Die Grünen sorgen sich um die flächendeckende Versorgung mit Arzneimitteln. Deshalb wollen sie nicht länger über das Rx-Versandverbot sprechen, sondern endlich über eine Strukturreform. Apotheker sollen notfalls ihre Apotheke aufgeben und sich in Zentren mit Ärzten zusammentun, schlägt Gesundheitspolitikerin Kordula Schulz-Asche im Gespräch mit APOTHEKE ADHOC vor.
ADHOC: Die Stunde der Wahrheit naht. Wenn Sie wetten müssten: Bringt Gesundheitsminister Spahn das Rx-Versandverbot doch noch?
SCHULZ-ASCHE: Wir gehen alle davon aus, dass das nicht sein Lieblingsthema ist. Im Grunde will er es nicht. Die ABDA ist nach dem Vorstoß von Ex-Minister Gröhe und dem Koalitionsvertrag natürlich auf dem Thema festzementiert – die können doch gar nicht mehr davon abrücken, da mache ich den Apothekern gar keinen Vorwurf. Diese Blockade muss die Politik selbst lösen. Wenn die Apothekerschaft Pech hat, passiert über vier Jahre lang gar nichts.
ADHOC: Das war lange das, was die ABDA – Honorarforderungen ausgenommen – wollte.
SCHULZ-ASCHE: Wenn wir so weiter machen, dann gibt es irgendwann nur noch Versandhandel und gar keine Apotheken mehr, außer ein paar an großen Ärztehäusern oder Kliniken. Und sonst sind alle tot. Wenn man das ändern will, brauchen wir gerade im ländlichen Raum eine Strukturreform mit Gesundheitsnetzwerken. In solche Zentren müssen die Apotheker von Anfang an miteinbezogen werden, zusammen mit den Hausärzten, den ambulanten Pflegediensten aber auch anderen Gesundheitsberufen wie Physiotherapeuten. Nach Möglichkeit alles konzentriert an einem Standort und wenn die Apotheke woanders ist, soll sie ihren Standort aus der Fußgängerzone eben verlegen oder eine Filiale gründen.
ADHOC: Die Versorgung zentrieren – ist das Ihre Lösung?
SCHULZ-ASCHE: Wir haben einen guten Überblick über die Verteilung der Ärzte. Und die Probleme sind seit 15 Jahren bekannt. Jetzt schließen überall die Einzelpraxen und mit ihnen verschwinden die Apotheken. Die einzige Lösung für den ländlichen Raum sind Gesundheitszentren, wo die Hausärzte mit angestellten Ärzten arbeiten.
ADHOC: Und angestellten Apothekern?
SCHULZ-ASCHE: Das ist mir völlig wurscht. Wenn jemand einen Apotheker anstellen will, dann soll er das machen. Meine Idee ist eigentlich, dass man die Apotheker vor Ort mitnimmt und die ihren Standort in die Gesundheitszentren verlegen. Heute haben wir das Problem, dass auch in den Ärztezentren überall noch Einzelpraxen sind. Die jungen Mediziner – und das wird bei den Apothekern nicht anders sein – gehen aber nicht in den ländlichen Raum und kaufen sich eine Arztpraxis oder Apotheke und ein Haus dazu. Die wollen nicht mehr zehn Stunden am Tag arbeiten und nachts rausgeklingelt werden. Die Mehrzahl sind Frauen, die haben berufstätige Partner oder sind in der Phase der Familiengründung. Damit werden die klassische Strukturangebote von den jungen Leuten nicht mehr gefragt. Die brauchen einen anderen Rahmen. Seit 15 Jahren sage ich der Kassenärztlichen Vereinigung: Die Einzelpraxis ist tot und ihr könnt die nicht künstlich aufrecht erhalten.
ADHOC: Was ist für Sie typisch Apotheker?
SCHULZ-ASCHE: Apotheker sind ausgeprägte, starke Individualisten und jeder hat eine spezielle Idee für seine Versorgungslage. Die wissen genau, was sie tun.
ADHOC: Hat die inhabergeführte Apotheke für Sie einen Wert an sich?
SCHULZ-ASCHE: Ich habe überhaupt nichts gegen private Interessen. Aber auch inhabergeführte Apotheker arbeiten doch mit angestellten Apothekern. Das ist ja der Normalfall, anders als in ärztlichen Praxen. In einem Zentrum brauchen Sie sicher jemanden in der Führung, der fachlich geschult ist, aber Sie brauchen auch jemanden, der das Ganze administrativ und ökonomisch leitet. Man muss nur bereit sein, zusammen zu arbeiten und dann dafür eine Lösung finden.
ADHOC: Was sagt denn die ABDA zu Ihrem Konzept?
SCHULZ-ASCHE: Keine Ahnung.
ADHOC: Reden die nicht mit Ihnen?
SCHULZ-ASCHE: Doch, permanent, erst neulich über das E-Rezept, das ich sehr unterstütze. In den Versorgungsfragen hat die ABDA derzeit aber andere Schwerpunkte, vor allem das Rx-Versandverbot. Gleichzeitig lehnt sie es ab, über das Gutachten aus dem Bundeswirtschaftsministerium zu reden. Ich kann nicht beurteilen, ob die gegebenen Empfehlungen richtig oder falsch sind, solange wir weder im Parlament noch im Gesundheitsausschuss darüber reden.
ADHOC: Grob über den Daumen: 1 Milliarde Euro bei den Apothekern einzusparen, erscheint Ihnen das sinnvoll?
SCHULZ-ASCHE: Ich hätte den Gutachtern empfohlen, das nicht als Einsparung, sondern als Reinvestitionspotenzial zu sehen. Denn wir brauchen die Strukturveränderung und die kostet natürlich auch Geld. Wenn es in einer Region nur noch einen einzigen Apotheker gibt, dann benötigt der eine strukturelle Unterstützung, damit er sich in ein Netzwerk einbringen oder selbst eines aufbauen kann. Für solche Dinge braucht man eine Anschubfinanzierung, das gilt auch für Apotheker. Wenn man reicheren Apotheken etwas wegnimmt, um so etwas zu finanzieren, bleibt es im System der Apotheken. Ob die eine Milliarde richtig geschätzt ist oder nicht, weiß ich nicht, das Entscheidende ist, dass wir mal darüber reden, was wir eigentlich für die Versorgung benötigen.
ADHOC: Das Gutachten wird doch voraussichtlich jetzt im Wirtschaftsausschuss besprochen.
SCHULZ-ASCHE: Die werden es unter wirtschaftlichen Aspekten beraten. Die Strukturreformdebatte brauchen wir aber in der Gesundheitspolitik. Wir haben uns jetzt ziemlich ausführlich mit dem Gutachten befasst und uns das vorstellen lassen. Ob man einzelne Leistungen in Euro und Cent berechnen kann, da bin ich sowieso immer skeptisch. Aber in einem regionalen Versorgungskonzept mit angestellten Apothekern könnte die Grundversorgung definiert und pauschal vergütet werden. Dazu müssen wir aber erstmal anfangen, über Leistungen zu sprechen. Dass das im Gesundheitsausschuss nicht möglich sein soll, halte ich für zutiefst undemokratisch und für eine Form Lobbyarbeit einzelner Ausschussmitglieder.
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