Rezeptfälscherbande: Apotheker gesteht – zu wenig Patrick Hollstein, 14.09.2021 11:39 Uhr
In Berlin hat ein weiterer Prozess im Zusammenhang mit der Rezeptfälscherbande um Klaus H. begonnen. Angeklagt ist Ulrich C., Inhaber einer Apotheke in Lichtenberg. Um auf den angestrebten Vergleich mit der Staatsanwaltschaft hinzuwirken, hat sich der Apotheker ausführlich zur Sache geäußert. Doch der Richterin reichte das nicht.
C. wird vorgeworfen, sich als Mitglied einer Bande unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und Urkundenfälschung systematisch auf Kosten Dritter bereichert zu haben: In 46 Fällen soll C. zwischen August 2013 und Juni 2017 wissentlich und gegen Kick-Back-Zahlungen gefälschte Rezepte eingelöst und abgerechnet haben. In 31 weiteren Fällen soll er Medikamente übernommen und weiterveräußert haben, von denen er wusste, dass sie mit gefälschten Rezepten in anderen Apotheken erworben wurden. In beiden Szenarien soll es vor allem um Hochpreiser gegangen sein. Den Gesamtschaden für die Krankenkassen beziffert die Staatsanwaltschaft auf 887.000 Euro.
Bereits im März hatten laut der Vorsitzenden Richterin erste Gespräche über eine Verständigung stattgefunden, allerdings gebe es noch Uneinigkeit darüber, welche Fälle in welchem Umfang eingestellt werden könnten. Zum Prozessauftakt gab sie dem Apotheker die Möglichkeit, sich zu der Sache einzulassen.
C. nutzte die Gelegenheit, um ausführlich seinen persönlichen Werdegang zu beschreiben und zu erklären, wie er in die Sache geraten sei. Nach der Approbation 1987 habe er zehn Jahre lang als angestellter Apotheker gearbeitet, bevor er 1998 die Gelegenheit erhielt, seine heutige Apotheke im Bezirk Lichtenberg zu übernehmen. „Mein Ziel war schon immer die Selbstständigkeit mit einer öffentlichen Apotheke.“
Von Anfang an hätten ihn die wirtschaftlichen und kaufmännischen Aspekte der Arbeit am meisten interessiert, dies sei seit jeher auch seine Stärke gewesen, so C. Gemeinsam mit anderen Apothekern habe er eine Einkaufsgemeinschaft auf die Beine gestellt, die mit zunehmendem Erfolg agierte und bessere Konditionen bei den Herstellern aushandelte als der Großhandel.
Er habe die Sache immer weiter professionalisiert und schließlich ein bis zwei Leute in seiner Apotheke nur dafür beschäftigt. Verkaufte er anfangs nur Überhänge seines eigenen Apothekenbedarfs, fragte er später im Vorfeld der Vertreterbesuche telefonisch den Bedarf der Kollegen ab. 2005 erhielt er sogar eine Großhandelserlaubnis.
Irgendwann um das Jahr 2012 herum habe ihm dann ein Pharmareferent mit Klaus H. in Kontakt gebracht. Nach einem ersten Testballon arbeitete man fortan kontinuierlich zusammen, wobei H. auf ausgiebigen Reisen in Deutschland und Europa Bezugsquellen erschloss und etwa Kurzläufer, beschädigte Packungen oder Ware aus Österreich mit Rabatt lieferte. Die Auswahl sei dabei angepasst worden an das, woran der Großhandel gerade Interesse hatte. Irgendwann habe sein Steuerberater ihn darauf hingewiesen, dass die Fremdpositionen in der Bilanz störten, so C. Daher habe man sich verständigt, die Provision als Verbandsstoffe und Inkoprodukte auszuweisen.
Ende 2014 oder Anfang 2015 habe H. dann beiläufig zwei Rezepte eine Bekannten eingelöst. Das war laut C. nicht ungewöhnlich, schon zuvor habe H. den Bedarf seiner Familie in seiner Apotheke gedeckt. Dann tauchten immer mehr solcher Rezepte auf, aber stets Kleinstartikel und nie Hochpreiser, wie C. versicherte.
Nachdem das eine Weile so gegangen sei, habe H. ihm berichtet, dass sein Bekannter im Krankenhaus gewesen sei und dort seine Medikamente bekommen habe. „Wenn Sie etwas davon für die Apotheke brauchen können, wäre dem armen Hund mit etwas Geld geholfen“, erinnerte sich C. wörtlich an die Aussage von H.
Von da an habe man Geld mit sogenannten „zwischenbezogenen Rezepten“ gemacht, also Verordnungen über Arzneimittel, die nicht gebraucht wurden. Weitere Bekannte von H. seien dazu gekommen. 30 Prozent Kick-Back habe er erhalten, räumte C. ein. Die Abstände seien aber realistisch gewesen, die Rezepte auch sonst plausibel und unauffällig. Immerhin sei auch seinen Mitarbeitern oder dem Rechenzentrum und den Krankenkassen nichts aufgefallen. Er habe sich daher keine Gedanken gemacht, woher die Rezepte stammten. Denn noch dazu habe H. ihm immer wieder detailliert von den Lebensumständen der betroffenen Patienten erzählt.
