Interview Stefanie Stoff-Ahnis (GKV-Spitzenverband)

„Apotheken sollten gegen Corona impfen“

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Berlin -

Mitte des letzten Jahres übernahm Stefanie Stoff-Ahnis die Nachfolge von Johann-Magnus von Stackelberg im Vorstand des GKV-Spitzenverbandes. Damit wurde sie zuständig für die Verantwortungsbereiche ambulante und stationäre Versorgung sowie Arznei- und Heilmittel. Im Interview mit APOTHEKE ADHOC lobt Stoff-Ahnis die Apotheken für ihren Einsatz in der Corona-Krise. Allerdings hält sie an den bekannten Positionen des Kassenverbandes fest: Das Apothekenhonorar sollte umgebaut und dabei neu verteilt werden. Auch das Fremd- und Mehrbesitzverbot gehört für sie auf den Prüfstand. Eine Chance sieht Stoff-Ahnis für Apotheken bei Grippe- und Corona-Impfungen.

ADHOC: Wie beurteilen Sie die Arbeit der Apotheken in der aktuellen Corona-Pandemie?
STOFF-AHNIS: Apothekerinnen und Apotheker leisten einen wertvollen Beitrag, um die Arzneimittelversorgung auch während der Corona-Pandemie abzusichern – ganz egal an welcher Stelle der Versorgung sie agieren: in den Apotheken an der Ecke, beim Versandhandel oder auch in der Wissenschaft und Forschung.

ADHOC: Der GKV-Spitzenverband fordert, das traditionelle Apothekensystem und die Vergütung auf den Prüfstand zu stellen. Wie sieht eine ideale Apothekenlandschaft aus Ihrer Sicht aus?
STOFF-AHNIS: Der Fokus in der Gesundheitsversorgung muss darauf liegen, was Patientinnen und Patienten brauchen. Das gilt auch für die Arzneimittelversorgung. Die individuelle Lebenssituation und auch das jeweilige Lebensumfeld spielen eine entscheidende Rolle. Eine berufstätige alleinerziehende Mutter in der Stadt hat beispielsweise einen anderen Bedarf als ein Rentner in einer ländlichen Region. Entsprechend müssen auch die Versorgungsstrukturen und die gesetzlichen Regelungen im Apothekenmarkt verschiedene Angebote ermöglichen. Ich denke da zum Beispiel an den Botendienst, natürlich an den Versandhandel, sinnvoll sind aber auch Abgabestellen für Arzneimittel. Diese Aufzählung ist keinesfalls abschließend. In der ambulanten ärztlichen Versorgung haben wir derzeit bereits erste Formen der Telemedizin. Ein solches Potential für digitale Angebote sehe ich genauso bei den Apotheken, um die Versorgung zu verbessern und zugleich wirtschaftlicher zu machen. Eine ideale Apothekenlandschaft für mich ist vielfältig, innovativ und bietet nachfragegerechte Lösungen an.

ADHOC: Das Apothekenstärkungsgesetz sieht neue, honorierte pharmazeutische Dienstleistungen für Apotheken vor. Ist das der richtige Weg? Was können sich die Krankenkassen vorstellen?
STOFF-AHNIS: Natürlich können sich Krankenkassen pharmazeutische Dienstleistungen vorstellen. Allerdings müssen sich diese Dienstleistungen daran messen lassen, ob sie auch tatsächlich einen patientenrelevanten Nutzen generieren und den Bedürfnissen der Menschen entsprechen. Nur dann lassen sich zusätzliche Ausgaben der Solidargemeinschaft hierfür rechtfertigen. Zudem darf keine Doppelfinanzierung von Leistungen stattfinden, die bereits heute im Rahmen der Arzneimittelpreisverordnung vergütet werden.

Da der Bedarf für diese Dienstleistungen in der Apotheke sehr heterogen ist, wäre ein einheitlicher Katalog auf Bundesebene nicht sinnvoll. Besser und zielführender wäre es, wenn die Krankenkassen solche pharmazeutischen Dienstleistungen zum Gegenstand von Selektivverträgen oder regionalen Vereinbarungen machen dürften. Das wäre für mich die bessere Antwort auf die Versorgungssituation vor Ort.

