Zuweisungsverbot ab der ersten Packung Alexander Müller, 10.12.2015 13:02 Uhr
Ärzte dürfen ihre Patienten nicht ohne triftigen Grund zu einer bestimmten Apotheke schicken. Das Zuweisungsverbot ist nur im Bereich der Zytostatika-Versorgung gelockert. Diese Ausnahme gilt aus Sicht des Bundesgerichtshofs (BGH) aber nicht für die Ersteinstellung von Hepatitis-C-Patienten. Der Streit zwischen zwei Apothekern geht aber vorerst zurück zum Oberlandesgericht Nürnberg (OLG).
Die Behandlung in eine Regensburger Gemeinschaftsparaxis lief für gewöhnlich so ab: Nach der Diagnose wurden die Hepatitis-Patienten bei einem zweiten Termin über die Behandlung inklusive Medikation und Nebenwirkungen aufgeklärt. Bei einem dritten Termin wies eine Arzthelferin die Patienten in die Anwendung der bereitgestellten Fertigarzneimittel und Fertigspritzen ein.
Die Arzneimittel lieferte eine Regensburger Apotheke direkt an die Praxis. Die Patienten mussten die Apotheke nie aufsuchen, da die Praxis die Rezepte ihrerseits direkt an die Apotheke geschickt hatte. Darin sah ein anderer Apotheker am Ort einen Verstoß gegen das Zuweisungsverbot und klagte gegen den Kollegen. Vor dem Landgericht Regensburg und dem OLG Nürnberg bekam er jeweils recht.
Der BGH hat grundsätzlich auch ein Problem mit dieser Art der Rezeptweitergabe. Doch die Karlsruher Richter haben den Fall ans OLG zurückgeschickt. Denn die Kollegen in Nürnberg hatten im Tenor ihres Urteils die Formulierung „unter Umgehung des Rechts des Patienten auf freie Apothekenwahl“ vergessen. Damit sei dem Kläger mehr zugesprochen worden, als er beantragt habe, und das konnte der BGH nicht durchwinken. Entsprechend wurden auch die Ansprüche auf Auskunftserteilung und Schadensersatz – zumindest vorläufig – abgelehnt.
Denn grundsätzlich sieht der BGH die Zusammenarbeit von Arzt und Apotheke auch kritisch. Das OLG habe mit Recht angenommen, dass es sich um eine Zuweisung gemäß Apothekengesetz (ApoG) handele. Zweck der Regelung sei, dass Apotheker nicht das Entscheidungsverhalten von Ärzten beeinflussen und so die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Patienten beeinträchtigen sollen.
Der beklagte Apotheker kann sich laut BGH auch nicht auf die Ausnahmen im ApoG berufen, die etwa für die Versorgung mit anwendungsfertigen Zytostatikazubereitungen gelten. Zu deren Herstellung seien nämlich nur einzelne Apotheken in der Lage, zudem würden die Sterilrezepturen aus Sicherheitsgründen nicht direkt an die Patienten ausgehändigt.
Dies gelte aber nicht für alle Arzneimittel, die direkt beim Arzt verabreicht würden, so der BGH. Hier sahen die Karlsruher Richter „keine entsprechende oder immerhin nur annähernd vergleichbare Notwendigkeit oder Vorteilhaftigkeit einer solchen Verkürzung des Versorgungswegs unter Ausschluss des Patienten“, heißt es im Urteil.
Die Praxis hätte demnach ohne Umgehung des Patienten leicht telefonisch sicherstellen können, dass die Mittel in einer Apotheke verfügbar sind. In den beiden Fällen vor Gericht ging es jeweils um die Filmtabletten Incivo (Telaprevir) und Copegus (Ribavirin) sowie Fertigspritzen Pegasys (Peginterferon alfa-2a). Diese Mittel könnten gemäß gerichtlicher Feststellung von jeder Apotheke innerhalb eines halben Tages beschafft und einer Praxis zu einem vereinbarten Zeitpunkt in der richtigen Verabreichungsform zur Verfügung gestellt werden.
Eine Ausnahme besteht aus Sicht des BGH nur, wenn ein Patient so hilfsbedürftig oder unzuverlässig ist, dass der Therapieerfolg in Gefahr ist. Das Zuweisungsverbot sei möglicherweise auch nicht berührt, wenn der Arzt neutral verschiedene Auswahlmöglichkeiten vorschlage oder vom Patienten konkret um Rat gefragt werde. In diesem Fall könnte das Rezept auf Wunsch des Patienten sogar vom Arzt selbst in einer Apotheke eingelöst werden. Im vorliegenden Fall habe es aber eine solche Auswahlmöglichkeit nicht gegeben.
Das OLG muss den Fall nun wieder eröffnen. Bei der Prüfung eines neu zu formulierenden Unterlassungsantrags sei zu beachten, dass mögliche Einschränkungen aufgrund der gesetzlichen Ausnahmen aufgenommen würden. Ansonsten reicht das Verbot aus Sicht des BGH zu weit.
Zuletzt hatte das Landgericht Dessau/Roßlau in einem ähnlich gelagerten Fall überraschend entschieden, dass ein Arzt schon wegen der lokal geringen Apothekendichte nicht an das Zuweisungsverbot gebunden ist. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Wettbewerbszentrale hat in diesem Fall bereits Berufung eingelegt. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte dagegen unlängst entschieden, dass Krankenkassen mit Ausschreibungen im Zytostatika-Bereich eine Zuweisung erzwingen können, weil der Patient hier kein Apothekenwahlrecht habe.