In den Koalitionsverhandlungen spielt die Gesundheitspolitik eine untergeordnete Rolle; es geht um globale Krisen und Kriege und die richtigen Antworten darauf. Dennoch ist das Papier der AG Gesundheit ein überraschend klares Signal dafür, dass die Koalition eine echte Veränderung im Land herbeiführen will. Ein Kommentar von Patrick Hollstein.
Viel wurde zuletzt darüber debattiert, ob Friedrich Merz mit dem milliardenschweren Sondervermögen die Wählerinnen und Wähler getäuscht hat. Noch dazu spielt der Kanzlerkandidat der CDU mit dem Feuer, wenn er den XXL-Dispo vom alten Bundestag beschließen lässt, ohne Gewissheit zu haben, dass er ihn auch wirklich selbst gestalten kann. Nur die Angst vor der AfD hält wohl die SPD als einzigen möglichen Koalitionspartner bei der Stange, während sie gleichzeitig selbst auf der Suche nach einer neuen Führung und einer neuen Identität ist.
Die Koalition in spe ist also schon jetzt zum Erfolg verdammt – und zwar außenpolitisch genauso wie im Inneren. Wenn es nicht gelingt, eine echte Wende hinzubekommen und die verunsicherten und oft frustrierten Menschen im Land mitzunehmen, droht bei der nächsten Wahl in vier Jahren ein Desaster.
Nicht umsonst ist Merz mit dem Versprechen angetreten, eine Politik in der Realität der Wählerinnen und Wähler zu machen. Keine leichte Aufgabe vor all den globalen Herausforderungen und der zunehmenden politischen Spaltung im Land.
Da kommt ausgerechnet das Positionspapier der AG Gesundheit als kleine Offenbarung daher. Während vor vier Jahren mit blumigen Worten von der Ampel ein Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen heraufbeschworen wurde, der genauso gut als Versprechen wie auch als Drohung gelesen werden konnte, setzt sich die Gruppe jetzt unter der Leitung von Karl-Josef Laumann (CDU) und Katja Pähle (SPD) mit den tatsächlichen Problemen und Herausforderungen auseinander.
Und sie liefert erstaunlich konkrete Antworten. Da wird etwa im Bereich der Apotheken keine abstrakte Flexibilisierung oder Umverteilung mehr versprochen; vielmehr werden der offensichtliche Handlungsbedarf anerkannt und konkrete Lösungsvorschläge genannt. Mehr noch: Sogar eine Kostenrechnung und ein Ausblick auf mögliche Zeitpläne werden mitgeliefert.
So konkret und sachkundig war wohl selten ein Koalitionspapier. Das Ergebnis macht Mut – nicht nur wegen der Versprechen, die gegeben werden, sondern auch weil die Leistung der Heilberufe für die Versorgung der Patientinnen und Patienten und ihre Sorgen und Nöte anerkannt werden.
Karl Lauterbach und seine gesundheitspolitischen Mitstreiter ließen sich nach Antritt monatelang überhaupt nicht blicken; später beschränkten sie sich in ihrer Rolle darin, dessen Entscheidungen zu verteidigen oder die Leistungserbringer mit unangebrachten Tiraden in den Dreck zu ziehen. Echte Lösungen brachte auch in der Gesundheitspolitik der Ampel niemand zustande.
Unter dieses Verhalten zieht das Papier der AG Gesundheit einen beherzten Schlussstrich. Natürlich wird sich zeigen müssen, wie die neue Koalition mit dem Kleinklein der Paragrafen und den mitunter gegenläufigen Interessen der Lobbygruppen umgehen wird. Und natürlich kann auch sie das Geld nicht drucken, das im Gesundheitswesen an allen Stellen dringend benötigt wird.
Es bleibt die große Sorge der Apothekerinnen und Apotheker, mit dem in Aussicht gestellten Plus für die kommenden Jahre abgespeist zu werden. Hat man in der Politik wirklich erkannt, dass es eine flexible Anpassung des Apothekenhonorars bedarf? Das in den Verhandlungen einzufordern und weiter deutlich zu machen, ist jetzt Aufgabe der Standespolitik.
Aber die Heilberufe nicht mehr ohne Sinn und Verstand vor sich herzutreiben und mit ihren Wünschen und Forderungen ins Leere laufen zu lassen, scheint der feste Wille der Koalition zu sein. Und das wäre ein echter Paradigmenwechsel, den nicht nur das System, sondern auch das Land so dringend braucht.