Apotheken ohne Apotheker als Schlüssel gegen das Apothekensterben? Dr. Christian Knobloch von der Forschungsstelle für Apothekenwirtschaft der Universität Duisburg-Essen hat sich darüber Gedanken gemacht. Er erläutert, welche Standorte vom Light-Konzept von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) profitieren könnten – und warum das Konzept auch Nachteile für den PTA-Beruf mit sich bringt.
ADHOC: Mehr als 500 Schließungen in einem Jahr – ist aus Ihrer Sicht von einem Sterben der Landapotheken zu sprechen?
KNOBLOCH: Es schließen sowohl Apotheken in ländlichen als auch in städtischen Regionen. Am Beispiel von Baden-Württemberg sehen wir in einer aktuellen Untersuchung unserer Forschungsstelle deutlich, dass von einem reinen Landapothekensterben nicht die Rede sein kann. Im Schnitt schlossen eher Apotheken, die eine geringe Entfernung zur nächsten Konkurrenzapotheke aufwiesen und in dichter besiedelten Gebieten lagen.
Nichtsdestotrotz ist die Schließung einer Apotheke auf dem Land in der Regel schwerer zu verkraften als die Schließung einer Apotheke in der Stadt, wo es im nahen Umkreis eventuell Alternativen gibt. Unter den baden-württembergischen Apotheken, die im Beobachtungszeitraum von Ende 2022 bis Anfang 2024 geschlossen haben, waren elf Apotheken die einzigen in ihrer Gemeinde, 17 Apotheken waren die vorletzten.
Laut der Apothekerkammer Baden-Württemberg gab es zu Beginn des Jahres 2024 noch 2.211 öffentliche Apotheken im Bundesland, 88 weniger als im Vorjahr. Laut Kammer haben sich die jährlichen Schließungen im Bundesland in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Insgesamt sank die Zahl der öffentlichen Apotheken in Baden-Württemberg um über 16 Prozent seit 2014.
ADHOC: Können Sie vor diesem Hintergrund der Idee von Light-Filialen etwas abgewinnen?
KNOBLOCH: Wenn dadurch die Arzneimittelversorgung auf dem Land verbessert wird, ist das erst einmal positiv. Allerdings ist das Ausschlaggebende, dass die Betriebskosten einer solchen „Apotheke light“ ohne angestellten Approbierten und ohne Labor geringer sind. Daher ist der Fall denkbar, dass eine Filiale in der Light-Form neben eine Einzelapotheke gesetzt wird und dieser Konkurrenz macht. Die Light-Filiale hätte aufgrund der günstigeren Kostenstruktur einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Einzelapotheke.
ADHOC: Glauben Sie denn, dass PTA der Aufgabe gewachsen sind?
KNOBLOCH: Schon heute ist die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch PTA möglich – entweder unter Aufsicht oder seit 2023 auch „auf Vertrauen“. Dass die Aufsicht durch einen Apotheker derzeit in allen Apotheken immer gewährleistet ist, wage ich zu bezweifeln.
Allerdings werden sich auf dem angespannten Arbeitsmarkt gar nicht so leicht alle qualifizierten PTA finden lassen, die dann diese „Apotheken light“ besetzen.
Und das Fehlen des Labors in einer solchen „Apotheke light“ kann auch als Beschneidung des Tätigkeitsfelds der PTA gesehen werden, die diesen Beruf unattraktiver macht.
ADHOC: Aus juristischer Sicht wird außerdem kritisiert, durch „Apotheke light“ verliert das Fremdbesitzverbot seine Rechtfertigung.
KNOBLOCH: Ich halte das Fremdbesitzverbot grundsätzlich für gut. Was ich im deutschen Apothekensystem beziehungsweise bei vielen der darin befindlichen Personen kritisch sehe, ist der Wille, den Status quo um jeden Preis zu bewahren. Keine Branche in Deutschland ist in den letzten Jahren ohne tiefgreifende Veränderungen ausgekommen.
Insbesondere die Standesvertretung tut aber so, als könne man sich dem verschließen, und scheint ihre ganze Energie in die Forderung nach einer besseren Vergütung zu investieren. Unabhängig davon, wie man zu dieser Forderung steht, entsteht dadurch der Eindruck, dass bitte alles so bleiben soll wie bisher – nur mit mehr Geld. Das wird aber nicht funktionieren.
ADHOC: Was schlagen Sie vor?
