Vor Bürgerschaftswahl

Apothekensterben: SPD und Grüne fordern finanzielle Entlastung

, Uhr
Berlin -

Apothekenschließungen sind kein rein ländliches Problem; bundesweit machen Betriebe dicht – auch in der Millionenstadt Hamburg. Dagegen versprechen die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen nun kurz vor der Bürgerschaftswahl eine neue Initiative. Laut einem Antrag soll der Senat sich auf Bundesebene für eine Prüfung und Erhöhung des Fixums einsetzen.

„Apotheken spielen bei der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung eine wichtige Rolle, übernehmen neben der flächendeckenden Arzneimittelversorgung aber auch Aufgaben der Vermittlung und Stabilisierung von sozialer Infrastruktur, sichern die Arzneimitteltherapien und übernehmen spontan essenzielle Aufgaben in Krisenzeiten“, heißt es in dem Antrag. Doch diese Selbstverständlichkeit stehe auf dem Spiel. Durch die sinkende Apothekendichte müssten deutschlandweit mehr als zwei Millionen Patient:innen deutlich längere Anfahrtswege in Kauf nehmen.

Neben dem generellen Fachkräftemangel, den anhaltenden Lieferengpässen und dem steigenden Beschaffungsaufwand belastet auch die Beratung der Patient:innen die Apotheken zunehmend. Zudem steigen die Kosten für Miete, Strom und Dienstleistungen, was die Belastung weiter verstärkt. Auch die Erhöhung der Tarifgehälter um rund 10 Prozent trägt zur wirtschaftlich angespannten Lage vieler Betriebe bei. Viele Apotheker:innen zahlten ihren Mitarbeitenden sogar Gehälter, die rund 20 Prozent über dem Tarif liegen, da sich sonst kaum Fachkräfte finden ließen. Gleichzeitig sei der Wunsch nach Teilzeitarbeit besonders hoch, was zusätzlichen Aufwand bei der Personalplanung mit sich bringe.

Skonto-Urteil und Kassenabschlag

Auch das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Beschränkung der Skonti bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf maximal 3,15 Prozent schränke die Verhandlungsmöglichkeiten der Apotheker:innen mit Großhändlern über Preisnachlässe erheblich ein. Laut Berechnungen der Treuhand Hannover könnte eine durchschnittliche Apotheke dadurch jährlich rund 22.000 Euro an Betriebsergebnis einbüßen.

Gleichzeitig leide die Branche seit mindestens elf Jahren unter einer chronischen Unterfinanzierung: „Die letzte Anpassung des Apothekenhonorars an die Kostenentwicklung fand vor zehn Jahren statt. Durch das im Jahr 2022 beschlossene GKV-Finanzstabilisierungsgesetz wurde diese Preisanpassung reduziert, sodass sich die Vergütung heute auf dem Stand von vor 20 Jahren befindet. Dies gilt es dringend an die wirtschaftliche Realität anzupassen“, heißt es in dem Antrag.

Vorfinanzierung von Hochpreisern

Zudem führe die Vorfinanzierung von Präparaten, die im Einkauf der Apotheken über 1200 Euro liegen, zu einer existenziellen Bedrohung. „Mit jeder Ausgabe eines Hochpreisers steigt das Risiko einer Retaxation. Dabei handelt es sich um die Erstattung von Arzneimitteln, die bereits an die Patient:innen abgegeben und ärztlich verordnet wurden, aber von den gesetzlichen Krankenkassen aus verschiedenen Gründen verweigert werden.“

Häufige Ursachen für Retaxationen seien fehlende Arztunterschriften oder Gültigkeitsüberschreitungen. Allerdings retaxierten Krankenkassen in der Realität auch schon beim Auftreten minimaler Verwaltungsfehler, kritisieren die Parteien. Mit dem steigenden Zeit- und Leistungsdruck im Alltagsgeschäft der Apotheken selbst und den rezeptausstellenden Arztpraxen, komme es deshalb vermehrt zur Ablehnung der Erstattungen.

„Jeder Widerspruch einer solchen Retaxation kostet wiederum Zeit und Personal, das nicht da ist. Durch das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz wurden die Möglichkeiten der Krankenkassen für Retaxationen bereits in vielen Fällen eingeschränkt.“

Wegen des hohen finanziellen Risikos bei Hochpreisern verzichten immer mehr Apotheken darauf, diese vorrätig zu halten, da sie das Risiko nicht tragen können. Da viele Betriebe im Umland bereits keine hochpreisigen Medikamente mehr anbieten, müssen dort ansässige Patient:innen in der Stadt versorgt werden. Dies erhöht den Druck auf die Hamburger Apotheken zusätzlich – mit der Reduzierung vorrätiger Hochpreiser droht nun ein Versorgungsengpass.

Die Finanzierungsstruktur der Krankenkassen sei nicht darauf ausgelegt, Hochpreiser vorzufinanzieren. Da dies für Apotheken kein typisches Handelsgeschäft darstelle, übernehmen Banken die Finanzierung oft nicht – es passe nicht zu ihren Risikomaßstäben. Eine kurzfristige Zwischenfinanzierung zwischen Rechnungsstellung und Zahlung durch die Krankenkasse könnte Abhilfe schaffen.

Bundesregierung gefordert

„Wirkt man dem Apothekensterben nicht entgegen, wird es zukünftig kaum noch örtliche Apotheken im Stadtteil geben sondern vermehrt Versandapotheken, denen all die sozialen Funktionen fehlen, die den Behandlungserfolg von Patient:innen maßgeblich beeinflussen können“, warnen die Antragssteller.

Deshalb solle sich der Senat auf Bundesebene dafür einsetzen, die Apothekenhonorare und den Kassenabschlag in einem angemessenen Maß anzupassen, um eine flächendeckende Apothekenstruktur zu stabilisieren. Zudem müsse geprüft werden, wie eine Vorfinanzierung hochpreisiger verschreibungspflichtiger Arzneimittel ermöglicht und das Haftungsrisiko bei Herstellerinsolvenz auf die Krankenversicherungen übertragen werden kann.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch
Neuere Artikel zum Thema
Mehr zum Thema
ApoRetrO – der satirische Wochenrückblick
Exklusiv: Karl Lauterbach – das Leben danach
Mehr aus Ressort
Podcast NUR MAL SO ZUM WISSEN
Fixum. Fokus. Tino Sorge.
„Keine unbeschränkten Rabatte“
Phagro: Positionspapier gegen Skonto-Freigabe
Weiteres