Auf Kosten der Ersatzkassen

Apotheker umgehen AOK-Retax

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Berlin -

Die AOK Bayern wälzt mit ihrem Vorgehen bei bestimmten Retaxationen eigene Kosten auf andere Krankenkassen ab. Denn Apotheken im Freistatt fühlen sich von der AOK genötigt, bei unvermeidbaren Verwürfen zu tricksen und diese Kosten anderen Krankenkassen unterzuschieben. Ein Apotheker berichtet im Gespräch mit APOTHEKE ADHOC anonym darüber, dass teilweise sogar die Dosierung angepasst werden, um eine Retaxation zu vermeiden.

Bei parenteralen Zubereitungen wird der Kasse die abrechnungsfähigen Mengen mg-genau zuzüglich eines festgelegten „Arbeitspreis“ in Rechnung gestellt. Sogenannte „unvermeidbare Verwürfe“ sind nicht weiterverarbeitungsfähige Teilmengen. Hierzu zählen auch Anbrüche, deren Haltbarkeitsangabe laut Fachinformation überschritten ist. In den Anlagen zur Hilfstaxe ist die Abrechnung der unvermeidbareren Verwürfe zwischen GKV-Spitzenverband und Deutschem Apothekerverband (DAV) geregelt.

Das Problem: Die Hersteller geben in der Fachinformation meist sehr kurze Fristen an, andere Studien legen durchaus längere Haltbarkeiten nahe. Und genau auf solche Studien beruft sich die AOK Bayern. Die Apotheker müssen also das wirtschaftliche Risiko einer Retaxation eingehen – oder das Haftungsrisiko, wenn sie einen Wirkstoff über die in der Fachinformation angegebene Haltbarkeit hinaus verwenden.

In der Arbeitsgemeinschaft Parenterale Zubereitungen (Arge PareZu) haben sich Zyto-Apotheken vornehmlich aus Bayern zusammengeschlossen. Laut einer internen Umfrage gaben alle zwölf teilnehmenden Apotheken an, teilweise massive Probleme mit der AOK Bayern zu haben, sofern es um die Abrechnung von Verwürfen geht. Zwei Mitglieder befinden sich sogar im Rechtsstreit mit der Kasse, weitere Prozesse könnten. Aber solche Verfahren sehr mühsam und langwierig, zumal die AOK augenfällig alles unternimmt, um die Prozesse zu verschleppen. Apotheker Dr. Franz Stadler etwa streitet seit vielen Jahren mit der AOK. Obwohl er seine Apotheken mittlerweile abgegeben hat, wartet er immer noch auf eine höchstrichterliche Entscheidung – und auf sein Geld.

Andere Kolleg:innen wollen sich diesen teuren und mühevollen Gang durch die Instanzen ersparen und überlegen sich Ausweichstrategien. „Wenn es geht, schiebt man die Verwürfe der Barmer oder der TK in die Schuhe“, gesteht ein Apotheker, der seinen Namen verständlicherweise nicht öffentlich machen möchte. Laut verschiedenen Aussagen aus dem Markt handelt es sich bei seinem Vorgehen aber um eine gängige Praxis.

Denn laut Hilfstaxe muss diejenige Kasse für den unvermeidbaren Verwurf aufkommen, deren Versicherter als letzter aus dem Anbruch versorgt wurde. „Und ich kann ja die Patienten ja legen, wie ich will“, schildert der Apotheker das Vorgehen. Mit anderen Worten: Die großen Ersatzkassen müssen ausbaden, dass sich die AOK Bayern nicht an die Vereinbarungen aus der Hilfstaxe hält.

Diese Ausweichmanöver gehen so weit, dass zuweilen sogar die Dosierung geändert wird, um einen Verwurf zu vermeiden. Wenn beispielsweise aufgrund der Körperoberfläche des Patienten oder der Patientin eine Dosis von 507 mg verordnet wurde, ruft der Apotheker in der Praxis an und fragt, ob er auf 500 mg reduzieren darf. Eine Abweichung von 1 oder 2 Prozent werde von den versorgenden Praxen nach seiner Erfahrung hingenommen. Überhaupt ließen sich Verwürfe über ein gutes Management und engen Austausch mit den Praxen weitgehend vermeiden, berichtet der Apotheker.

„Innerlich schließe ich mich der AOK sogar an: Denn am Ende zahlt es der Versicherte. Und wenn es wissenschaftliche Daten gibt, die eine längere Haltbarkeit belegen, dann müsste in der Apothekenbetriebsordnung eben geregelt werden, dass man sich als Apotheke darauf berufen darf“, fordert der Inhaber. Beim Wirkstoff Bortezumib etwa gebe der Hersteller eine Haltbarkeit von acht Stunden an, in der „Stabil-Liste“ ist von 28 Tagen die Rede. Auf jene „Stabil-Liste“ von Dr. Irene Krämer, die unter anderem die physikalisch-chemische Stabilität und (In-)Kompatibilität parenteraler Zytostatika angibt, beruft sich auch die AOK Bayern bei ihren Retaxationen.

Bei Antikörpern geben die Hersteller häufig 24 Stunden als Haltbarkeit an, verfolgen dabei aber einen mikrobiologischen Ansatz. In diesen Fällen kann der Apotheker die Position der AOK verstehen. Denn seit etwa zehn Jahren sind Zyto-Apotheken verpflichtet, ihre Rezepturen unter validiert aseptischen Bedingungen herzustellen. „Die Sterilität ist also durch den Herstellungsprozess gewährleistet“, so der Apotheker. Seine Forderung an den Gestezgeber: „Die Politik müsste die Hersteller in die Pflicht nehmen, die Stabilität zu belegen.“

In der Praxis habe das Thema Verwürfe an Bedeutung verloren. Aber nicht, weil die AOK nachgiebiger geworden sei, sondern allein aufgrund des Verschreibungsverhaltens der Ärzt:innen. Bei den jetzt häufig verordneten Antikörpertherapien fielen einfach seltener Verwürfe an, so der Apotheker. „Wir Apotheker hängen trotzdem in der Luft. Denn rechtlich verbindlich sind die 24 Stunden. Wenn dem Patienten etwas passiert, ist die Apotheke dran“, schildert er sein Dilemma. Ihm und vielen seiner Kolleg:innen wäre es lieber, wenn sie gar nicht rechtlich Eigentümer der verwendeten Wirkstoffe wären. Das zu ändern, wäre Aufgabe des Gesetzgebers beziehungsweise der Vertragspartner.

Tatsächlich gibt es auch laufend Änderungen: Der Wirkstoff Paclitaxel-Albumin, enthalten unter anderen in Abraxane (Bristol-Myers Squibb) und Pazenir (Ratiopharm), hatte laut den Fachinformationen bislang eine Haltbarkeit von acht Stunden nach Anbruch. Mittlerweile liegen neue Stabilitätsdaten vor, nachdem das rekonstituierte Zytostatikum nach dem ersten bis zu 24 Stunden stabil ist. Aufgrund dieser neuen Daten wird die Taxan-Verbindung aus Teil 1 Anhang 1 der Anlage 3 gestrichen.

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