KNOBLOCH: Man kann zur geplanten Apothekenreform von Herrn Lauterbach stehen, wie man will, aber aus meiner Sicht ist unstrittig, dass der Minister zumindest versucht, etwas zu bewegen. Dies könnte man zum Anlass nehmen, in eine konstruktive Diskussion zu gehen, auch in den eigenen Gremien, und nicht von Tag 1 an eine Fundamentalopposition zu betreiben, die alle Brücken zur Politik abbricht.
ADHOC: Was braucht eine Apotheke in Deutschland heute, um wirtschaftlich gegen Versender bestehen zu können?
KNOBLOCH: Sicherlich keine weiteren Rabattaktionen. Sinnvoll sind eher Preiserhöhungen bei Artikeln, deren Nachfrage nicht preissensibel ist. Aus meiner Sicht hängt aber alles vom Inhaber ab. Dieser muss wirtschaftlich denken und handeln. Und dazu gehören die Themen Außenauftritt und Ladengestaltung der Apotheke, Warenverfügbarkeit, Freundlichkeit und Kompetenz bei der Beratung, Serviceangebote für die Kunden, Betriebsklima und Führungsverhalten sowie die Vernetzung mit anderen Gesundheitsdienstleistern vor Ort.
All diese Punkte sind wichtig, damit zum einen die Kunden eine Apotheke positiv wahrnehmen und sie zu ihrer Stammapotheke machen, und zum anderen die Apotheke als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen wird. Im Ergebnis führt dies zu einer ertragreichen Apotheke. Immer vorausgesetzt der Standort ist keine Vollkatastrophe.
ADHOC: Warum ist es trotzdem so schwierig aktuell?
KNOBLOCH: Aus meiner Sicht sind das wirtschaftliche Denken und Handeln für viele Apotheker immer noch ein Problem. Es ist der alte Konflikt zwischen Heilberufler und Kaufmann. Oder überspitzt formuliert: Früher wurden die Apotheken dafür bezahlt, dass sie nichts verkaufen. Jetzt werden sie dafür bezahlt, dass sie verkaufen.
ADHOC: Wie würden Sie die Konsequenzen daraus beschreiben?
KNOBLOCH: Es ist paradox: Die wirtschaftliche Situation ist für viele Apotheker deutlich ungemütlicher geworden, die Anforderungen an eine gute Betriebsführung der Inhaber steigen immer weiter, aber das Curriculum für Pharmazeuten sieht meines Wissens nach weiterhin keine verpflichtenden betriebswirtschaftlichen Inhalte vor.
Wir haben also einen Inhaber, der eventuell ein (Filial-)Unternehmen mit einem zweistelligem Millionenumsatz führt (zugegebenermaßen vermutlich zum Großteil Rx), der aber im Studium nichts von BWAs, Mitarbeiterführung, Preis- und Sortimentsgestaltung et cetera gehört hat und sich zu Beginn seiner Selbstständigkeit im Grunde alles selbst beibringen oder das Know-how teuer einkaufen muss. Im Gegenzug sind die pharmazeutischen Inhalte trotz Fertigarzneimitteln und vielfältiger Möglichkeiten der automatisierten Arzneimittelinteraktionskontrolle weiter gewachsen.
ADHOC: Was schlagen Sie vor?
KNOBLOCH: Mein Vorschlag wäre hier zu einem konsekutiven Studiensystem im Bachelor- und Masterformat zu wechseln. Während des Bachelorstudiums wird das pharmazeutische Grundwissen vermittelt und im Masterstudium erfolgt die Spezialisierung für einen der Bereiche Industrie, Forschung oder Selbstständigkeit mit darauf angepassten pharmazeutischen und gegebenenfalls eben auch betriebswirtschaftlichen Inhalten.
Dr. Christian Knobloch kommt aus einer Apothekerfamilie, ist Diplom-Volkswirt und Leiter der Forschungsstelle für Apothekenwirtschaft (apowi.net) an der Universität Duisburg-Essen. Schwerpunkte seiner Forschung sind unter anderem die geodatenbasierte Analyse der Apothekendichte, das Einkaufsverhalten von Apothekenkunden und die Analyse der Online-Kundenbewertungen von Vor-Ort-Apotheken. Seit 2009 beschäftigtsich die Forschungsstelle für Apothekenwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen mit dem deutschen Apothekensektor. Grundlage aller Untersuchungen sind fundierte Kenntnisse des deutschen Apothekenmarkts, das Wissen um betriebswirtschaftliche und ökonomische Zusammenhänge sowie die Anwendung empirischer Untersuchungsmethoden.
APOTHEKE ADHOC Debatte