„Arabischer Frühling im Gesundheitswesen“ APOTHEKE ADHOC, 27.09.2018 17:15 Uhr
Apotheker und Ärzte verlieren ihre Deutungshoheit, Patienten informieren sich oft eher schlecht als recht im Internet über ihre Symptome und konfrontieren dann das Personal in Offizin und Praxis damit – mal mehr, mal weniger beratungsresistent. Im zunehmend selbstbestimmten Patienten liegen aber auch viele Chancen. Welche, das wurde am Donnerstag bei der Mitgliederversammlung des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) diskutiert.
„Wenn wir den Patienten nicht durch die Therapie führen und dabei darauf achten, dass er keinen falschen Schritt macht, dann verlieren wir ihn ans Internet“, ist sich Stefan Fink sicher. Der Vorsitzende des Thüringer Apothekerverbandes und OTC-Beauftragte der ABDA plädiert dafür, dass Apotheker und Ärzte konsequent ihre Lotsenfunktion im Gesundheitswesen erfüllen. Und diese Lotsenfunktion wird, „so paradox es vielleicht klingt, umso wichtiger, je selbstbestimmter der Patient wird“, pflichtet ihm Dr. Traugott Ullrich bei, Geschäftsführer von Dr. Wilmar Schwabe und stellvertretender Vorstandsvorsitzender des BAH.
Dabei reiche es heute längst nicht mehr, nur die Medikation auf dem Papier zu erläutern: „Auch in der digitalen Welt wird es mit der Patientenakte einen Informationsfriedhof geben“, ist sich Fink sicher. Die Erfahrungen mit dem digitalen Medikationsmanagement ARMIN hätten gezeigt, dass man „viele der wichtigsten Informationen nur erhält, wenn man sich mit dem Patienten zusammensetzt“.
Ob das genug ist, darüber herrscht indes Uneinigkeit. Denn das „paternalisitische Bild vom Patienten“, dem man vorschreiben kann, was zu tun ist, sei ein für allemal vorbei, erwidert Dr. Ivo Grebe, Vizepräsident des Berufsverbandes Deutscher Internisten. Auch Marktforscher Gerhard Riegl ist sicher: „So wie Patienten bisher in Apotheke und Praxis beraten werden, geht es nicht weiter“, sagt er fordert vor allem mehr Empathie. „Wenn ich Mitarbeiter habe, die wie Roboter arbeiten, muss ich mich nicht wundern, wenn sie durch Roboter ersetzt werden“. Die „Internetfritzen“ würden da rasant aufholen: „Die sammeln jetzt schon mehr Daten als Sie sich jemals merken könnten.“ Deshalb sei „Exzellenz in Menschlichkeit in Zukunft der absolute Wettbewerbsfaktor“.
Die Beratungstätigkeit ist heute jedoch bedeutend anspruchsvoller als vor einigen Jahren, sind sich alle auf dem Podium einig: „Wenn der Patient ins Internet schaut, sind dort alle Informationen im wahrsten Sinne des Wortes gleich-gültig“, so Ullrich. Es gehe nun darum, ihm zugänglich zu machen, warum welche Information zutreffend ist oder nicht. Dabei könne digitale Technologie vor allem dadurch behilflich sein, dass sie Redundanzen verringert, beispielsweise indem der Beratungsbedarf bei Bagatellkrankheiten verringert wird. „Wenn wir Hightech richtig einsetzen, dann können wir dadurch mehr persönliche Kontakte zum Patienten ermöglichen“, prophezeit Ullrich.
„Wir müssen dem Patienten genau das geben, was er will: schnell, einfach und günstig“, fordert Fink. Die freigewordene Energie solle dabei insbesondere für Dienst- und Serviceleistungen genutzt werden, „die den Patienten an uns binden. Ansonsten tun das andere“. Damit war ein heikles Feld berührt, denn bei der Frage nach neuen Dienstleistungen ist der Schritt zur Forderung nach dem Impfrecht für Apotheker nicht weit. BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Martin Weiser, der das Gespräch moderierte, legte genüsslich nach und forcierte das Thema.
Zwar habe keiner der Apotheker die Forderung erhoben, aber sie sei bei der 64. BAH-Mitgliederversammlung schon das ein oder andere mal zur Sprache gekommen. Internist Grebe hält davon nichts. Das Impfen sei eine ureigene Domäne der Ärzte und sollte die Forderung aufkommen, so stellte er klar, dass er als Arzt das Dispensierrecht fordern würde: „Ganz klar: Entweder es steht 0 zu 0 oder 1 zu 1!“
Auf solche Geplänkel sollten sich die Berufsgruppen aber eher nicht einlassen, wenn es um die großen Zukunftsfragen geht, ist man sich schnell sicher. Vielmehr mahnt Ullrich zur Geschlossenheit: „Einer Sache müssen wir uns bewusst sein: Die neuen Konkurrenten kommen nicht aus unseren Reihen, sondern von den Gafas“, den großen Internetkonzernen.
Um die Apotheken zu erhalten, müsse man eher deren Unternehmertum fördern, wirft BAH-Vorstandsmitglied und Dr. Loges-Geschäftsführer Carsten Timmering ein. Riegl sieht es ähnlich: Die Präsenzapotheken könnten durch die Digitalisierung besser als je zuvor werden, „dazu müssen sie sich aber in die Daten der Patienten verlieben, nicht in ihre Medikamente und Pharmazie“. Die Apotheker müssten lernen, aus den gewonnen Daten nützliche Informationen über den Kunden zu schöpfen, um „zu wissen, was er hat, wo er war, was er braucht, was er will“.
Schon bald, da ist sich Riegl sicher, werden die Apotheken und Praxen „Hotspots für Patientendaten und es wäre doch schade, wenn die in Kalifornien ausgewertet würden“. Was man gerade erlebe sei ein „Arabischer Frühling im Gesundheitswesen“: Eine verstärkte basisdemokratische Partizipation der Patienten, die aber wenig bis kaum von fachkundigen Experten angeleitet ist. Deshalb müssten die Heilberufler sich an die Spitze setzen, fordert er. „In Zukunft wird nicht derjenige gewinnen, der der beste Mediziner oder Pharmazeut ist, sondern derjenige, der die Patienten am besten versteht und gleichzeitig ein guter Mediziner oder Pharmazeut ist.“