Der Berliner Senat will die Genehmigung für sein Modellprojekt zur Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken in Apotheken gerichtlich forcieren: Nachdem das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die dafür notwendigen Anträge abgewiesen hatte, zieht der Senat nun vor das Verwaltungsgericht Köln. Ziel ist eine Ausnahmegenehmigung nach dem Betäubungsmittelgesetz. Im Kern dreht sich der Streit um dieselbe Frage, die auch bei der Legalisierungsdebatte im Mittelpunkt steht: Kann ein effektiver Gesundheitsschutz ausschließlich durch Prohibition erreicht werden oder auch durch Kontrolle und Beratung?
Cannabis wird nach Ansicht der meisten Branchenbeobachter nach der Bundestagswahl im September nicht nur als Arzneimittel, sondern auch als Freizeitdroge eine stärkere Rolle spielen als je zuvor: Mittlerweile sind Union und AfD die letzten Verfechter der aktuellen Prohibitionspolitik – Grüne, SPD, FDP und Linke setzen sich allesamt für eine Liberalisierung in unterschiedlichen Nuancen ein. Der rot-rot-grüne Berliner Senat legt es nun darauf an und will mit seinem seit Jahren geplanten Modellprojekt endlich vorankommen: 20 Apotheken in der Hauptstadt sollen Cannabis zu Genusszwecken an 349 registrierte, psychisch und physisch gesunde Nutzer:innen abgeben dürfen. Die müssen ein Konsumtagebuch führen und werden über den Verlauf des Modellprojekts wissenschaftlich begleitet.
Dadurch soll nicht nur eine mögliche Risikoverringerung durch die kontrollierte Abgabe eruiert werden, sondern auch, ob und falls ja, welchen Einfluss eine legale Abgabe auf die Konsummengen hat. Die Datengrundlage, die dadurch geschaffen würde, könnte ein bedeutendes Argument in den Händen der Legalisierungsbefürworter sein: Denn ähnliche Feldversuche oder gar umfassendere Liberalisierungen in Ländern wie Portugal, Tschechien, Uruguay, Kanada oder der Mehrheit der US-Bundesstaaten deuten bisher darauf hin, dass der Cannabiskonsum nach einem kurzen Anstieg zu Beginn – dem Hype um das Thema – rasch wieder sinkt und sich daraufhin ungefähr auf Vor-Liberalisierungsniveau normalisiert. Was hingegen bleibe, seien die Vorteile einer kontrollierten Abgabe: Gesundheitsschädliche Verunreinigungen durch Streckmittel fallen weg, Konsumenten haben beim Kauf Zugang zu professioneller Beratung über Wirkung und Gesundheitsgefahren, Strafverfolgungskosten fallen weg und Steuereinnahmen – potenziell in Milliardenhöhe – kommen hinzu.
Ist die Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken also ein Gesundheitsthema, das in die Apotheken gehört? Der Berliner Gesundheitssenat sieht das so, das BfArM nicht. Bereits 2015 hatte die grüne Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann, in Bonn die Abgabe von Cannabis an kontrollierten Verkaufspunkten beantragt – ohne Erfolg. Im Jahr 2017 dann tat sich der Berliner Senat mit den von SPD und Linken geführten Bundesländern Bremen und Thüringen zusammen und brachte im Bundesrat einen Entschließungsantrag für die Möglichkeit wissenschaftlich begleiteter Versuchsprojekte ein. Die Initiative fand zwar breite Unterstützung von der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin bis zum Bund Deutscher Kriminalbeamter, scheiterte aber ebenfalls.
Zwischen Herrmanns Vorstoß und der Bundesratsinitiative hatte der Senat seinen Antrag eingereicht, der von Experten des Zentrums für interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg ausgearbeitet worden war. Die beriefen sich auf §3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG): „Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen“, heißt es dort. Diese Voraussetzungen sieht der Gesundheitssenat mit seinem Vorhaben erfüllt: „Im Rahmen des beantragten Modellprojekts soll geprüft werden, ob die Ziele des Betäubungsmittelgesetzes, die unter anderem darin bestehen, einen gesundheitlichen Schutzzweck der Bevölkerung zu erfüllen, mit einer kontrollierten Abgabe von Cannabisprodukten eher erreicht werden können, als unter den bestehenden Bedingungen des Verbots und den damit verbundenen Konsequenzen“, so eine Sprecherin auf Anfrage.
Das BfArM sieht das ganz anders. Auf Anfrage verweist es darauf, dass seine Auffassung nach wie vor dem entspricht, was die Bundesregierung auf Anfrage von FDP-Gesundheitspolitiker Dr. Wieland Schinnenburg – selbst einer der profiliertesten Verfechter einer Cannabis-Liberalisierung – Ende 2017 ausführte: Die Erlaubnis für ein solches Modellprojekt könne nach §5 BtMG nicht gegeben werden, wenn die Ausgestaltung des Projekt nicht mit dem Zweck des BtMG vereinbar ist, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, daneben aber auch den Missbrauch von BtM sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit soweit wie möglich auszuschließen. Das sei hier der Fall: „Auch bei wissenschaftlicher Ausrichtung von Anträgen zu Modellprojekten zur kontrollierten Abgabe von Cannabis als Genussmittel handelt es sich nach Auffassung der Bundesregierung um interventionelle Studien mit Betäubungsmitteln, die – außerhalb klinischer Prüfungen nach § 4 Absatz 23 des Arzneimittelgesetzes – mit dem Schutzzweck des BtMG grundsätzlich nicht vereinbar sind.“
Der Berliner Senat will das so nicht akzeptieren und zieht deshalb nun vor das Veraltungsgericht Köln, um sich die Ausnahmegenehmigung zu erklagen. Denn auch wenn das geplante Modellprojekt ganz offensichtlich nicht dem eng gefassten Verständnis des BtMG genügt – nicht-medizinischen Betäubungsmittelkonsum möglichst komplett zu unterbinden – diene es sehr wohl dem Schutzzweck des Gesetzes. Im Mittelpunkt stehe nämlich die Frage, ob und in welchem Umfang Konsumrisiken durch einen kontrollierten Verkauf von qualitätsgeprüften Cannabisprodukten reduziert werden können. „Das übergeordnete Ziel ist demnach die Förderung und der Schutz der Gesundheit von Cannabiskonsumierenden“, so der Senat. Außerdem beinhalte das Modellprojekt nur volljährige Teilnehmer:innen, die bereits Cannabis konsumieren. „Die Forschungsthese besagt, dass durch dieses Setting, in dem auf gesundheitliche Risiken aufmerksam gemacht werden kann, der Konsum reduziert wird und damit die Risiken sinken.“ Der Senat sehe sich deshalb gezwungen, den Rechtsweg zu gehen, um seine Auffassung durchzusetzen: „Die Begründung für die Klage ist die Freiheit der Forschung.“
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