Silbernitrat-Nasentropfen

Arzneimittel oder Medizinprodukt – EuGH muss erneut entscheiden

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Berlin -

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss sich erneut mit der Abgrenzung von Arzneimitteln und stofflichen Medizinprodukten beschäftigen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) legt zwei entsprechende Verfahren zur Klärung in Luxemburg vor.

In den beiden Rechtstreitigkeiten geht es um Präparate zur Anwendung an der Nase: „Rhinoguttae Argenti diacetylotannici proteinici 3 % MP Nasentropfen“ von Leyh Pharma sowie ein Nasenspray mit Alpenveilchen-Exrakt eines britischen Herstellers. Beide Produkte werden als Medizinprodukte der Klasse I vertrieben.

Nachdem die zuständige Landesbehörde zu der Auffassung kam, die physikalisch-chemische Hauptwirkung der Präparate sei nicht hinreichend belegt, beantragte sie eine Entscheidung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). In Bonn kam man zu dem Ergebnis, dass es sich um zulassungspflichtige Arzneimittel handele: Die bestimmungsgemäße Hauptwirkung werde auf pharmakologische Weise erreicht, sodass bereits die Voraussetzungen für die Annahme eines Funktionsarzneimittels erfüllt seien. Darüber hinaus würden die Produkte auch als Arzneimittel präsentiert.

Widerspruch, Klage und Berufung der Hersteller blieben erfolglos. So führte das Oberverwaltungsgericht NRW aus, die Produkte erwiesen sich nach ihrer Aufmachung als Präsentationsarzneimittel. Sie würden in der Gebrauchsanweisung zwar eingangs als Medizinprodukte bezeichnet, dann aber als arz­neiliche Produkte zur Linderung von Krankheitssymptomen beschrieben. Der Begriff des Präsentationsarzneimittels finde auch dann Anwendung, wenn ein Erzeugnis als Medizinprodukt auf den Markt gebracht werde. Ein Ausschluss der Anwendbarkeit auf potentielle Medizinprodukte mit therapeutischer Wirkung sei dem geltenden Recht nicht zu entnehmen.

Die Frage der Hauptwirkungsweise stelle sich erst bei der Prüfung der Frage, ob das Erzeugnis (auch) die Voraussetzungen des Medizinproduktebegriffs erfülle und damit unter die in § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) geregelte Ausnahmebestimmung falle. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass das Produkt nach seiner Hauptwirkung eindeutig dem Medizinprodukterecht zugeordnet werden könne. Sei – wie hier – nach dem Stand der Wissenschaft nicht feststellbar, ob das Erzeugnis seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper durch eine physikalisch-chemische Wirkung erreicht, verbleibe es bei der Anwendbarkeit des Arzneimittelrechts.

Das BVerwG will nun vom EuGH wissen, wie solche Fälle abzugrenzen sind, also ab wann die bestimmungsgemäße Hauptwirkung auch dann als pharmakologisch einzustufen sei, wenn sie nicht auf einer rezeptorvermittelten Wirkweise beruhe und die Substanz vom menschlichen Körper auch nicht absorbiert werde, sondern an der Oberfläche etwa von Schleimhäuten verbleibe und dort reagiere. „Nach welchen Kriterien sind in einem solchen Fall pharmakologische und nicht pharmakologische, insbesondere physikalisch-chemische Mittel zu unterscheiden?“

Außerdem sollen die Richter beantworten, ob ein Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt angesehen werden kann, wenn die Wirkweise nach dem Stand der Wissenschaft offen ist und deshalb nicht abschließend geklärt werden kann, ob die bestimmungsgemäße Hauptwirkung auf pharmakologischem oder physikalisch-chemischem Wege erzielt wird.

Und schließlich geht es um die Frage, ob in einem solchen Fall die Einordnung des Erzeugnisses als Arzneimittel oder Medizinprodukt auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung auch seiner sonstigen Eigenschaften und aller weiteren Umstände vorzunehmen ist – oder ob das Erzeugnis, wenn es zur Verhütung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten bestimmt ist, als Präsentationsarzneimittel anzusehen ist unabhängig davon, ob eine spezifisch arzneiliche Wirkung in Anspruch genommen wird oder nicht. Ob auch in einem solchen Fall nach EU-Richtlinie der Vorrang des Arzneimittelregimes gilt.

Bereits 2012 hatte der EuGH im Zusammenhang mit Chlorhexidin entschieden, dass eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen eines Stoffs und einem Rezeptor, die entweder zu einer direkten Wirkung führt oder die Reaktion auf einen anderen Liganden blockiert, ausschlaggebend für die Einstufung als Arzneimittel ist. Eine Dosis-Wirkungs-Korrelation ist dabei nicht zwingend erforderlich, genauso wie eine Wechselwirkung mit menschlichen Körperzellen. Erfasst ist auch die Wirkung auf andere im menschlichen Körper befindliche Zellen, etwa von Bakterien, Viren oder Parasiten.

Ende 2012 kam das BVerwG zu dem überraschenden Ergebnis, dass die Einstufung als Arzneimittel nur gerechtfertigt ist, wenn dies zum Schutz der menschlichen Gesundheit tatsächlich erforderlich ist. In dem Fall ging es um Ginkgo von Gall Pharma. „Liegen die Auswirkungen eines Produkts auf die physiologischen Funktionen im Grenzbereich zwischen Nahrungsergänzungs- und Arzneimittel, kommt dem Merkmal der Verwendungsrisiken besonderes Gewicht zu. Eine Einstufung als Arzneimittel ist insoweit nur gerechtfertigt, wenn dies zum Schutz der menschlichen Gesundheit erforderlich ist“, so die Richter damals.

 

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