Apotheken-Zuschuss und OTC-Hotline Julia Pradel, 24.09.2015 13:40 Uhr
Ein Euro für die Selbstmedikation spart Krankenkassen und Volkswirtschaft fast 18 Euro. Das ist ein Ergebnis eines Gutachtens zur Bedeutung von OTC-Präparaten, das der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) in Auftrag gegeben hat. Dort ist man überzeugt, dass die Selbstmedikation gefördert werden muss – damit das Sozialsystem nicht kollabiert.
Studienautor Professor Dr. Uwe May rechnete bei der BAH-Mitgliederversammlung in Berlin vor, dass es jedes Jahr mehr als eine Milliarde leichte Gesundheitsstörungen gibt, wie etwa Erkältungen, Magenverstimmungen oder Sodbrennen. Den Großteil würden die Menschen selbst behandeln, in der Hälfte der Fälle werde eine Apotheke aufgesucht. Jeder Elfte gehe allerdings zum Arzt. Das führe zu 98 Millionen Arztbesuchen.
Durchschnittlich entstehen laut Gutachten bei einem Arztbesuch Kosten von rund 75 Euro: 56 Euro für den Mediziner, 18 Euro für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel und 1,50 Euro für OTC-Arzneimittel. Bei der Selbstbehandlung fielen hingegen nur 2,50 Euro für ein OTC-Medikament und 2 Euro für ein Mittel aus der Hausapotheke an – insgesamt also weniger als 5 Euro.
Die Krankenkassen müssten 13,93 Euro weniger für Arzt und Arzneimittel zahlen. Doch auch darüber hinaus wird laut May gespart: Pro Euro, der in die Selbstbehandlung investiert werde, spare die Volkswirtschaft durch eine Reduzierung von Arbeitsausfall knapp vier Euro. Dem Patienten, der sonst Zu- und Aufzahlungen leistet, entstünden Kosten von 25 Cent. Damit entstehe eine Effizienzreserve von 17,57 Euro, so May.
Diese Reserve könnte aus seiner Sicht dafür verwendet werden, um Anreize für mehr Selbstbehandlung zu schaffen, etwa durch Erstattungsregelungen oder durch eine bessere Beratung in den Apotheken.
Dass eine Förderung der Selbstmedikation nötig ist, rechnet May ebenfalls vor: Die ersten Ergebnisse des Gutachtens machen deutlich, dass mithilfe der Selbstmedikation heute bereits 18 Milliarden Euro an Arztkosten und 3,4 Milliarden Euro Arzneimittelkosten gespart werden – die andernfalls die Krankenkassen tragen müssten.
Würden durch Selbstbehandlung 10 oder sogar 20 Prozent der Arztbesuche eingespart, könnten die Krankenkassen May zufolge zwischen 1 und 2 Milliarden Euro an Arztkosten und zwischen 200 und 400 Millionen Euro an Medikamentenkosten einsparen. Auch mit Blick auf die Zeit ergäben sich Reserven: Ein Hausarzt behandle durchschnittlich 52 Patienten pro Tag. Wären es fünf oder zehn weniger, würde er bis zu zwei Stunden gewinnen. Er könnte seine Patienten also entweder länger behandeln oder weitere Patienten aufnehmen.
Um die Selbstbehandlung zu fördern, schlägt May verschiedene Maßnahmen vor: Einerseits müssten die Rahmenbedingungen angepasst werden – also etwa mehr OTC-Switches bewilligt und die Apotheker als Gatekeeper gestärkt werden – andererseits müssten Anreize für Patienten geschaffen werden. Als Beispiel führte May, früher selbst Mitarbeiter beim BAH, Selbstbehandlungshotlines in Großbritannien und den Niederlanden an, bei denen sich Menschen Rat holen können. Die Information der Patienten ist aus seiner Sicht einer der wichtigsten Voraussetzungen für mehr Selbstmedikation.
May räumte aber ein, dass es durchaus auch Risiken gebe: Wenn sich Menschen selbst behandelten, die eigentlich zum Arzt müssten, sei das medizinisch und gesundheitsökonomisch genauso kontraproduktiv, wie wenn Menschen zum Arzt gingen, obwohl eine Selbstbehandlung möglich wäre. „Das Ziel ist deshalb, die richtige Entscheidung zu fördern“, so May. Er sieht die Apotheke als Lotse und Erstversorger bei leichten Gesundheitsstörungen.
Neben den medizinischen Risiken müsse aber auch die soziale Gerechtigkeit berücksichtigt werden. Neben der allgemeinen Förderung der Selbstbehandlung sieht May daher zwei wesentliche Mittel zur „Begleitung“: das grüne Rezept für Unsichere und die Möglichkeit der Erstattung für sozial Schwache.