Parallel sei die bisherige Geschäftsbeziehung zu H. weiter gelaufen. Daher habe er sich auch über die von H. angebotenen Medikamente keine Gedanken weiter gemacht, so C. Schließlich hätten sich die Rabatte im normalen Rahmen bewegt. Und überhaupt: Warum hätte H. so ausgedehnte Reisen unternehmen müssen, wenn er die „Hardware“ (Packungen) tatsächlich mit gefälschten Rezepte beschaffte? Und warum hätte es dann immer wieder Probleme bei der Lieferung gegeben?
Ende 2015 habe er einen Anruf von der AOK Nordost erhalten, bei dem er auf einen möglichen Rezeptbetrug im Zusammenhang mit dem ersten Patienten aufmerksam gemacht worden sei. Sofort habe er H. zur Rede gestellt, so C. Der habe überrascht getan und ihm versichert, dass die gelieferten Packungen zu 1000 Prozent sauber seien. Noch immer frage er sich, wie H. all das auf die Beine gestellt habe, so C. Immerhin sei sein Geschäftspartner sonst eher planlos und mitunter auch naiv gewesen.
Erst als Apotheke und Wohnhaus im Juli 2017 durchsucht wurden, sei ihm das ganze Ausmaß bewusst geworden, so C. Er sei völlig durch den Wind gewesen, seine Hände hätten geflattert, er habe nicht schlafen können. Er habe sich in die Arbeit geflüchtet, versucht, mit den Kassen eine Einigung zu erzielen und den Schaden zurückzuzahlen. Anfangs habe er auch größere Raten überweisen können, doch nach der Berichterstattung habe er seinen Großhandel aufgeben und Mitarbeiter entlassen müssen. „Niemand wollte mehr Arzneimittel von mir kaufen.“
Er zahle noch immer in kleineren Raten, werde sein Elternhaus, eine Eigentumswohnung und ein Mehrfamilienhaus verkaufen, die eigentlich als Altersvorsorge für ihn und seine Frau gedacht gewesen seien, so C. Doch die Situation sei schwer. Sein Steuerberater habe ihm von Anfang an geraten, in Insolvenz zu gehen. „Aber ich bin mir sehr bewusst, dass ich durch mit unkritisches Verhalten Straftaten Vorschub gegeben und einen eigenen Anteil daran zu haben.“
Er habe sich durchgekämpft, weil er den Schaden wieder gutmachen wolle. Das sei seine Art, mit seinem Fehlverhalten umzugehen. Doch jetzt sei er so erschöpft, dass er die Apotheke verkaufen und mit dem Erlös seine restlichen Verbindlichkeiten begleichen wolle.
Warum er sich verlocken ließ, darüber habe er sehr viel nachgedacht. Im Grunde seien seine damaligen Geldsorgen schuld, er habe sich mit der Übernahme des Mehrfamilienhauses übernommen und wegen der schlechten Zahlungsmoral der Mieter seinen Kreditverpflichtungen nicht nachkommen können. Es sei ihm nie darum gegangen, die Erträge aus den zweifelhaften Geschäften immer weiter steigern zu wollen. „Ich bin nicht der Apotheker, der immer mehr wollte.“ Er habe auch nie auf großem Fuß gelebt.
Der Großhandel sei die Jagd nach guten Gelegenheiten, so C. ganz am Schluss seiner Einlassungen. „Vielleicht habe ich deswegen aus dem Auge verloren, wo die Grenze zwischen erlaubt und verboten liegt.“
Die Richterin nahm die Aussagen mit Erstaunen zur Kenntnis: „Das wirkt nicht wie eine geständige Einlassung und ist nicht das, was wir uns unter einem Geständnis im Sinne der Anklage vorstellen.“ Wenn es zu einer Verständigung kommen solle, müsse etwas anderes her, so ihre unmissverständliche Ansage.
Und auch die Aussagen der ersten Zeugin passten teilweise nicht zu dem, was C. ausgesagt hatte. In Threema-Chatverläufen seien „relativ konkrete Absprachen“ zwischen C. und H. protokolliert. Auch habe man Überweisungen von H.s Konto in Höhe von 1,6 Millionen Euro dem Apotheker zuordnen können. Bei der Durchsuchung im Juli 2017 seien Geldrollen im Wert von 80.000 Euro in bar gefunden worden, auf denen man Fingerabdrücke von H.s Lebensgefährtin gefunden habe und die daher als Beweismittel für die Kick-Back-Zahlungen anzusehen seien. Diese hätten auch nicht nur bei 30 Prozent gelegen, sondern je nach Verbleib der Ware teilweise bei bis zu 70 Prozent.
Alleine im Tatkomplex der „Hehlerei“ gehe es entsprechend des im Hauptsacheverfahren gegen H. eingegrenzten Tatzeitraum um 1,5 Millionen Euro, wovon ein Drittel dem Apotheker als Taterlangungen zuzuordnen seien. Im Zusammenhang mit dem Rezeptbetrug sei von einem Schaden von mehr als 500.000 Euro, in der Summe also um rund 970.000 Euro. Einen Teil hätten sich die geschädigten Kassen schon über vertragliche Vereinbarungen oder Retaxationen zurückgeholt, wobei sie teilweise zivilrechtlich auch weitere Rezepte beanstandet hätten.
In Abzug gebracht werden müssten bei einer Verständigung auch die im März 2018 bereits beschlagnahmten Vermögenswerte: C.s Landrover habe man gegen Barzahlung freigegeben, Uhren hätten sich wertlose Replikate herausgestellt und einen Oldtimer wolle der Apotheker selbst verkaufen. Vor allem mit den Immobilien werden derzeit eventuelle Ansprüche gesichert.