Radiobeitrag

RBB: Tote durch unleserliche Rezepte

, Uhr aktualisiert am 09.01.2016 08:14 Uhr
Berlin -

Dass die Handschrift von Ärzten mitunter schwer zu entziffern ist, davon kann wohl jeder Apotheker ein Lied singen. Doch sterben tatsächlich jedes Jahr tausende Menschen wegen der schlechten Handschrift von Ärzten? Dieser Frage ging der Brandenburger Radiosender „Radio Eins“ (RBB) nach – und bestätigte den ungeheuren Verdacht. Apothekerin Claudia Rückborn aus Wusterhausen war empört.

Der Beitrag wurde Freitagmorgen kurz vor acht Uhr in der Reihe „Stimmt's?“ ausgestrahlt. Darin beantwortet der Autor Christoph Drösser jeden Tag Fragen von Hörern. Diesmal war die Datenlage offenbar mau, denn der Kolumnist griff auf eine US-Studie aus dem Jahr 2006 zurück: Damals habe die Nationale Akademie der Wissenschaften eine Untersuchung durchgeführt und sei zu dem Schluss gekommen, „dass jedes Jahr 7000 Menschen in den USA an der Klaue des Arztes sterben“. Insgesamt anderthalb Millionen Amerikaner seien gesundheitlich beeinträchtigt worden.

„Rechnet man das runter auf die deutsche Bevölkerung, dann würde das bedeuten: 2000 Tote pro Jahr und etwa 400.000 Verletzte“, so Drösser weiter. Für ihn ist diese Zahl anscheinend durchaus plausibel: „Die schlechte Handschrift von Ärzten ist sprichwörtlich und wenn der Apotheker ein Rezept nicht richtig lesen kann, dann kann's passieren, dass er dem Patienten entweder das falsche Medikament gibt oder eben auch eine falsche Dosierung empfiehlt.“

Für Drösser ist klar: Handschriftliche Rezepte sind ein Anachronismus. Immerhin, bei manchen Ärzten würden Rezepte auch ausgedruckt. Noch mehr hält er offenbar von Überlegungen, das Ganze vollständig ins Internet zu verlagern, „sodass man keinen Zettel mehr in die Apotheke tragen muss“. Sowas dauere in Deutschland aber lange, schließlich gebe es eine Menge Sicherheitsbedenken, klagt er. „Und solange Rezepte noch von Hand ausgestellt werden, werden auch immer wieder Menschen sterben, weil der Arzt undeutlich schreibt.“

Das will Apothekerin Rückborn nicht akzeptieren: „Maximal 5 Prozent der Rezepte, die bei uns ankommen, sind noch handschriftlich ausgestellt“, sagt sie. Das betreffe fast ausschließlich Verordnungen, die bei Hausbesuchen ausgestellt würden. „Und wenn wir etwas nicht lesen können, dann rufen wir an und fragen nach“, betont sie. In ihrer gesamten Berufszeit sei ihr noch nicht ein Todesfall wegen schlechter Handschrift zu Ohren gekommen.

Dass die Ergebnisse aus den USA unreflektiert auf Deutschland übertragen wurde, kann Rückborn nicht nachvollziehen. Immerhin sei die Arzneimittelsicherheit hierzulande nicht mit der in den USA vergleichbar – dort würden Medikamente zum Teil an Tankstellen abgegeben.

„Mit diesem Bericht werden die Patienten unnötig beunruhigt“, kritisiert die Apothekerin. Schon kurz nachdem der Radiobeitrag lief, rief sei bei dem Sender an und beschwerte sich über den Beitrag – den kann man aber immer noch auf der Webseite des Senders nachhören. Ihre E-Mail blieb bislang unbeantwortet. „Eigentlich höre ich den Sender immer gern, aber jetzt bin ich enttäuscht“, so Rückborn.

Drösser betont, keine Zahlen behauptet zu haben – und die Zahlen mit einem deutlichen Konjunktiv hochgerechnet zu haben. „Ich wollte niemanden verunsichern.“ Auch in den USA würde er sehr vorsichtig mit den Zahlen sein, da viel geschätzt und hochgerechnet werde. „Allerdings stehe ich zu dem Satz, dass es eigentlich ein Unding sei, dass überhaupt noch handgeschriebene Rezepte ausgegeben werden“, so Drösser.

Mit Blick auf die Medikamentenversorgung in den USA erklärt Drösser, der derzeit dort lebt: „Es stimmt, dass dort die Schranken viel niedriger sind und viele bei uns zumindest apothekenpflichtige Medikamente 'over the counter' in Drogerien verkauft werden.“

Er sieht aber auch positive Unterschiede: Dass verschriebene Arzneimittel individuell abgepackt würden und für jeden Patienten persönlich die Dosierung auf einem Aufkleber vermerkt werde, sei vorbildlich. „So wird Fehldosierungen besser vorgebeugt als in Deutschland“, findet Drösser.

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