Arzneimittelsicherheit

„Arzneimittelkriminalität ist ein Wachstumsmarkt“

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Berlin -

An einem Kilogramm Viagra lässt sich im Durchschnitt 90.000 Euro mehr verdienen als an der gleichen Menge Kokain – und der Vergleich ist nicht im geringsten abwegig. Drogenhandel und der Vertrieb gestohlener oder gefälschter Arzneimittel gehen im Darknet Hand in Hand, warnt Gerhard Schindler, ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes, beim Fachforum Gesundheit in Berlin.

Das Internet hinter dem Internet, die dunkle Seite des Netzes und dergleichen: Das berüchtigte Darknet wird mit vielen blumigen Umschreibungen erklärt. „Das ist alles Quatsch. Da ist gar nichts dunkel“, brach Schindler es herunter. „Das sind ganz komfortable Marktplätze, da können Sie einkaufen wie bei Amazon oder Ebay.“ Man müsse nur wissen, wie man sich über das TOR-System einwählt und die nicht indexierten Seiten findet. Dass ein ehemaliger BND-Präsident auf einer Konferenz zu Gesundheitspolitik spricht, kommt nicht oft vor. Aber Arzneimittelsicherheit wird zunehmend als gesamtgesellschaftliche Problemstellung wahrgenommen: Der Zyto-Skandal in Bottrop, die Affäre um Lunapharm oder Verunreinigungen durch chinesische und indische Wirkstoffproduzenten haben die Virulenz des Themas verdeutlicht.

Entsprechend richtete sich das Fachforum Gesundheit des Berliner Tagesspiegel auch an ein breites Publikum, um aufzuzeigen, wo auf der Reise eines Arzneimittels vom Hersteller über den Großhändler in die Apotheke zum Patienten die Sicherheitslücken zu suchen sind. Und wo die Gefahren sind. Die verschiedenen Branchen waren hochkarätig vertreten: Gehe-Geschäftsführer Dr. Peter Schreiner erklärte, wie Großhändler funktionieren, Professor Dr. Stefan Vietz, Vizepräsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), erklärte die Arbeit der Arzneimittelbehörde und die Schwierigkeiten bei der Bekämpfung von Fälschungen und Hehlerware.

„Insbesondere gefälschte Biologika gelangen ausschließlich über den Parallelhandel in die Lieferkette“, so Vietz. Das Problem: Die Spurensuche gestalte sich vor allem wegen unterschiedlicher Interessenlagen und Arbeitsweisen von Arzneimittel- und Ermittlungsbehörden in den verschiedenen Ländern schwierig. „Wenn wir von italienischen Ermittlungsbehörden eine Chargennummer brauchen und dann wochenlang warten müssen, bis wir die erhalten, bringt das nicht mehr viel.“

Doch auch innerhalb Deutschlands sei das mitunter kompliziert. „Das Problem ist, dass es nur wenige Stellen gibt, die komplexe Wirkstoffe kontrollieren können, und sich die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern oft sehr schwierig gestaltet.“ Sein Vorschlag: Eine Task-Force zur Wirkstoffkontrolle, die in zweifelhaften Fällen schnell reagieren und verlässliche Ergebnisse liefern kann. Der stellvertretende BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Hermann Kortland erklärte die Funktionsweise von Securpharm. Anke Rüdinger, Vorsitzende des Berliner Apotheker-Vereins (BAV), erklärte, wie das Konzept in den Apotheken umgesetzt wird, und zog Bilanz über den Start am 9. Februar.

„Der Securpharm-Start verlief reibungsarm“, erinnerte sie sich fast auf den Tag genau drei Monate zurück. „Ich hatte an dem Samstag selbst Dienst und war wie viele Kollegen etwas besorgt. Es gab aber keine Probleme, alles lief sehr geräuscharm.“ Eine nennenswerte Mehrbelastung der Apotheken durch das neue System sieht sie nicht. Sie habe in den Medien von der Geschichte eines Ehepaares gehört, das wegen der Securpharm-Einführung seine Apotheke aufgab. Das sei aber ein absoluter Einzelfall gewesen, der nicht repräsentativ sei und eher damit zu tun habe, dass sie technisch längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit waren. „Mir persönlich ist nicht bekannt, dass es eine Apotheke gibt, die noch ohne Computer arbeitet“, so Rüdinger. „Ich frage mich, wie die beiden es ohne Computer bis dahin geschafft haben.“

Kortland zog eine ähnliche Bilanz des „größten Infrastrukturprojekts, das es im europäischen Gesundheitswesen je gegeben hat“: Der Start des zwölf Milliarden Euro teuren Systems habe reibungslos funktioniert. „Es gab weder Engpässe noch Ausfälle. Mission erfüllt“, so Kortland. Securpharm aber auf OTC-Arzneimittel auszudehnen, sei schon deshalb vom europäischen Gesetzgeber nicht vorgesehen, weil Arzneimittelfälschungen ein ziemlicher Aufwand seien. „Und der lohnt sich nur bei Hochpreisern.“ OTC-Mittel würden generell nicht gefälscht, eine Ausnahme bilde nur Omeprazol. Dass das in zehn Jahren auch noch so ist, könne er nicht garantieren.

Wer also guten Gewissens in die Apotheke geht, um sich legal ein Arzneimittel zu besorgen, muss sich keine Sorgen machen. In dem Punkt waren sich alle einig. Die Wahrscheinlichkeit, einer Fälschung oder gestohlener Ware aufzusitzen, sei im Durchschnitt verschwindend gering. Dennoch, Schwachstellen gibt es. Und die sieht Kortland vor allem außerhalb Deutschlands: „Es hat sich immer wieder gezeigt, dass Griechenland und Italien Einfallstore für Fälschungen sind. Diese beiden Länder mussten Securpharm noch nicht umsetzen. Dort ist der europäische Schutzschild löchrig.“

Wer hingegen im Darknet Rx-Arzneimittel kaufen will, der muss wissen, worauf er sich einlässt. Der Übergang von Drogenhandel und Handel mit gefälschten oder gestohlenen Arzneimitteln sei dort fließend, erklärte Schindler. Der Unterschied: Beim Drogenahndel sind die Ermittlungsbehörden hinterher, illegaler Arzneimittelhandel werde hingegen immer noch stiefmütterlich behandelt.

„Arzneimittelkriminalität ist ein Wachstumsmarkt“, sagte der Spitzenbeamte. „Und einer der größten Wachstumsschieber ist der geringe Verfolgungsdruck in Deutschland aufgrund der unzureichenden Personalausstattung bei den Verfolgungsbehörden. Wenn sie vor die Wahl gestellt sind, ob sie einen Medikamentenmarktplatz ausheben oder eine Plattform für Kinderpornographie, dann fällt die Arzneimittelkriminalität meist hinten runter.“

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