen bei OTC-Analgetika wird seit längerem diskutiert. Im Januar 2012 hat sich der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht dafür ausgesprochen, die Packungsgrößen für nicht verschreibungspflichtige Acetylsalicylsäure (ASS), Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen zu begrenzen. Derzeit prüft das Robert Koch-Institut (RKI) den Gebrauch von OTC-Analgetika und das Informationsbedürfnis der Bevölkerung
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