Am 26. Mai hatte Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG), die Krankenkassen unmissverständlich vor Retaxationen in der Zytoversorgung gewarnt. Ab sofort gelte für Patienten wieder die Apothekenwahlfreiheit, teilte das BMG mit. Das kümmert die in der Arbeitsgemeinschaft parenterale Zubereitungen (Arge Parezu) zusammengeschlossenen Kassen – Barmer, TK und KKH – aber nicht. Sie bestehen auf Exklusivität ihrer Zyto-Verträge während der dreimonatigen Übergangszeit bis Ende August und drohen mit Retaxationen.
Genau eine Woche nach dem Stroppe-Brief erhielten mehrere Apotheken von der Arge Parezu jetzt Post mit einem am 2. Juni datierten Schreiben mit dem Betreff: „Exklusivität der Verträge der Arge Parezu bis zum 31. 8. 2017.“ Darin teilen die Krankenkassen ebenso unmissverständlich ihre gegenteilige Rechtsauffassung mit: Es gelte weiterhin die höchstrichterliche Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG), das „einen fehlenden Vergütungsanspruch des Apothekers für Zytostatika-Zubereitungen bei exklusiven Lieferverträgen der Krankenkassen mit Apotheken festgestellt hat.“
Das BSG habe bei seiner Entscheidung den Aspekt der Apothekenwahlfreiheit gewürdigt. „Damit besteht für die geschlossenen Verträge der Arge Parezu bis zum 31. 8. 2017 weiterhin Exklusivität“, steht dort fett gedruckt zu lesen. Nicht lieferberechtigte Apotheken, die ein Rezept über eine parenterale Zubereitung in der Onkologie erhielten, erwürben damit „keinen Vergütungsanspruch“ bei der Herstellung der Rezepturen.
„Es besteht daher ein erhöhtes Retaxierungsrisiko für nicht lieferberechtigte Apotheken“, heißt es in dem Schreiben. Apotheken sollten sich vor Belieferung eines Zyto-Rezeptes „tagesaktuell“ auf dem Portal arge-parezu.de informieren, um Unstimmigkeiten in der Abrechnung zu vermeiden. Ausschlaggebend für die Lieferberechtigung sei die Postleitzahl der verordnenden Arztpraxis.
Damit setzen sich Barmer, TK und KKH über die Rechtsauslegung des BMG hinweg. Wie das BMG darauf reagiert, ist bislang nicht bekannt. In seiner mahnenden Erklärung hatte Staatssekretär Stroppe gegenüber dem GKV-Spitzenverband klargestellt, dass ab sofort bei der Versorgung von Krebspatienten wieder die freie Apothekenwahl gelte. Retaxationen seien nicht zulässig.
Er teile hiermit „die geltende Rechtslage mit der Bitte um Beachtung mit“, schrieb Stroppe an den stellvertretenden Vorsitzenden des GKV-Spitzenverbandes Johann-Magnus von Stackelberg. Die Exlusivverträge seien mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) „gestrichen“.
„Die Exklusivität noch bestehender Verträge ist unmittelbar mit Inkrafttreten des AMVSG entfallen“, so Stroppe. „Die Versicherten sind ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verpflichtet, die verordneten Zytostatika ausschließlich über die exklusive Vertragsapotheke der Krankenkassen zu beziehen.“ Vielmehr könnten auch andere Apotheken die Versorgung sicherstellen.
„Vor diesem Hintergrund lässt das AMVSG im Rahmen der dreimonatigen Übergangsfrist auch keinen Raum für die Retaxation von Abrechnungen von Apotheken, die keinen Zuschlag im Ausschreibungsverfahren erhalten haben, da die bestehenden Verträge keine Exklusivität mehr haben“, schreibt Stroppe.
Auch die Entstehung des AMVSG lasse keinen anderen Schluss zu. Es sei Ziel, die wohnortnahe Versorgung mit Zytostatika durch die Abschaffung der Exklusivität zu stärken. Das Ende der Exklusivität laufender Verträge entspreche daher „Sinn und Zweck“ der gesetzlichen Regelung. Die Möglichkeit in der Versorgung von Krebspatienten, ihre Apotheke frei wählen zu könnten, solle „nicht beschränkt“ werden.
„Die beschlossene Übergangsfrist von drei Monaten für Altverträge dient daher gerade nicht dem Fortbestand der Exklusivität, sondern dem Vertrauensschutz für eine geordnete Abwicklung der noch bestehenden Verträge“, so Stroppe weiter. Für eine andere Rechtsauslegung gibt es aus Sicht des BMG keine Begründung. Der Grundsatz der Apothekenwahlfreiheit bleibe „vorrangig“.
Zuvor hatte schon die Parlamentarische Staatssekretärin im BMG, Annette Widmann-Mauz (CDU), die Haltung ihres Hauses sehr deutlich zum Ausdruck gebracht: Das freie Apothekenwahlrecht und der Wegfall der Versorgungsexklusivität gelte auch für solche Verträge, die in Kenntnis der bereits im Gesetzentwurf vorgesehenen Streichung der Exklusivverträge kurzfristig vor Inkrafttreten des AMVSG geschlossen worden seien, schrieb sie an den Bundestagsabgeordneten Tino Sorge. „Insoweit ist auch keine Umgehung der kommenden gesetzlichen Regelungen durch kurzfristige Vertragsabschlüsse realisierbar“, so Widmann-Mauz.
In einer früheren Fassung des AMVSG sollte die sofortige Wiederherstellung der Apothekenwahlfreiheit sogar explizit ins Gesetz aufgenommen werden. Dass dieser Passus später wieder gestrichen wurde, sehen die Kassen jetzt als Beleg, dass der Gesetzgeber ihnen die Übergangsfrist einräumen möchte. Sie berufen sich vor allem auf ein Urteil des Bundessozialgerichts, dass die Exklusivität der Verträge 2015 bestätigt hatte.
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