Im Windschatten der ab 1. April gültigen neuen Festbeträge und Rabattverträge bittet die AOK Nordwest ihre Versicherten verstärkt zur Kasse. Nach Angaben von Apotheker Gunnar Müller von der Sonnen Apotheke in Detmold wurde für das Arzneimittel Salbuhexal der bisherige freiwillige Verzicht auf Zuzahlung durch die Kasse gestrichen. Jetzt werden mindestens fünf Euro fällig. Ob die AOK für weitere Rabattarzneimittel den freiwilligen Zuzahlungsverzicht aufgehoben hat, ist nicht bekannt. Die Kasse verweigert auf eine entsprechende Anfrage die Antwort.
„Patienten der AOK Nordwest werden schlechter gestellt“, so Müller: „Bislang ist die AOK Nordwest eine der Kassen gewesen, die zugunsten ihrer Patienten auf Zuzahlungen verzichtet hat. Diese Linie wird jetzt offenbar verlassen.“ Dies gilt laut Müller auch für ein weiteres Rabattarzneimittel: Bis zum 31. März wurde ausschließlich Pantoprazol des Herstellers Pensa im Rabattvertrag geführt, seit 1. April sind drei neue Firmen Vertragspartner: Puren, Heumann und Aristo. Das Arzneimittel von Aristo ist zuzahlungspflichtig. „In ähnlichen Fälle hat die AOK Nordwest früher die Zuzahlung aus Gründen der Gleichbehandlung der Hersteller erlassen“, so Müller.
Die AOK antwortet nur ausweichend auf die Anfrage von APOTHEKE ADHOC zu diesen Sachverhalten: „Die von Ihnen angefragten Arzneimittel Salbuhexal und Pantoprazol Aristo sind Teil der 19. Rabattwelle, die zum 1. April 2018 neu gestartet ist. Arzneimittel werden gesetzlich von der Zuzahlung befreit, wenn ihr Abrechnungspreis mindestens 30 Prozent unterhalb des Festbetrags liegt. Außerdem können rabattierte Arzneimittel im Ermessen der jeweiligen Krankenkassen von der Zuzahlung befreit werden. Die zu erbringenden Zuzahlungen unserer Versicherten werden regelmäßig angepasst. Der Grundsatz dabei ist, dass unsere Versicherten beim Bezug eines Rabattarzneimittels im Bereich ihrer Zuzahlungen nicht schlechter gestellt werden, als beim Bezug eines vergleichbaren Präparats.“
Mit Blick auf den 1. April hatte auch die ABDA auf höhere Zuzahlungen hingewiesen. Von den mehr als 70 Millionen GKV-Patienten müssen viele mit einem Anstieg der gesetzlichen Zuzahlungen für rezeptpflichtige Arzneimittel rechnen. Wo bisher keine Zuzahlungen anfallen, können dann 5 bis 10 Euro pro verordnetem Medikament fällig sein, die von den Apotheken für die Krankenkassen eingezogen werden, teilte der Deutsche Apothekerverband (DAV) mit.
Vom Absenken der Festbeträge, die eigentlich Erstattungshöchstbeträge sind, versprechen sich die Krankenkassen laut DAV jährliche Einsparungen in Höhe von 105 Millionen Euro. Senken die Hersteller ihre Preise nicht parallel ab, kann plötzlich eine Zuzahlungspflicht für die Patienten entstehen. Nach Berechnungen des DAV nehmen die Zuzahlungen für Arzneimittel, die Krankenkassen ihren Versicherten in den Apotheken abverlangen, bereits seit Jahren zu: Im Jahr 2017 waren es schon mehr als 2,1 Milliarden Euro.
Auch der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) warnte vor den Wirkungen der neuen Festbeträge. Für 30 Gruppen wurden zum 1. April die Preise angepasst, für Infliximab wurde erstmals ein Festbetrag festgesetzt. Außerdem wurden elf Gruppen mangels Besetzung aufgehoben. Zeitgleich zu den kassenübergreifenden Festbetragsanpassungen traten zum 1. April auch kassenspezifische Rabattverträge neu in Kraft. So haben die AOKen nach eigenen Angaben mehr als 100 Wirkstoffe mit mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz pro Jahr vergeben, darunter Pantoprazol und Metamizol. Auch die DAK Gesundheit hatte Verträge zum 1. April geschlossen. Die Techniker Krankenkasse (TK) hatte bereits zum 1. März mehr als 100 Fachlose in Rabattverträgen für die Versorgung ihrer Versicherten vergeben. Durch die Umstellung auf ein anderes Rabattarzneimittel kann sich auch die Zuzahlungshöhe ändern.
Der G-BA legt fest, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge eingeführt werden. Der Festbetrag wird dann vom GKV-Spitzenverband festgelegt und ist der Betrag, den die Kassen maximal für das Arzneimittel bezahlen. Übersteigen die Kosten für das Präparat diese Erstattungsgrenze, zahlt der Patient entweder die anfallenden Mehrkosten oder erhält ein gleichwertiges Arzneimittel ohne Zuzahlung. Vor diesem Hintergrund gleichen die Hersteller die Preise ihrer Arzneimittel meist dem Festbetrag an. Den Apotheken drohen dann Lagerwertverluste.
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