Soso, die Apotheker wollen ihn also festnageln. Wollen, dass er nicht ausweichen kann, sondern Farbe bekennen muss. Nicht vor 500, sondern vor 160.000 Zuschauerinnen und Zuschauern. Na, da haben sie aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dreht den Spieß um: Er kommt nicht alleine NICHT zum Deutschen Apothekertag (DAT), sondern bringt Markus Lanz mit.
Lauterbach soll Rechenschaft ablegen und beim „Tag der Antworten“ offen und ehrlich bekennen, welche Pläne er für die Apotheken hat. Mehr Geld? Mehr Leistungen? Mehr Garnix? Die Zweifel waren ja von Anfang an groß, ob Lauterbach sich überhaupt mit den sechs Fragen beschäftigen und ob er sie beantworten wird. Ob er sich nur zu wirren Lobeshymnen oder auch zu konkreten Zugeständnissen hinreißen lassen wird. Und natürlich ob er überhaupt kommt und ob die Videoleitung standhalten wird.
Weil Lauterbach ein bisschen unkalkulierbar ist (an das Ultimatum der Ärzte konnte er sich angeblich nicht mehr erinnern), hat die Abda vorgesorgt. Frontfrau Gabriele Regina Overwiening drückte ihn beim Spitzengespräch in der vergangenen Woche die kleine Liste noch einmal persönlich in die Hand. Und damit er nicht – so wie im Vorjahr – die Delegierten verschaukelt („Im Geiste bin ich mit Ihnen“), soll er diesmal auch Nachfragen gestellt bekommen, also sofern er das will.
Nun weiß man nicht, was sich die Abda denkt, was der Minister an welterschütternden oder herzzerreißenden Dingen zu sagen hat. Aber in ihrem eiskalten Kalkül haben die Verantwortlichen ihm eine Falle gestellt: Nicht nur die 450 Delegierten im Saal werden seinen Lippen hängen. Neinnein, alle 160.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den Apotheken werden genau hinhören, was er zur Lage der Nation zu sagen hat. Für drei Stunden sollen sie ihre Geschäfte schließen und einschalten bei DAT-TV. „Ziel ist, dass der Minister nicht ausweichen kann.“
Nun ja, Lauterbach hat schon die eine oder andere Rede gehalten, und vor der Fernsehkamera fühlt er sich eigentlich fast noch wohler als bei seinem Lieblingsitaliener. Was er sagt, nimmt er bekanntlich selbst nicht so genau. Und was sind schon Tausende wütende Apotheker, wenn man Millionen Corona-Gegner gegen sich hat.
Aber wenn die Abda meint, ihn in die Enge treiben zu können – bitteschön, dreht er den Spieß eben einfach um. Und so wird die Apothekergemeinde staunen, wenn die Videoleinwand eingeschaltet wird: Lauterbach wird dann nicht an seinem tristen Schreibtisch im BMG sitzen, sondern im hell erleuchteten Studio von Markus Lanz. Das ZDF hat eine Sondersendung eingeplant: „Aufstand der Apotheker: Wie sich ein tapferer Minister einer fiesen Lobbytruppe entgegenstellt.“ Nicht Lauterbach wird vor den Apothekern in den Senkel gestellt. Sondern die Apotheker vor dem versammelten Fernsehpublikum. Immerhin geht es um Versichertengelder. Und Beitragserhöhungen – also jetzt nicht Aufzahlungen – oder Leistungseinschränkungen – also ausgesprochene, nicht solche wie bei den Engpässen – will nun wirklich niemand.
Dabei stand es eigentlich zuletzt ganz gut für die Apotheken. Die Bild-Zeitung hat erkannt, dass Lauterbachs Beschwichtigungen in Sachen Lieferenpässen nicht der Realität entsprechen und gleich zu Wochenbeginn einen Auszug wichtiger Medikamente, die derzeit fehlen, abgedruckt. Zahlreiche Apotheken schickten ihre Defektlisten parallel auch an Lauterbach, auch der eine oder andere Wutbrief war darunter.
Einen Tag später wusste Bild schon vom „Aufstand der Apotheker“ gegen Lauterbach zu berichten – ein echter Ritterschlag, wenn man bedenkt, wer im Gesundheitswesen derzeit alles noch so auf die Straße geht. Wobei die Abda noch nicht bereit für eine zweite Runde ist: Erstmal „Tag der Antworten“ abwarten, dann den Tag der Deutschen Einheit und die Herbstferien. Im November wäre vielleicht noch was frei.
Dumm nur, dass die Protestwelle längst rollt. Landauf, landab lassen sich Apotheken kreative Protestideen einfallen – bis hin zum liebevoll bedruckten Kassenbon. In der Stuhlplanung zum DAT hatte die Abda offenbar keine Zeit, ein Lebenszeichen zu senden. Statt wenigstens einmal kräftig auf die Pauke zu hauen, ließ man alle Gelegenheiten verstreichen – und ließ ein kommunikatives Vakuum entstehen, das die Basis immer weiter zur Verzweiflung brachte.
Am Donnerstag rief die Freie Apothekerschaft dann zum gemeinsame Streik mit den Ärzten am 2. Oktober auf. Am Freitag kündigte der Hessische Apothekerverband (HAV) für denselben Tag eine Großkundgebung in Frankfurt an. Doch während man bei der Abda sonst die Auffassung vertritt, dass auch niedliche Zwischenaktionen wie die Postkartenaktion die volle Unterstützung verdienen, intrigierte man nun lieber im Hintergrund gegen solche vermeintlichen Alleingänge.
Denn: Protest gibt es nur, wenn die Abda es sagt. Und so lange die Abda nichts sagt, gibt es keinen Protest. Und wenn die Abda Lauterbach mit Videoküsschen hofieren will, dann wird er eben hofiert. Und wenn auch sonst kein Abgeordneter kommt, dann gehört das zum guten großen Plan, den die Schäfchen nicht verstehen. Andere Meinungen sind Polemik, Geschlossenheit ist bei der Abda eine Einbahnstraße. Was ist daran bitte so schwer zu verstehen?
So, und wenn so jetzt schon keine Lust mehr verspüren, Lauterbachs und Overwienings Auftritt am Bildschirm zu verfolgen (Iberogast wäre wieder lieferbar, nur so am Rande), dann schauen Sie sich doch einfach jetzt schon seinen letzten Auftritt beim DAT 2012 an. Immer und immer wieder. Schönes Wochenende!
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