Es war ein Grieche, der die Hoffnungen der Kettenkonzerne auf einen europaweit liberalisierten Apothekenmarkt zunichte machte: Als Vorsitzender des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) erklärte Vassilios Skouris am 19. Mai 2009, dass die Mitgliedstaaten selbst entscheiden könnten, wer Apotheken betreiben darf und wer nicht. Bis dahin hatte die EU-Kommission acht Mahnverfahren eingeleitet; über Jahre hinweg hatten sich die Beamten in Brüssel in das Thema regelrecht verbissen. Ausgerechnet die Sanierung des griechischen Staatshaushalts könnte jetzt für einige Protagonisten von damals eine zweite Chance sein, um doch noch zum Ziel zu kommen.
Im Mai 2010, ein Jahr nach dem EuGH-Urteil, einigten sich die EU-Staaten, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF) auf Finanzhilfen von bis zu 110 Milliarden Euro für Griechenland. Schon vier Wochen später legte die Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen einen ersten Auflagenkatalog vor.
Eine Forderung in dem 90-seitigen Schreiben mit dem Titel „The Economic Adjustment Programme for Greece“ war die Öffnung der sogenannten geschlossenen Berufe: Abzuschaffen waren insbesondere „Anforderungen im Zusammenhang mit quantitativen oder territorialen Beschränkungen, Anforderungen an die Gesellschaftsform, Besitzbeschränkungen, feste Mindest- und/oder Höchsttarife sowie Beschränkungen für multidisziplinäre Aktivitäten“.
Um Griechenland bei der Umsetzung der Reformvorhaben für „mehr Wirtschaftswachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ auf die Finger zu schauen, wurde eine Task Force ins Leben gerufen. Das Team mit je 30 Mitarbeitern in Brüssel und Athen nahm im September 2011 seine Arbeit auf.
Zum Leiter der Task Force wurde Horst Reichenbach ernannt. Als Vizepräsident der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) war der Deutsche auf Linie, was die liberalistische Auslegung des europäischen Gedankens anging.
Dazu kam eine 30-jährige Karriere in der EU-Kommission, in der Reichenbach von 1995 bis 2004 unter anderem mit Mario Monti zusammengearbeitet hatte. Der spätere italienische Ministerpräsident gilt als Vater des europäischen Kettengedankens: Als Wettbewerbskommissar sprach sich Monti 2001 für eine Liberalisierung der europäischen Apothekenmärkte aus; als Chef der Technokraten-Regierung in Rom zerfledderte er zehn Jahre später Rezept- und Apothekenpflicht.
In der Task Force wurden Reichenbach gleich zu Beginn zwei Experten zur Seite gestellt, die mit den Apothekern, salopp gesagt, noch eine Rechnung offen hatten: Jörgen Holmquist war von 2007 bis 2010 Generaldirektor bei Binnenmarktkommissar Charlie McCreey, David Wright sein Stellvertreter.
Zum Verantwortungsbereich von Holmquist und Wright gehörte damals die Abteilung E2 – Services II, in der sich mit Jean Bergevin und Jan-Willem Verheijden zwei Beamte schwerpunktmäßig mit dem Fremd- und Mehrbesitzverbot sowie den demographischen und geographischen Niederlassungsbeschränkungen für Apotheken beschäftigten.
Seit Mai 2005 hatte die Brüsseler Behörde mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten eingeleitet, die letzten Mahnschreiben wurden noch 2008 verschickt. Um die Beschwerdeführer wie Celesio oder den baden-württembergischen CDU-Europaabgeordneten Dr. Andreas Schwab zu schützen, agierten die Beamten hinter verschlossenen Türen und mit einem Minimalmaß an Transparenz, was ihnen später Ärger mit dem – ebenfalls griechischen – EU-Ombudsmann P. Nikiforos Diamandouros einbrachte.
