EuGH-Urteil

AOK: Rx-Versand ist „Scheingefecht“ Lothar Klein, 28.09.2017 16:28 Uhr

Berlin - 

Wie es mit dem Rx-Versandverbot weitergeht, muss bis zur Bildung der neuen Bundesregierung vorerst offen bleiben. Trotzdem geht die Diskussion über Pro und Kontra weiter. Beim „BAH in Dialog“ plädierte Dr. Martin Danner von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe für eine „differenzierte“ Betrachtung. Die Befürchtungen über die Ausweitung des Rx-Versandhandels seien nicht eingetreten. Und für den AOK-Bundesverband ist der Streit ohnehin nur ein „Scheingefecht“, das von den eigentlichen Strukturproblemen des Apothekenmarktes ablenkt.

Die AOKen plädierten für Vielfalt auf dem Apothekenmarkt, argumentierte in der Podiumsdiskussion Dr. Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung beim AOK-Bundesverband. Man dürfe daher den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln nicht „ohne Not über Bord werfen“. Außerdem stelle ein Verbot einen „schweren Eingriff“ in die Eigentumsrechte der Versender dar. Richard kritisierte das EuGH-Urteil, weil es das in Deutschland bestehende Sachleistungsprinzip des GKV-Systems nicht berücksichtigt habe: „Das hat Priorität.“ Die Boni-Vergabe sehr daher ein „schwieriges Prinzip“. Der EuGH habe „quer zu allen Frage in Deutschland“ sein Urteil gesprochen.

Trotzdem habe danach „kein Erdbeben“ auf dem Apothekenmarkt stattgefunden, obwohl die ausländischen Versender ihr Marketing sofort „hochgefahren haben“. Richard räumte ein, dass die AOK „gerne“ mit den Versandapotheken über Arzneimittellieferverträge sprechen würden. Dies werde aber angesichts der politischen Diskussion derzeit unterlassen.

Die Vor-Ort-Apotheken seien gute Partner, sagte Richard. Die AOK lehne ein Rx-Versandverbot auch deshalb ab, weil es keine Probleme bei der Sicherung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung löse: „In Hüffenhardt öffnet doch keine Apotheke, wenn DocMorris dort verschwindet.“ Die Diskussion verstelle den Blick auf die Strukturprobleme. Richard: „Das Scheingefecht überdeckt die eigentlichen Probleme.“ Die Apotheker müssten stattdessen ihr Geschäftsmodell überdenken. Die digitale Rezeptsammelstelle des LAV Baden-Württemberg sein ein erster richtiger Schritt. Es müsse nicht überall Voll-Apotheken geben.

In eine ähnliche Richtung argumentierte Danner. Die Arzneimittelversorgung werde sich aufgrund der Digitalisierung ohnehin weiterentwickeln. „Wir bekommen ein sehr differenziertes Bild.“ Das Argument, dass Boni gegen das Sachleistungsprinzip der GKV verstießen, wollte Danner so nicht gelten lassen: Auch Zuzahlungen und Aufzahlungen hätten mit dem Sachleistungsprinzip nichts zu tun. Daher verstünden sich die Patienten als Marktteilnehmer und „nehmen Vorteile durch Boni in Kauf“.

Für den BAH-Vorstandsvorsitzenden Jörg Wieczorek gibt es dagegen keine Grund, von einem Rx-Versandverbot abzurücken. Der durch das EuGH-Urteil entstandene Wettbewerbsvorteil ziehe „riesige strukturelle Probleme“ nach sich. Der OTC-Anteil von inzwischen 12 bis 15 Prozent des Versandhandels zeichne die Entwicklung für den Rx-Versand vor.

Aktuelle Marktzahlen seien kein Argument für eine Entwarnung, sagte auch Professor Dr. Uwe May von der Fachhochschule Fresenius. „Solche Prozesse brauchen Zeit. Patienten ändern ihr Verhalten nicht von heute auf morgen.“ Es gelte zu beobachten, ob Apotheken vor Ort sich in Zukunft noch halten könnten und noch von den Patienten in Anspruch genommen würden.

Statt mit einem Versandhandelsverbot könnte man Apotheken in versorgungsschwachen, ländlichen Gebieten auch mit einem Strukturfonds unterstützen, analog zum Nacht- und Notdienstfonds, schlug Christian Buse vom Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) vor.

Dem widersprach Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbandes. „Ich sehe aufgrund des EuGH-Urteils die Gefahr, dass hier nicht mehr Qualität vor Preis gilt und es letztendlich zu einem Verdrängungswettbewerb kommt.“

Er räumte zwar ein, dass er in seiner Apotheke keine Verschiebung zum Rx-Versandhandel spüre, „aber andere Kollegen melden bereits eine merkliche Abwanderung“. Anders als beim inländische Rx-Versandhandel hätten die ausländischen Versender bereits „merkliche Zuwächse“. Hubmann: „Der Verdrängungswettbewerb kommt.“