„Apotheker haben zu wenig Widerstand geleistet“ Torsten Bless, 26.09.2017 09:07 Uhr
Auch nach Ausscheiden des CDU-Abgeordneten Michael Fuchs ist ein Apotheker im Bundestag vertreten. Genauer: eine Apothekerin. Die Linken-Politikerin Sylvia Gabelmann zieht es nach ihrem Einzug ins Parlament in den Gesundheitsausschuss. Sie tritt für ein Rx-Versandverbot, die Abschaffung der Rabattverträge und eine grundlegende Neuordnung des Gesundheitssystems ein.
Neben Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht ziehen elf weitere Abgeordnete aus dem NRW-Landesverband der Linken in den Bundestag ein. Gabelmann aus dem Wahlkreis Siegen-Wittgenstein stand auf Platz 9 der Landesliste. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin ihres Parteifreunds Dr. Alexander Neu konnte sie bereits in der letzten Legislaturperiode Berliner Parlamentsluft schnuppern.
Gabelmann wuchs im idyllischen Taunuskurort Bad Homburg vor der Höhe auf und begann 1977 eine Lehre als Apothekenhelferin. „Mit dem Gehalt habe ich später mein Pharmaziestudium in Frankfurt finanziert.“ Nach ihrer Approbation 1987 arbeitete sie zunächst für zwei Monate in einer Krankenhausapotheke in Saudi-Arabien, danach als Chefvertretung und später in Festanstellungen in öffentlichen Apotheken von Frankfurt.
Ihre Karriere als Apothekerin fand 2002 ein abruptes Ende. „Bei mir wurde Brustkrebs festgestellt. Ich lebte danach überwiegend in Portugal“, erzählt Gabelmann. „In den ersten Jahren war ich vor allem damit beschäftigt, wieder gesund zu werden. In dieser Zeit beschäftigte ich mich viel mit Naturheilkunde und gab Seminare in Aromatherapie.“
Aus privaten und politischen Gründen zog es sie 2008 zurück nach Deutschland, erst nach Aachen, später nach Siegen. Über die persönlichen Beweggründe mag sie nicht so viel erzählen, politisch motivierte sie die Gründung der Linken. Sie engagierte sich vor allem in der Frauen-, Umwelt-, Europa- und vor allem Friedenspolitik. „Die Gesundheitspolitik hat Schnittmengen mit all diesen Bereichen“, findet sie. „Im Gesundheitsbereich arbeiten sehr viele Frauen. Eine intakte Umwelt ist zur Gesunderhaltung essentiell. In der Europapolitik stehen die Auswirkungen des EuGH-Urteils und der Versandhandel im Vordergrund. Und Krieg schließlich ist eine Gefahr für Leben und Gesundheit schlechthin.“
Vor der Bundestagswahl 2013 ging sie noch einmal für ein halbes Jahr zurück in die Apotheke und fand dort völlig veränderte Verhältnisse vor. „Ich hatte zuvor alle Gesundheitsreformen im Beruf miterlebt. Doch die Arbeitsbedingungen hatten sich in den elf Jahren meiner Abwesenheit wesentlich verschärft. Die Qualität hatte nichts mehr mit der zu tun, die ich damals kennengelernt hatte.“ Vor allem habe sie mehr Zeit vor dem Computer als mit dem Patienten verbracht. „‚Es tut mir leid‘, musste ich ihnen sagen, ‚ich würde sie gerne persönlich beraten, aber ich muss nachschauen, von welcher Firma ich Ihnen das Medikament geben darf‘.“
Zunächst sei es dem Patienten noch möglich gewesen, das Originalpräparat zu beziehen und nur den Differenzbetrag zu zahlen, berichtet Gabelmann. „Heute muss er den vollen Betrag vorab zahlen und dann einen Antrag auf Erstattung der Differenz bei den Krankenkassen stellen. Das können sich viele nicht leisten. Auch der bürokratische Aufwand ist für viele zu hoch.“
Die Rabattverträge würden völlig intransparent ausgehandelt, ohne jegliche Beteiligung der Apothekerschaft, findet sie. „Ich frage mich, in welchem Interesse wird da gehandelt? Nicht im Interesse der Apotheker und nicht im Interesse der Patienten“, sagt Gabelmann. „Wenn Mitarbeiter schon bei einem Rezept, das eine bestimmte Höhe überschreitet, zu zittern anfangen, dann läuft etwas grundlegend schief.“
Eine Begegnung mit einem Apotheker untermauert ihre These: „Er erzählte mir, dass er eine Retaxation von 1500 Euro verkraften musste, weil seine Mitarbeiterin vergessen hatte, auf dem Rezept anzugeben, dass ein bestimmtes Zytostatikum von der im Rabattvertrag vorgesehen Herstellerfirma nicht lieferbar war.“ Alle Interventionen bei der Krankenkasse seien ohne Erfolg geblieben.
