Strukturwandel

Apothekensterben: Schleswig-Holstein hält Rekord

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Berlin -

Schleswig-Holstein hält einen traurigen Rekord: In keinem anderen deutschen Bundesland haben seit 2009 so viele Apotheken geschlossen wie hier. Jede zehnte Apotheke ist von der Landkarte verschwunden. Und die Prognosen sehen düster aus.

739 Apotheken waren es 2009, heute zählt das nördlichste Bundesland nur noch 664. Noch habe Schleswig-Holstein keine weißen Flecken auf der Landkarte, wie lange dies so bleibe, sei allerdings ungewiss, sagt Thomas Friedrich, Geschäftsführer des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein. „In Zukunft könnte das durchaus so sein.“ Die Gemeinde Nordstrand, eine idyllische Westküsten-Halbinsel, schrammte knapp am weißen Fleck vorbei. 2200 Menschen leben hier, im Sommer kommen viele Touristen, im Winter herrscht tote Hose. Zuerst schloss die Bäckerei, ein alteingesessener Familienbetrieb. Danach kam das Ende der Apotheke. Die engagierte Gemeinde fand keinen Nachfolger. Jetzt hat Nordstrand eine Rezeptsammelstelle.

Das Apothekensterben in Schleswig-Holstein fällt mit 10 Prozent auf acht Jahre drastischer aus als im bundesweiten Vergleich. Im selben Zeitraum liegen die Zahlen bei 6,6 Prozent. Die Prognosen sind düster: 30 Prozent der schleswig-holsteinischen Apotheker sind älter als 60 Jahre, weitere 30 Prozent sind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Ähnlich verhält sich die Altersstruktur der Ärzte. „Mediziner haben eine ähnliche Altersstruktur wie Apotheker“, so Friedrich.

Geht der Arzt in Rente und findet sich kein Nachfolger, ist oft auch die Existenz der Apotheke bedroht. „Das beobachten wir auch in Städten wie Hamburg, nicht nur auf dem Land. Auch Apotheken in städtischen Bereichen verlieren dadurch ihre Existenzgrundlage“, erklärt Friedrich. Für die Patienten in der Stadt ist es allerdings nicht so schlimm wie für jene, die auf dem Land wohnten: „Wenn in der Stadt eine Apotheke schließt, hat das allerdings noch keine gravierenden Auswirkungen. Wir vertreten auch Hamburg, dort sind die Zahlen nicht ganz so dramatisch, aber ähnlich hoch.“

Noch sieht er die Versorgung von Schleswig-Holsteins Patienten nicht gefährdet: „Es gibt zwei Instrumente, die dagegenwirken. Zum einen die Rezeptsammelstellen und zum anderen ausgeklügelte Botensysteme. Das kann die Lücken schließen. Die Abstände zwischen den Apotheken sind noch immer so, dass eine gute Vor-Ort-Versorgung möglich ist.“ Fünf Kreise in Schleswig-Holstein fallen in einer Statistik der ABDA in die niedrigste ausgewiesene Kategorie mit weniger als 22 Apotheken je 100.000 Einwohnern: Dithmarschen, Steinburg, Segeberg, Stormarn und Lauenburg.

Bundesweit prophezeit Friedrich den Kollegen ähnliche Zahlen: „Die ganze Bundesrepublik marschiert langfristig auf diese 10 Prozent zu.“ Für Schleswig-Holstein gilt: „Bis jetzt hat es mit der Versorgung funktioniert. Die Frage, wann es kippt, ist in der Diskussion.“ In Richtung Jamaika-Verhandlungen gilt für ihn das Prinzip Hoffnung: „Ich setze auf die Vernunft der Gesundheitspolitik. Ich hoffe, dass es gelingt, den Politikern bewusst zu machen, wie wichtig die Vor-Ort-Versorgung durch Apotheken ist“, sagt Friedrich.

„Die Hauptursache ist die chronische Unterfinanzierung des Systems seit vielen Jahren“, erläutert er. „Das Bruttoinlandsprodukt steigt deutlich schneller als die Apothekenhonorierung. Die Kassen-Einnahmen steigen noch viel schneller, die Lohnkostenentwicklung ebenfalls. All das zeigt, dass die Apotheken von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt sind.“

Die Bild-Zeitung berichtete kürzlich über alarmierende Zahlen. 80 Prozent der Menschen, die auf dem Land leben, können ihren Hausarzt nicht mehr zu Fuß erreichen. Wer Pech hat, stirbt nach einem Herzinfarkt schneller als Kranke in der Stadt. Die Zahlen basieren auf Erkenntnissen des neuen Raumordnungsberichts der Bundesregierung. Besonders die ärztliche Versorgung ist in vielen Landstrichen gefährdet.

Der Ärztemangel führt dazu, dass immer weniger Patienten zu Fuß zu ihrem Arzt gelangen können. Die Notfall-Versorgung ist besonders in den ländlichen Regionen von Sachsen-Anhalt und Brandenburg besorgniserregend. Bild schreibt unter der Überschrift „Die bittere Wahrheit über das Leben auf dem Land“: „Dort dauert es zu lange, bis ein Notarzt eintrifft und es sterben nach einem Herzinfarkt mehr als doppelt so viele Menschen wie in Berlin oder Hamburg.”

Die Wege werden immer länger, denn viele Ärzte auf dem Land geben aus Altersgründen auf. Findet sich kein Nachfolger, bleibt die Praxis geschlossen. Das ist dann meist auch für die Apotheke in der Nähe eine schlechte Nachricht: Kein Arzt, keine Rezepte. Und irgendwann vielleicht keine Apotheke mehr. Nicht nur in Schleswig-Holstein.

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