Indem er die Preise für neue Arzneimittel zur Geheimsache macht, setzt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine wichtige Forderung der Pharmaindustrie um. Doch die Sache hat Nebenwirkungen: Die Ärzteschaft sieht sich nicht in der Lage, ohne Kenntnis der Preise wirtschaftlich zu verordnen. Und die Kassen fürchten erheblichen bürokratischen Aufwand.
Lauterbach will mit dem Medizinforschungsgesetz die zwischen Hersteller und GKV-Spitzenverband verhandelten Erstattungsbeträge für Medikamente mit neuen Wirkstoffen zur Geheimsache machen. Eigentliches Ziel ist es, den Export in andere Märkte zu verhindern: Denn die Firmen sollen die Differenz zu den fiktiven Listenpreisen im Nachhinein erstatten – formal sind die Präparate also nicht preiswerter als im Ausland.
Das bedeutet aber nicht nur, dass die Ausgaben für Großhandel und Apotheken auf der Grundlage der höheren Listenpreise berechnet werden. Auch die Ärzteschaft warnt vor steigenden Kosten. Denn: „Steuerungsinstrumente, die auf Arzneimittelpreisen basieren, sind dann endgültig obsolet und müssen abgeschafft werden“, so Dr. Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Bislang werden die Erstattungsbeträge veröffentlicht, sodass auch die Kassenärztlichen Vereinigungen und vor allem die Ärzte wissen, wie teuer ein neues Medikament ist. „Ohne diese Transparenz tappen Ärztinnen und Ärzte im Dunkeln. Sie können ihre Auswahlentscheidung nicht unter Berücksichtigung der Kosten vornehmen“, betonte Steiner und fügte hinzu: „Die Vereinbarung eines Ausgabevolumens in Unkenntnis der Preise ist unsinnig. Preisbezogene Steuerungsinstrumente einer wirtschaftlichen Verordnungsweise laufen damit ins Leere und müssen konsequenterweise aus dem SGB V gestrichen werden.“
Nach Einschätzung der KBV wird Ärztinnen und Ärzten damit die Möglichkeit einer kostenorientierten Verordnungsweise genommen. „Die Preisverantwortung obliegt damit allein der gesetzlichen Krankenversicherung.“ In ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf weist die KBV darauf hin, dass jetzt schon die tatsächlichen Verordnungskosten für die Mehrheit der verordneten Arzneimittel aufgrund von Rabattverträgen nicht bekannt seien.
Wenn die Ärzte zukünftig auch die Erstattungsbeträge und damit die tatsächlich für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) anfallenden Kosten von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nicht kennen würden, könnten die Arzneimittelvereinbarungen ihre steuernde Wirkung nicht mehr erfüllen. So könnten Ursachen für etwaige Überschreitungen nur noch bedingt festgestellt werden,. Eine Prüfung, ob Ärzte preisbezogene Wirtschaftlichkeitsziele eingehalten hätten, sei nicht mehr möglich.
Die KBV fordert daher, dass Wirtschaftlichkeitsprüfungen für Verordnungen, die ausschließlich auf Basis der Kosten durchgeführt werden, entfallen. Steiner: „Wir nehmen Bundesgesundheitsminister Lauterbach beim Wort, der wiederholt angekündigt hat, dass die Regresse abgeschafft werden sollen. Dies muss jetzt auch passieren.“
Die Kassen wiederum fürchten erheblichen Mehraufwand. Gegenüber Anspruchsberechtigten wie Selbstzahlern, PKVen oder Kliniken sollen die Firmen den vereinbarten Preis nämlich mitteilen und die Differenz zum tatsächlich gezahlten Abgabepreis ausgleichen. Dazu muss der Erwerb des Arzneimittels gegenüber dem GKV-Spitzenverband nachgewiesen werden; dieser kümmert sich dann um die Erstattung durch den Hersteller innerhalb von zehn Tagen. Der Nachweis kann nicht durch Apotheken oder den Großhandel geltend gemacht werden.
Durch die „Geheimpreise“ werde die Versichertengemeinschaft „finanziell erheblich belastet“, so der AOK Bundesverband. Zudem drohe ein massiver Bürokratieaufbau bei den gesetzlichen Krankenkassen. „Anders als in der Pharmastrategie angekündigt, ist durch die geplante Regelung mit erheblichen Transaktions- und Verwaltungsaufwänden bei den gesetzlichen Krankenkassen zu rechnen“, so die Vorstandsvorsitzende Dr. Carola Reimann. Das sei das Gegenteil des in der Pharmastrategie versprochenen Bürokratieabbaus. „Wir müssten ganz neue Prozesse zur Rückerstattung von Überzahlungen an die pharmazeutischen Unternehmer inklusive eines neuen Mahnwesen aufbauen“, so Reimann. Allein dadurch sei perspektivisch mit erheblichen zusätzlichen Bürokratiekosten im dreistelligen Millionenbereich pro Jahr zu rechnen.
„Weitaus größer sind die zu erwartenden finanziellen Folgewirkungen durch die Zerstörung bisher gut funktionierender Mechanismen zur Preisregulierung“, so die Vorsitzende. „Die geplante Regelung zu den vertraulichen Erstattungsbeträgen kollidiert mit einer ganzen Reihe von bestehenden Instrumenten der GKV für eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung, die auf Preisvergleichen basieren“, warnt Reimann. Die Kosten einer Therapie ohne Kenntnis der tatsächlichen Erstattungsbeträge seien von Ärzten sowie Apothekern nicht mehr abschätzen und Medikamente entsprechend nicht mehr preisgünstig zu verordnen beziehungsweise abzugeben, so Reimann.
„Außerdem drohen aus Sicht der AOK durch den aufwändigen und langwierigen Prozess der Nacherstattung, der im Entwurf vorgesehen ist, erhebliche Liquiditätsverschiebungen und Kostensteigerungen“, so die Vorsitzende. Das Ergebnis: „Die Einführung vertraulicher Erstattungspreise würden zu erheblichen finanziellen Mehrbelastungen der Versichertengemeinschaft zugunsten der Gewinne der pharmazeutischen Hersteller führen.“ AOK & Co. müssten den Pharmafirmen, die in Deutschland ohnehin schon einzigartig gute Marktbedingungen haben, „quasi einen zinslosen Kredit in Milliardenhöhe geben“ und zugleich „sämtliche Lasten für die Durchführung und Umsetzung der neuen Regelungen tragen“, so Reimann weiter. „Der Plan zur Einführung von Geheimpreisen ist daher ein Irrweg.“
„Jenseits der Regelungen zu den vertraulichen Erstattungspreisen enthält der Referentenentwurf zum Medizinforschungsgesetz auch eine ganze Reihe von sinnvollen Regelungen, um die Rahmenbedingungen für die Entwicklung, Zulassung und Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten in Deutschland zu verbessern“, so die Vorsitzende. „Der Abbau von bürokratischen Hürden und die Beschleunigung von Prüfverfahren für die Initiierung und Durchführung von medizinscher Forschung werden von uns ausdrücklich begrüßt“, betont sie. „Allerdings müssen wir auch unter den veränderten Rahmenbedingungen die Patientensicherheit im Blick behalten, die durch beschleunigte und vereinfachte Prüfverfahren nicht gefährdet werden darf.“
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