AOK: Steril ist zu viel Marion Schneider, 09.04.2018 07:57 Uhr
Was ist eine parenterale Lösung und wie wird diese abgerechnet? Um diese Frage dreht sich ein Rechtsstreit zwischen der Alten Apotheke in Stuttgart und der AOK Bremen/Bremerhaven. Jetzt hat Apothekerin Petra Steinbeck in zweiter Instanz Recht bekommen.
Die Apotheke im Stadtteil Feuerbach stellt Spritzen aus den fettlöslichen Vitaminen A, D3, E und K1 her. Die Spritzen entsprächen den ehemaligen „ADEK-Ampullen“ der Firma Falk, die nicht mehr im Handel erhältlich seien, informiert die Alte Apotheke auf ihrer Website. Sie werden individuell entsprechend der ärztlichen Verordnung hergestellt und deutschlandweit versendet. Bei der Abrechnung mit der AOK berief sich die Apotheke auf Anlage 3 der Hilfstaxe – rechnete die Spritzen also als parenterale Lösung ab.
Die Krankenkasse bezahlte zunächst die in Rechnung gestellten Beträge, beanstandete im August 2010 aber die Abrechnung. Statt Anlage 3 der Hilfstaxe hätte die Apotheke den Rezepturzuschlag nach Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) zugrunde legen müssen, so das Argument. Ein Widerspruch der Apotheke wurde mit der Begründung abgelehnt, dass es sich bei den Vitaminspritzen nicht um parenterale Zubereitungen als Infusionslösung handele. Im Februar 2011 retaxierte die AOK rund 1000 Euro von der Alten Apotheke. Diese Rexation ist unrechtmäßig, urteilte kürzlich das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) und bestätigte damit ein vorangegangenes Urteil des Sozialgerichts Stuttgart (SG).
Die AOK stützte sich auf ein Gutachten der Pharmazeutischen Beratungs- und Prüfstelle im Land Bremen. Demnach ist der Arbeitsaufwand für die Spritzen zu gering für den abgerechneten Preis. Die Apotheke stelle die Spritzen nach einer Standardrezeptur her, es handele sich darum nicht um eine parenterale Zubereitung, sondern um eine Defektur. In der Hilfstaxe seien Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln geregelt, in der AMPreisV Zubereitungen aus Stoffen. Außerdem sei die Abrechnung der Apotheke widersprüchlich, da der Rezepturzuschlag pro Applikation abgerechnet wurde, die Zuzahlungen jedoch pro Rezept.
Anlage 3 der Hilfstaxe enthält die „Preisbildung für parenterale Lösungen“, Teil 7 beinhaltet die „Preisbildung für sonstige parenterale Lösungen“. Ziffer 6 sieht für die Herstellung sonstiger parenteraler Lösungen pro Applikationseinheit einen Zuschlag von 54 Euro vor. Laut Ziffer 7 wird der Zuschlag für Injektionslösungen bis 20 ml nach § 5 Abs. 3 AMPReisV berechnet – die Apotheke erhält also nur 8 Euro. Ziffer 8 definiert, was als sonstige parenterale Injektion abrechnungsfähig ist: „Injektionslösungen mit dem Wirkstoff a) Deferoxamin, wenn sie zur Befüllung von Medikamentenpumpen bestimmt sind, b) Aldesleukin, wenn sie zur Anwendung außerhalb der ärztlichen Praxis bestimmt sind, sowie parenterale Zubereitungen mit fettlöslichen Vitaminen.“
Nach Ansicht der Apotheke gilt die Regelung in Ziffer 7 nur für Injektionen, die nicht in Ziffer 8 genannt werden. Die AOK sieht das anders. Ziffer 8 enthalte lediglich eine Definition der „sonstigen parenteralen Lösungen“. Die Vergütung dieser Lösungen richte sich nach den Ziffer 6 und 7. Die Sichtweise der Apotheke würde dazu führen, dass jegliche Zubereitung von parenteraler Lösung nach Anlage 3 der Hilfstaxe abzurechnen wäre. Dies werde jedoch von der Apothekerschaft so nicht praktiziert. Bei den ADEK-Spritzen handele es sich um eine Kombination mehrerer Stoffe und nicht um einen spezifischen Wirkstoff wie unter Ziffer 8 a und b genannt. Der Gesetzgeber hätte die Aufzählung hätte um Punkt c „Fettlösliche Vitamine“ erweitert müssen, wenn für diese nicht Ziffer 7 hätte gelten sollen.
Diese Interpretation ließ das LSG nicht gelten. Vergütungsregelungen seien stets eng am Wortlaut auszulegen. Bei den Spritzen handele es sich um Rezepturen und parenterale Lösungen. Sie würden subkutan injiziert und fielen damit unter den Anwendungsbereich der Anlage 3. Die Bestimmungen seien auch nicht auf Rezepturen aus Fertigarzneimittel beschränkt. Im Gegenteil, die vorangestellten allgemeinen Regelungen der Hilfstaxe sprächen vielmehr für den Einschluss aller parenteraler Lösungen. Dem stehe nicht entgegen, dass damit ein wesentlicher Teil der Rezepturen in den Anwendungsbereich der Hilfstaxe fällt und für § 5 Abs. 3 AMPreisV nur wenige Fälle übrig bleiben. Für parenterale Zubereitungen mit fettlöslichen Vitaminen gelte der Rezepturzuschlag von 54 Euro. Die AOK Bremen/Bremerhaven hat das Urteil bereits umgesetzt und retaxiert entsprechende Fälle nicht mehr.