Die Arzneimittelausgaben der Kassen steigen, doch vor allem die Patienten müssen für ihre Medikamente immer tiefer in die Tasche greifen. Laut Branchenverband Pro Generika wurden im vergangenen Jahr erstmals mehr als 2 Milliarden Euro an Zuzahlung fällig. Weil die Kassen über die Rabattverträge sparen, wird der Anteil, für den die Versicherten selbst aufkommen müssen, immer größer.
2008 lagen die Arzneimittelausgaben im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nach Abzug von Zwangsabschlägen und Zuzahlung bei 26,8 Milliarden Euro. Die Patienten mussten seinerzeit knapp 1,7 Milliarden Euro aus eigener Tasche bezahlen, das ergibt eine Quote von 5,9 Prozent.
Im vergangenen Jahr gaben die Kassen nach Angaben des Deutschen Apothekerverbands (DAV) 31,4 Milliarden Euro aus, die Zuzahlungen summierten sich auf etwas mehr als 2 Milliarden Euro. Damit lag die Selbstbeteiligungsquote bei 6,1 Prozent. Anders ausgedrückt: Während die GKV-Ausgaben in diesem Zeitraum um 17,5 Prozent stiegen, wuchsen die Aufwendungen für die Versicherten um 21 Prozent.
Berücksichtigt man die Rabattverträge, wird die Schere noch deutlicher: Laut IMS Health konnten die Kassen über ihre Ausschreibungen knapp 3,2 Milliarden Euro zusätzlich einsparen, somit summieren sich die Nettoausgaben auf 28,3 Milliarden Euro. Im Vergleich zu 2008 reduziert sich damit der Ausgabenanstieg auf 5,7 Prozent. Der Anteil, den die Versicherten aus eigener Tasche zahlen, liegt entsprechend bereits bei 6,7 Prozent.
Die Mehrbelastung der Versicherten seit 2008 hat damit in absoluten Zahlen einen vergleichbaren Umfang wie das AMNOG in den Jahren 2011 und 2012 für die Apotheker. Auch die Hersteller wurden im vergangenen Jahr in einem ähnlichen Ausmaß zur Kasse gebeten. Berücksichtigt man den Widerstand der Leistungserbringer, geht die Privatisierung der Ausgaben vergleichsweise geräuschlos über die Bühne.
Grund für den Anstieg der Zuzahlung ist laut Pro Generika die Festbetragsregelung: Nur Präparate, deren Preis 30 Prozent unter der Erstattungsgrenze liegt, sind von der Zuzahlung befreit. Weil sich die Preisspirale regelmäßig dreht, fallen immer wieder Präparate aus der Gruppe. Waren bei der Einführung der Regelung rund 14.000 PZN befreit, waren es 2011 nur noch 7100. Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl erneut auf knapp 3500 halbiert.
Einer Studie des Marktforschungsunternehmens Insight Health zufolge ist der Anteil der zuzahlungsbefreiten Generika in den vergangenen sieben Jahren um 23 Prozentpunkte gefallen, von 30 Prozent im Herbst 2007 auf zuletzt 6,9 Prozent. Dies ist laut Pro Generika der niedrigste Stand seit Einführung der Zuzahlungsbefreiungen.
Bei Rabattverträgen können die Kasse die Zuzahlung ganz oder zur Hälfte erlassen, auch wenn der Listenpreis nicht 30 Prozent unter Festbetrag liegt. Zwar gibt es mittlerweile bei den meisten Ausschreibungen entsprechende Klauseln, die eine Befreiung von der Zuzahlung vorsehen. Doch immer wieder gibt es Fälle, in denen Patienten zur Kasse gebeten werden, obwohl zuzahlungsbefreite Alternativen ohne Rabattvertrag existieren und die Kassen ohnehin viel mehr Geld mit ihrem Vertrag sparen.
Nach Berechnungen des DAV aus dem vergangenen Jahr waren nur 11.500 der 27.000 erfassten Rabattarzneimittel zur Hälfte oder komplett von der Zuzahlung befreit. Das entspricht 43 Prozent. Für die übrigen Rabattarzneimittel mussten Patienten demzufolge die volle Zuzahlung leisten.
Der GKV-Spitzenverband wehrte sich vor einem Jahr gegen den Vorwurf, den Kassen auf Kosten der Versicherten bei Cent-Artikeln zu Euro-Einnahmen zu verhelfen. Man habe die gesetzliche Verpflichtung, unabhängig von den Verhandlungsergebnissen einzelner Kassen für ein angemessenes Preisgefüge zu sorgen, sagt eine Sprecherin. Außerdem seien die Festbeträge das ältere Sparinstrument und bei verschiedenen regulatorischen Prozessen nach wie vor von Belang.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hatte bereits vor einem Jahr gefordert, dass Rabattarzneimittel generell von der Zuzahlung befreit werden müssten: „Wenn Rabatte ausgehandelt werden, müssen die auch den Patienten zugute kommen – dann muss es auch Rabatte auf die Zuzahlung geben“, so eine Sprecherin.
Nicht berücksichtigt sind in der Statistik übrigens Aufzahlungen der Versicherten: Immer mehr Hersteller sehen sich bei Festbetragsanpassungen außerstande, ihren Preis auch nur auf das neue Niveau abzusenken. Dann müssen die Versicherten zusätzlich zur Zuzahlung auch die Preisdifferenz aus der eigenen Tasche zahlen – vorübergehend oder auch dauerhaft. In Einzelfällen haben Zu- und Aufzahlung schon dreistellige Beträge erreicht.
Laut Gesetz muss eine ausreichende Zahl qualitativ hochwertiger Arzneimittel verfügbar sein, für die Versicherte keine Aufzahlung leisten müssen. Ausreichend sind demnach ein Minimum von 20 Prozent der Verordnungen und 20 Prozent der Arzneimittelpackungen einer Festbetragsgruppe.
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