99 Prozent Abschlag auf APU

AOK plaudert Rabattvertrags-Geheimnisse aus

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Berlin -

Der AOK ist bei ihrer aktuellen Rabattvertragsrunde ein kapitaler Fehler unterlaufen. Die Kasse verschickte streng vertrauliche Dokumente eines Herstellers an dessen Konkurrenz. Aus den Unterlagen, die APOTHEKE ADHOC vorliegen, geht hervor, dass der indische Anbieter Glenmark bei zahlreichen Wirkstoffen Rabatte von mehr als 99 Prozent des Herstellerabgabepreises geboten hat.

Die Rabattverträge zählen zu den bestgehüteten Geheimnissen der Krankenkassen. Schließlich sollen die Pharmaunternehmen bei den Ausschreibungen gegeneinander antreten und dabei mit verdeckten Karten spielen. Nur so lässt sich für die Kassen der maximale Rabatt herausholen. Auch nach Vertragsschluss werden nur die Rabattpartner benannt, die Konditionen bleiben geheim.

Umso gravierender ist der Fehler, der der AOK unterlaufen ist. Die Kasse hat die Zuschläge für Glenmark an andere Bieter verschickt. Die Konkurrenten können jetzt bis auf die fünfte Nachkommastelle sehen, was der Preis pro Gramm Wirkstoff ist. Je nach Wirkstoff sind die Angebote an der Grenze zur Schenkung.

Für das Analgetikum Buprenorphin etwa bietet Glenmark auf alle Wirkstärken und Packungsgröße Rabatte von über 99 Prozent auf den Herstellerabgabepreis (APU). Eine einzelne Tablette des hochwirksamen Betäubungsmittels kostet demnach rund einen halben Cent. Auch bei Geboten zu anderen Opioiden oder Sartanen sind die Gebote häufig jenseits der 80-Prozent-Grenze. Für ein Gebot liegt der Rabatt sogar bei 99,96 Prozent auf den APU. Für mehrere Dutzend PZN hat die AOK diese streng vertraulichen Betriebsgeheimnisse durch die Gegend geschickt.

Zu dem Super-GAU bei der Ausschreibung schweigt sich die federführend tätige AOK Baden-Württemberg dagegen aus: „Bitte haben Sie dafür Verständnis, dass wir zu abgeschlossenen wie auch zu laufenden Vergabeverfahren keinerlei Informationen zu Teilnehmern, technischen Abläufen oder verfahrensbegleitenden Maßnahmen geben können und dürfen“, teilte die Kasse auf Nachfrage schriftlich mit.

Glenmark wollte sich auf Nachfrage nicht zu dem Vorfall äußern, der Hersteller steht noch im Austausch mit der Kasse. Rechtliche Handhabe gegen die AOK dürfte das Unternehmen kaum haben. Das sehen die Verträge schlicht nicht vor.

AOK droht keine Strafe

Laut dem Vergaberechtsexperten Dr. Marc Gabriel von der Kanzlei Baker McKenzie handelt es sich um eine nie dagewesene Panne. „Der Vorfall ist gravierend und geeignet, das Grundvertrauen in ein solches System der Rabattverträge nachhaltig zu untergraben“, sagte er gegenüber APOTHEKE ADHOC.

Die Hersteller müssten vier- bis fünfstellige Vertragsstrafen zahlen, wenn eine einzelne PZN auch nur einen Tag zu spät gemeldet werde – und das selbst Wochen vor dem Start der Verträge. Auf der anderen Seite bleibe ein solcher Fehler der AOK vollkommen sanktionslos. „Der Fall zeigt, wie absurd diese Rabattvertragswelt ist und wie schief das Machtverhältnis zwischen den Krankenkassen und Herstellern“, so Gabriel.

Und noch etwas zeigt der Fall: Wie weit der Weg für die Politik ist, wenn sie – wie mehrere Parteien in ihren Wahlprogrammen angekündigt haben – Deutschland wieder zur „Apotheke der Welt“ machen wollen. Die Forderung wurde erstmals mit dem Valsartan-Skandal wieder populär, die Coronakrise hat die Abhängigkeit von der Wirkstoff- und Arzneimittelproduktion in Indien und China noch mehr ins Bewusstsein der Verantwortlichen gerückt. Der Branchenverband Pro Generika und die großen Mitgliedsfirmen haben das Thema auf die Agenda gesetzt.

Die Herstellung unter Rabattvertragsbedingungen ist in Deutschland schlicht nicht möglich. Hersteller Glenmark hat zwar eine Vertretung im oberbayerischen Gröbenzell, produziert wird aber in Indien. Für die gebotenen Preise könnte man hierzulande nicht einmal die Faltschachtel herstellen lassen, sagt ein Insider.

Deutschland als „Apotheke der Welt“?

Denn gerade bei den AOK-Rabattrunden gehen die Hersteller mit ihren Geboten an die Schmerzgrenze – und dem Vernehmen nach manchmal darüber hinaus. Die Gesamtkostenrechnung: Wenn die Apotheken das Präparat eines bestimmten Anbieters aufgrund der großen AOK-Verträge sowieso an Lager haben, geben sie es auch in Mehrpartnerverträgen anderer Kassen oder sogar außerhalb der Rabattverträge häufiger ab.

Gleichzeitig sind die Rabattverträge für die Krankenkassen ein im Grunde unersetzliches Sparinstrument. Im vergangenen Jahr wurden die Arzneimittelausgaben um knapp 5 Milliarden Euro gedrückt, allein die AOK hat rund 2 Milliarden Euro gespart. Die leicht gelockerten Abgabevorschriften für die Apotheken aufgrund der Coronakrise hatten auf die Einsparungen keinen negativen Einfluss. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte beim Deutschen Apothekertag (DAT) an, dass er gerne über eine Verstetigung der Regelungen und die Preisbildung bei Generika insgesamt reden will – ohne das Preisniveau anzuheben: „Die Einsparungen will ich schon behalten.“

Theoretisch können die Patient:innen auch selbst entscheiden, dass sie ein bestimmtes Präparat und nicht das Rabattarzneimittel bekommen. Doch diese Mehrkostenregelung kommt so gut wie nie zum Einsatz. Denn die Patient:innen zahlen dann nicht nur die Differenz, sondern das Ausweichpräparat komplett. Schließlich sind die Preise der Rabattarzneimittel streng geheim – jedenfalls in der Regel.

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