ADHOC: Sollten Apotheken als niedrigschwellige Anlaufstellen des Gesundheitswesens ausgebaut werden? Welche Aufgaben könnten Apotheker von Ärzten übernehmen, um die Praxen zu entlasten?
STOFF-AHNIS: Wie bei den pharmazeutischen Dienstleistungen gilt auch hier: Neue Aufgaben sind nur dann sinnvoll, wenn sie einen Versorgungsvorteil mit sich bringen. Die Modellprojekte für Grippeschutzimpfungen oder hoffentlich bald auch gegen Covid-19, die Apotheken mit den Krankenkassen vereinbaren können, könnten so etwas sein. Ich hoffe sehr, dass der einfache Zugang in der Apotheke hilft und die Impfraten steigen. Das wäre ein echter Mehrwert für alle – Patientinnen und Patienten, Apotheken, Krankenkassen. Insofern ist dies eine spannende Sache. Wichtig ist dabei jedoch, dass bei diesen Projekten eine hohe Qualität und vor allem Patientensicherheit gewährleistet sind.

Durch den niedrigschwelligen Zugang können Apotheken eine wichtige Rolle in der Versorgungskette spielen. Bei denjenigen Patientinnen und Patienten, die eine Stammapotheke gewählt haben, kann die Apotheke beispielsweise ein wichtiges Bindeglied sein. Hier würden die Verordnungen verschiedener Fachärzte zusammenlaufen. Diese Apotheken können dann eine Lenkungs- und Koordinierungsfunktion übernehmen. Sicherlich wären sie für ihre Stammkundschaft zudem ein wichtiger Ansprechpartner in gesundheitsbezogenen Fragen. Generell haben wir im deutschen Gesundheitswesen hochspezialisierte Berufsgruppen, die voneinander abgegrenzte Aufgaben zu erbringen haben. Auch wenn diese Grenzen – nicht zuletzt durch technische Unterstützung – etwas durchlässiger werden, ist die klare Zuständigkeit nach wie vor da.

ADHOC: Der GKV-Spitzenverband fordert einen Umbau des Apothekenhonorars. Wie sollte das neue Honorar gestaltet sein?
STOFF-AHNIS: Das im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellte Gutachten von 2018 hat hierzu konkrete Vorschläge erarbeitet, die sehr gut nachvollziehbar sind. So empfehlen die Gutachter, einzelne Vergütungsbestandteile jeweils leistungsgerecht auszugestalten. Sie regen eine Umverteilung von einzelnen Honorarbestandteilen an. Ganz praktisch hieße das: Bestimmte Vergütungsbestandteile sollten steigen, andere sinken. Mehr Geld sollte es zum Beispiel für die Herstellung klassischer Rezepturen oder auch für den Zuschlag zur Finanzierung des Nacht- und Notdienstfonds geben. Abgesenkt werden könnte laut Gutachten beispielsweise der Festzuschlag für die Abgabe einer Fertigarzneimittelpackung. Aus unserer Sicht vollkommen nachvollziehbar und richtig. Daher fordert der GKV-Spitzenverband, diese wissenschaftlich fundierten Vorschläge auch umzusetzen.

ADHOC: Der AOK-Bundesverband hat kürzlich das Mehr- und Fremdbesitzverbot zur Disposition gestellt. Teilen Sie diese Forderung?
STOFF-AHNIS: Wie bereits vorhin angesprochen, ist eine ideale Apothekenlandschaft vielfältig, innovativ und bietet bedarfsgerechte Lösungen an. Regulierungsmaßnahmen, die dagegen einschränkend wirken, gehören auf den Prüfstand.

ADHOC: Laut 2hm-Gutachten erhalten die Apotheken rund eine Milliarde Euro mehr Honorar als benötigt. Teilt der GKV-Spitzenverband diese Rechnung? Welche Forderungen leiten Sie daraus ab?
STOFF-AHNIS: Ja, diese Rechnung teilen wir. Die Gutachter waren bei ihrer Herleitung sehr transparent. Geäußerte Kritik wie zum Beispiel an der Modellierung bestimmter Kostenarten oder auch kleinere Rechenfehler wurden von den Gutachtern aufgenommen, in einer erneuten Berechnung berücksichtigt und führte nicht zu anderen Ergebnissen. Insofern wäre es nur folgerichtig, die Vorschläge der Gutachter auch umzusetzen. Politisch scheint es allerdings derzeit keine Mehrheit dafür zu geben, diese Effizienzreserven für die GKV-Beitragszahlenden zu heben. Zumindest könnte dieses vorhandene Ausgabenvolumen jedoch dafür genutzt werden, Gelder umzuverteilen und so die Versorgung durch neue Angebote zu verbessern.