Auch die Versorgung mit Pflegemitteln habe sich rapide verschlechtert. „Ich muss sie so ausführen wie vorgegeben, selbst wenn es bedeutet, dass ich Windelhosen aus so schlechtem Material ausgeben muss, dass sie nach kurzer Zeit durchnässt sind.“
Die verschlechterten Bedingungen wirkten sich auch auf die Zusammenarbeit mit den Ärzten aus. „Ich finde, dass die Kommunikation wesentlich schlechter geworden ist“, sagt Gabelmann. „Wenn ich mal eine Nachfrage wegen einer Verordnung hatte, reagierte das Personal in den Praxen häufig sehr genervt. Das schien mir auch von Hilflosigkeit mit den Bedingungen geprägt.“
Gabelmann würde das Gesundheitssystem auf völlig neue Füße stellen. „Die Rabattverträge würde ich komplett abschaffen und eine Positivliste einführen. Es ist niemanden verständlich zu machen, warum es zum Beispiel ASS von 20 verschiedenen Firmen geben muss.“
Doch sie denkt auch in größeren Linien: „Ich möchte ein solidarisches Gesundheitssystem mit einer Kasse, in die alle gleichermaßen einzahlen, auch Beamte oder Abgeordnete, ohne Beitragsbemessungsgrenze. Wenn genug Geld da ist, kann man auch die Arbeitsbedingungen in den Apotheken verbessern“, sagt Gabelmann. „Das gilt nicht nur für die Angestellten. Auch Inhaber arbeiten an die 60 bis 70 Stunden in der Woche. Die Apotheke ist schon lange nicht mehr der Goldesel, für den ihn viele heute noch halten.“
Auch den Versandhandel aus dem Ausland mit Rx-Medikamenten will sie verbieten. Bleibe er legal, seien die Folgen dramatisch. „Dann werden vor allem die Apotheken auf dem Land schließen müssen. Die Konkurrenz aus dem Internet ist viel zu groß.“ Der Politik stelle sich nur eine Alternative: „Will ich dem Versandhandel komplett die Macht überlassen oder sehe ich es als staatliche Aufgabe, das Gesundheitswesen zu sichern?“
Ihren Berufsstand sieht Gabelmann mit in der Verantwortung: „Die gesamte Apothekerschaft hat versucht, nach den Reformen im jeweils neuen Rahmen irgendwie zu funktionieren. Sie hat viel zu wenig Widerstand geleistet.“ Jetzt werde es umso schwerer, die Auswirkungen des Versandhandels abzuwenden. Prekäre Verhältnisse gebe es auch in der Kranken- und der Altenpflege. „Wir müssen da gemeinsam, über alle Bereiche hinweg Widerstand leisten und dürfen uns nicht auseinander dividieren lassen.“
Im Bundestag versteht sie sich als Ansprechpartnerin für die Apotheker. Noch sind in der neuen Fraktion die Zuständigkeiten nicht verteilt. „Ich werde aber versuchen, in den Gesundheitsausschuss zu kommen.“ Als wissenschaftliche Mitarbeiterin konnte Gabelmann schon Erfahrungen mit dem viel beschworenen „Raumschiff Berlin“ sammeln. „Der Bundestag ist ein abgeschlossener Mikrokosmos, da kann man nur staunen. Mit der realen Welt haben viele Abgeordnete nichts mehr zu tun.“ Das soll ihr nicht passieren. „Ich will in engen Kontakt mit den Basisgruppen bleiben und mich von ihnen weiter mit Informationen versorgen lassen.“