Apothekenhonorar: Zwei Milliarden Euro zu viel Lothar Klein, 08.11.2017 16:24 Uhr
Nach dem EuGH-Urteil dürfte das Sondergutachten zum Apothekenhonorar wie eine weitere Bombe einschlagen: Nach Informationen von APOTHEKE ADOC bescheinigen die Gutachter den Apothekern deutlich überzogene Einnahmen. Demnach weisen die Experten von 2hm einen Betrag von 1,7 bis zwei Milliarden Euro als Honorarüberhang aus. Wie dieser Betrag zustande kommt, ist noch unbekannt. In der offiziellen GKV-Statistik wird das Apothekenhonorar mit rund fünf Milliarden Euro ausgewiesen.
Einem kleinen Personenkreis ist das vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) beauftragte Gutachten bereits bekannt. Wann das BMWi das Gutachten veröffentlichen wird, ist unbekannt. Die letzte Aussage einer Sprecherin dazu lautete: „Das Gutachten zur Arzneimittelpreisverordnung ist noch nicht final abgenommen. Dieses Verfahren läuft noch und dauert an.“
Allerdings hatte sich schon in den letzten Wochen herumgesprochen, dass die Gutachter zu einem für die Apothekerschaft problematitischen Ergebnis kommen würden. „Damit lassen sich keine weiteren Honorarwünsche begründen“, hieß es. Allerdings übersteigt die jetzt im Raum stehende Summe von bis zu zwei Milliarden Euro alle Erwartungen.
Darin steckt auch für die laufenden Jamaika-Sondierungen erhebliche Sprengkraft. Möglicherweise war die ABDA in Kenntnis der Tendenz des Gutachtens zuletzt mit ihrer Forderung nach einem Rx-Versandverbot zurückhaltender geworden. Die Apotheker waren über einen Beirat in die Gespräche über das Gutachten eingebunden, genauso wie der Großhandelsverband Phagro. Die Analyse soll nicht nur das Apothekenhonorar betreffen, sondern die Vergütung der gesamten Lieferkette.
Anfang März 2016 hatte das BMWi den Auftrag für das Forschungsprojekt zum Apothekenhonorar vergeben. 2hm mit Sitz in Mainz ist bislang im Gesundheitsmarkt weitgehend unbekannt. Man habe den Zuschlag wegen des „wissenschaftlich-methodischen Ansatzes“ und der Neutralität im Apothekenmarkt erhalten, begründete Forschungsleitern Iris an der Heiden die Entscheidung. Außerdem habe es von 2hm zu den verschiedenen Interessengruppen in der Vergangenheit noch keine Berührungspunkte gegeben.
Das Gutachten wird die Diskussion über eine Reform des Apothekenhonorars maßgeblich befeuern. Weit über die Parteigrenzen hinweg sind sich viele Player im Gesundheitswesen einig, dass eine grundlegende Honorarreform auf die politische Tagesordnung gehört.
Auch die ABDA hat sich auf die jetzt anstehende Debatte vorbereitet und hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die an neuen Konzepten feilt. Laut Fritz Becker, der als Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands (DAV) die AG Honorar leitet, „steckt der Teufel im Detail“. Überraschend hatte ABDA-Präsident Friedemann Schmidt bereits im Mai das niederländische Einschreibemodell ins Gespräch gebracht – dies aber als seine „Privatmeinung“ qualifiziert. Im Anschluss an die ABDA-Mitgliederversammlung kündigte Schmidt dann Widerstand der ABDA gegen Vorschläge aus der FDP an, Landapotheken durch einen „Sicherstellungszuschlag“ zu subventionieren.
Neben der FDP haben sich die Grünen für eine umfassende Honorarreform ausgesprochen. Solche politischen Absichtserklärungen gibt es auch aus der SPD und der Union. Konkrete Modelle liegen allerdings noch nicht vor. Immer wieder werden zudem Vorschläge für ein Höchstpreismodell laut. Damit erhielten die Apotheker Spielräume für einen Preiswettbewerb bei Rx-Arzneimitteln. Die ABDA lehnt dies ab.
2hm hatte die Apotheker zur Teilnahme an einer einer Online-Befragung aufgerufen. Während ein Teil der angeschriebenen Inhaber und Filialleiter Fragen rund um Personaleinsatz und Warenwirtschaft beantworten musste, sollten andere detaillierte Auskunft über die Rezepturherstellung, Hilfsmittel und Beratung geben. Die schwerpunktmäßig zum Thema „Standardrezepturen“ befragten Apotheker sollten zunächst schätzen, wie oft sie Stoffe in unverändertem Zustand abfüllen und wie viel Zeit sie dafür benötigen. Auch der Aufwand beim Hantieren mit Standgefäßwaren sollte beziffert werden.
Dann sollten sie Angaben machen, wie viele Individualrezepturen in ihrer Apotheke im vergangenen Jahr hergestellt wurden. 2hm wollte wissen, welcher Prozentanteil davon im Voraus hergestellt wurde. Außerdem sollten die Befragten die Anzahl der gefertigten Defekturen nennen, die in einem zusammenhängenden Arbeitspaket hergestellt wurden.
Zusätzlich interessierte sich 2hm dafür, welche Arten von Rezepturen hergestellt werden. Die Befragten sollten Gruppen wie Pulvern/Zäpfchen/Vaginal-Kugeln/Kapseln oder Puder/Pulver/Salben/Pasten/Suspensionen/Emulsionen bestimmte Prozentsätze zuweisen. Angegeben werden sollte auch, wie lange der gesamte Herstellungsprozess – von der Plausibilitätsprüfung bis zur Freigabe der Rezeptur – im Durchschnitt dauerte. Für Rezepturen mit und ohne Wärmeanwendung sollten jeweils die Minuten geschätzt werden.
Im nächsten Schritt wurde verlangt, den Aufwand für die einzelnen Arbeitsschritte zu beziffern. 2hm interessierte sich auch für die Abgabe dokumentationspflichtiger Betäubungsmittel (BtM). Es folgten die allgemeinen Fragen zu Lage, Personalstamm, Umsatz, Rx-Anteil und zur Immobilie, in der sich die Apotheke befindet. Die Fragen nach Identität, Filialverbund und der Herstellung parenteraler Rezepturen wurden gleich eingangs gestellt.
Ziel des Forschungsprojekts ist laut BMWi die Entwicklung einer Datenbasis, die eine differenzierte Betrachtung und Bewertung der wirtschaftlichen Lage von Apotheken erlaubt. Demnach soll geprüft werden, ob und in welchem Ausmaß Änderungen „aller in der AMPreisV geregelten Preise und Preiszuschläge für verschreibungspflichtige Arzneimittel“ nötig sind.