Niemand wird gerne kontrolliert – auch nicht oder gerade nicht von den eigenen Leuten. Insofern war es verwunderlich, dass sich die Apothekerkammer Niedersachsen aktiv bemüht hat, die Aufsicht über die Apotheken zu übernehmen. Seit nunmehr zehn Jahren führen die ehrenamtlichen Pharmazieräte im Auftrag Kammer die „Besichtigungen“ durch. Die Bilanz der Kammer ist positiv, die der Apotheker ebenfalls.
Auslöser war eine Verwaltungsreform in Niedersachsen: Die CDU hatte im Wahlkampf vor der Landtagswahl 2003 versprochen, die Behörden zu verschlanken. Christian Wulff (CDU) schaffte es tatsächlich, Sigmar Gabriel (SPD) als Ministerpräsident abzulösen. Nach der Wahl wurden wie angekündigt die Bezirksregierungen als Mittelinstanz aufgelöst. Der Prozess sollte Ende 2004 abgeschlossen sein.
Damit musste auch die Aufsicht der Apotheker neu geregelt werden. Das Landesgesundheitsamt oder die Gewerbeaufsicht wären mögliche Stellen gewesen, doch die Apothekerkammer hatte sich frühzeitig ins Spiel gebracht. Man wollte in Hannover als Selbstverwaltung mehr Verantwortung übernehmen.
Vor allem in der Politik gab es zunächst Skepsis, ob man den Apothekern die Aufsicht selbst überlassen sollte. Die größte Befürchtung war, dass die nötige Unabhängigkeit fehlen würde. Doch auch innerhalb der Apothekerschaft waren nicht alle damit einverstanden, künftig von Kollegen kontrolliert zu werden.
Mit dem Sozialministerium des Landes wurden die Kostenübernahme und Personalfragen geklärt sowie die Aufgaben der Kammer definiert. Beim tatsächlichen Umzug wechselten Akten zu 2100 Apotheken in die Geschäftsstelle der Kammer, 90 laufende Meter in 240 Umzugskartons. Zusätzlich übernahm die Kammer vier Datenbanken. Ab dem 2. Januar 2005 war die Aufsicht in den Händen der Apotheker.
Organisatorisch ist die Aufsicht dem Geschäftsbericht Recht unterstellt. Leiter der zehnköpfigen Abteilung ist Dr. Reinhard Diedrich, der auch schon im Sozialministerium und in der Bezirksregierung Braunschweig tätig war. Diedrich hat auch das Punktesystem entwickelt, nach dem heute Apotheken bewertet werden.
Denn die Frequenz, in denen eine Apotheke Besuch von der Aufsicht erhält, hängt von ihrem Abschneiden bei früheren Kontrollen ab. Das Bewertungssystem ist fünfstufig: 0 Punkte erhalten Apotheken, bei denen es überhaupt nichts zu kritisieren gab. Vier Punkte gibt es bei „erheblichen“ Mängeln. Automatisch steht dann zeitnah eine erneute Besichtigung an. Damit auch vorbildliche Apotheken regelmäßig kontrolliert werden, bringt jedes verstrichene Jahr ebenfalls einen Punkt. Spätestens nach vier Jahren wird also auch eine Vorzeigeapotheke wieder von der Aufsicht besucht.
Bußgeldverfahren gegen Mitglieder werden grundsätzlich nur im Wiederholungsfall verhängt – wenn bereits kritisierte Mängel nicht abgestellt wurden. Ausgenommen sind besonders krasse Verstöße wie Abwesenheit des Inhabers oder fehlende Substanzen im Notfalldepot. Die Bußgelder bewegen sich meist zwischen 100 und 200 Euro, in krassen Fällen sind es auch einmal 2500 Euro. Sobald ein Straftatbestand berührt ist, wird der Vorgang aber sowieso an die Staatsanwaltschaft abgegeben.
Die Kammer ist vor zehn Jahren mit den Anspruch gestartet, mindestens genauso viele Besichtigungen durchzuführen wie zu Zeiten der staatlichen Kontrollen. Das ist nach Zahlen der Kammer definitiv gelungen. Seit 2005 wurden insgesamt 6216 Besichtigungen durchgeführt. Die Zahl der Kontrollen lag fast in jedem Jahr über dem früheren Durchschnitt. Die Tendenz ist zudem steigend, 2015 wurde ein neuer Rekordwert von 879 Besichtigungen absolviert. 700 pro Jahr sollen es nach den Zielen der Kammer mindestens sein, das entspricht etwa einem Drittel der Apotheken.
Doch es geht nicht nur um eine möglichst hohe Zahl: Auch die Abstände zwischen den Besuchen, deren Dauer und die Bewertungsmaßstäbe sollten möglichst harmonisiert werden. So tauschen sich die Pharmazieräte regelmäßig aus, Anwärter werden bei Besichtigungen mitgenommen. Die Niederschrift wird von einem hauptamtlichen Apotheker überprüft. Etwa 50 ehrenamtliche Pharmazieräte sind im Bundesland unterwegs. Die Sachverständigen der Kammer schlagen selbst Apothekenleiter vor, die selbst durch vorbildliche Betriebsführung aufgefallen sind.
Über alle Jahre wurden bei den meisten Besichtigungen nur wenige Mängel festgestellt, lediglich 6 Prozent fielen aufgrund „erheblicher“ Mängel bei den Kontrollen durch. Auch die Apotheker sind laut der internen Evaluierung der Kammer mit den Besichtigungen insgesamt zufrieden: Fast 94 Prozent gaben eine positive Bewertung ab, besonders häufig wurden eine kollegiale Atmosphäre, ein angemessenes Auftreten gegenüber den Mitarbeitern sowie ein verständliches Protokoll gelobt. Die meiste Kritik gab es an der Dauer.
Das mag daran liegen, dass die Prüfer nach Stundensatz bezahlt werden: Pro angefangener Stunde werden 175 Euro fällig, von denen der Prüfer 60 Euro erhält. Die Dauer sollte mit dem Ergebnis korrelieren. Etwas mehr als zwei Drittel der Besichtigungen dauern nicht länger als zwei Stunden. Bei einem mangelhaftem Zustand der Apotheke kann der Kontrolleur auch abbrechen und später wieder kommen.
Insgesamt sind die Kosten für die Kontrollen seit der Übernahme der Aufgabe durch die Kammer für die Apotheken allerdings gestiegen – vermutlich waren sie in der Vergangenheit auch nicht kostendeckend. Auch heute gleicht das Land regelmäßig eine Differenz im Budget aus, damit die Aufsicht für die Kammer kostenneutral ist. Jährlich rund 700.000 Euro sind bei der Kammer in einem getrennten Etat vorgesehen, Teile des Personals werden zudem nach wie vor von den Behörden abgestellt.
Die Besichtigungen der Apotheken sind daher nur ein Teil der Aufgaben. Approbation und Berufserlaubnis werden verliehen und gegebenenfalls wieder entzogen. Auch eine Versand- oder Großhandelserlaubnis muss bei der Kammer beantragt werden. Versorgungsverträge mit Krankenhäusern oder Heimen gehören ebenfalls dazu.
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