ADHOC: Wie stehen Sie zum geplanten Rx-Boni-Verbot im Apothekenstärkungsgesetz?
STOFF-AHNIS: Krankenkassen sind keine Freunde von Rx-Boni, da diese dem Sachleistungsprinzip widersprechen. Wenn einzelne Patientinnen und Patienten finanziell von diesen Boni profitieren, während die Solidargemeinschaft für ihre Behandlung aufkommt, ist dies ein Verstoß gegen das Solidarprinzip. Gleichwohl gibt es das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, welches Rx-Boni als europarechtskonform einstufte. Und mit diesem Urteil müssen wir leben, da auch der Rahmenvertrag europarechtskonform auszulegen ist. Tatsächlich sehen wir die Umsetzbarkeit des Rx-Boni-Verbots aus dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken kritisch, da wir es in der vorgesehenen Form nicht für umsetzbar halten. Dies haben wir auch gegenüber der Politik so kommuniziert.

ADHOC: Es gab schon mal den Vorschlag, die Arzneimittelversorgung auf dem Land mit „Apothekenbussen“ zu sichern. Was versteht der GKV-Spitzenverband unter mobiler Versorgung?
STOFF-AHNIS: Jetzt beziehen Sie sich auf unser Positionspapier zur Arzneimittelversorgung, in dem wir Apothekenbusse als eine Versorgungsoption nennen. Wichtig ist mir hier: Es handelt sich lediglich um ein Beispiel. Der GKV-Spitzenverband ist nicht erpicht darauf, dass demnächst Apothekenbusse kreuz und quer durchs Land kurven. Es muss aber möglich sein, dass Angebote gemacht werden, die den Lebensumständen von Patientinnen und Patienten entsprechen. Wir müssen also auch jenen Menschen etwas anbieten, die in dünn besiedelten Gegenden leben, wo es lange Wege bis zur nächsten Apotheke gibt. Ob solche neuen Ideen dann angenommen werden, muss sich in der Praxis zeigen.

ADHOC: Wie könnte Telepharmazie – analog zu telemedizinischen Modellen in der ärztlichen Versorgung – eine sichere Arzneimittelabgabe garantieren?
STOFF-AHNIS: Gegenfrage: Warum sollte Telepharmazie nicht funktionieren, wenn die Videosprechstunde in der ambulanten ärztlichen Versorgung bereits gelebt wird? Die Telepharmazie wäre für mich eine logische Ergänzung zu telefonischer oder schriftlicher Patientenberatung, zugleich deutlich aufwandsärmer – für alle Beteiligten – bei gleicher Qualität. Außerdem hätte sie den Vorteil, „face-to-face“ mit einander sprechen zu können. Ob sich solche Angebote etablieren, wird sich zeigen. Denn schlussendlich sollen die Menschen selbst wählen, in welcher Form sie zu Arzneimitteln beraten werden möchten.

ADHOC: Der GKV-Spitzenverband setzt sich für eine Flexibilisierung der Arzneimittelversorgung ein. Ist damit auch ein Dispensierrecht für Ärzte gemeint?
STOFF-AHNIS: Ein Dispensierrecht für Ärztinnen und Ärzte würde weit über dieses Ziel hinausschießen. Wir wollen nicht neue Akteure mit der Arzneimittelversorgung beauftragen, sondern eher an den Strukturen ansetzen. Sie müssen flexibilisiert werden, um passgenaue Antworten für die Versorgung und damit für die Situation der Menschen zu liefern – und diese Antwort kann in Mecklenburg-Vorpommern ganz anders ausfallen als in München.

ADHOC: Der GKV-Spitzenverband sieht im Handel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln erhebliche Wirtschaftlichkeitsreserven. Wo sind diese und wie können diese nach Ihrer Einschätzung erhoben werden?
STOFF-AHNIS: Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich hier sehr kurz fasse: Die vorhandenen Wirtschaftlichkeitsreserven werden ausführlich im Gutachten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie dargestellt.

 

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