Nur einmal luden Holmquist und Bergevin ausgewählte Vertreter verschiedener Interessengruppen zu einer Diskussionsrunde. Man müsse darüber reden, in welcher Organisationsstruktur sich die Unabhängigkeit der Apotheker garantieren und gleichzeitig der größte Nutzen aus dem Binnenmarkt ziehen lassen könnten, erklärte Holmquist damals. „Unser Ziel ist es nicht, mit diesen Themen vor Gericht zu ziehen. Unser Ziel ist es, Lösungen zu finden, die im Interesse der Einwohner Europas sind.“
Da die Task Force für Griechenland selbst für Eingeweihte noch intransparenter ist es als die regulären Abteilungen der Kommission sind, ist nicht klar, welche Rolle Holmquist in seiner Funktion als „Advisor Horse Classe“ spielte. Im Juni 2012 jedenfalls schied der schwedische Finanzexperte endgültig aus dem öffentlichen Dienst aus – vier Monate später heuerte er als strategischer Berater bei der Lobbyfirma Interel in Brüssel an.
Holmquist ist aber nicht der einzige führende Mitarbeiter der EU-Kommission, der einschlägige Erfahrungen mit dem Apotheken- und Pharmamarkt hat und zur Task Force abgeordnet wurde. Die rechte Hand von Reichenbach und Leiterin des Verbindungsbüros in Athen, Georgette Lalis, hatte früher als Direktorin für Industriekommissar Günter Verheugen gearbeitet.
Dort fiel unter anderem der Arzneimittel- und Medizinproduktebereich in ihre Zuständigkeit; auch die Großhändler hatten regelmäßig mit der Griechin zu tun. Mehrfach sprach ihre Generaldirektion in Berlin vor, etwa im Zusammenhang mit dem Thema Herstellerrabatt für Versandapotheken, Versandhandel mit Tierarzneimittel und Regionalprinzip in der Heimversorgung.
Mitgebracht hat Lalis im November 2011 ihre ehemalige Abteilungsleiterin Giulia del Brenna, die in Brüssel für den Bereich „Wettbewerbsfähigkeit in der Pharmaindustrie und Biotechnologie“ zuständig war, sowie und deren Mitarbeiterin Aurélie Vandeputte.
Wie die Aufgabenverteilung in der Task Force aussieht und wer den Griechen die Abschaffung des Fremdbesitzverbots für Apotheken ins Pflichtenheft geschrieben hat, war bislang nicht zu erfahren. Nur einmal im Quartal legt die Task Force, die Kommissionspräsident José Manuel Barroso direkt unterstellt ist und unter der politischen Leitung von Vizepräsident Olli Rehn arbeitet, einen oberflächlichen Bericht über die laufenden Projekte vor.
In der aktuellen Ausgabe wird Deutschland als „Domain Leader“ für den Gesundheitsbereich ausgewiesen. Tatsächlich scheinen die Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) nur noch bei der Umsetzung der Vorgaben einen Beitrag leisten zu können: Der aktuelle Gesetzesentwurf zur Liberalisierung des Apothekenmarktes beispielsweise ist dem Vernehmen nach in Athen gar nicht im Gesundheits-, sondern im Finanzministerium entstanden.
Unklar ist auch, ob die Gesandten aus Brüssel einfach nur Überzeugungstäter sind, die nach den immer selben Mustern handeln, oder ob sie abermals von Interessengruppen getrieben werden. Nach derzeitigem Kenntnisstand könnten allenfalls Einzelhandelsketten ein Interesse an einem Einstieg in den Apothekenmarkt haben, in dem auf absehbare Zeit nichts zu holen sein dürfte. Außerdem wurden anachronistisch wirkende Regelungen im Großhandelsbereich überhaupt noch nicht angegangen, sodass ein Interesse der Pharmahändler unwahrscheinlich ist.
Verstörend finden Beobachter jedenfalls, dass die Eurokraten unter dem Vorwand der Finanzkrise und unter Verweis auf scheinbar unabhängige Experten wie die OECD in klassisch nationalstaatliche Bereiche vordringen. Dabei hat die EU-Kommission nach den Gemeinschaftsverträgen kein Recht, sich in bestimmte Bereiche wie die Gesundheitsversorgung einzumischen. „Die Empfehlungen sind in Wahrheit Entscheidungen“, kommentiert eine Politikexpertin in Brüssel. „Das ist wirklich beängstigend.“
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