Die AOK Hessen darf sich über eine Haushaltsspritze freuen: Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) im Zytostreit zu Gunsten der Kasse entschieden hat, kann diese die Retaxationen umsetzen – es geht um Millionenbeträge. Die retaxierten Apotheker wollen zwar noch vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ziehen, bei der AOK ist man aber zuversichtlich, dass das BSG-Urteil in Karlsruhe Bestand hat.
Ende November hat das BSG entschieden, dass die AOK Apotheken retaxieren durfte, die ohne Vertrag ihre Krebspatienten weiter mit Sterilrezepturen versorgten. Die freie Apothekenwahl gebe es in diesem Bereich nicht, weil die onkologischen Praxen ohnehin von den Apotheken direkt beliefert werden, heißt es sinngemäß in den nunmehr vorliegenden Urteilsgründen.
Die retaxierten Apotheker und ihre Anwälte sind von der Begründung des BSG nicht überzeugt. Sie sehen darin ein „politisches Urteil“ gegen die Apotheker und wollen die Entscheidung in Karlsruhe überprüfen lassen. Die Verfassungsbeschwerde soll der Verfassungsrechtler Professor Dr. Thorsten Kingreen von der Universität Regensburg führen.
Bei der AOK Hessen sieht man dem Verfahren gelassen entgegen: „Selbstverständlich respektieren wir, dass hier der Rechtsweg weiter beschritten wird. Gleichzeitig sind wir optimistisch, dass Karlsruhe unserer Rechtsauffassung folgen wird“, teilte ein Sprecher auf Nachfrage mit.
Wenn die Verfassungsbeschwerde abgewiesen wird, kann die AOK endgültig Kasse machen. Zu den einzelnen Beträgen will man sich in Bad Homburg nicht äußern. „Die vereinnahmten Gelder fließen selbstverständlich zurück in den Haushalt der AOK Hessen und damit zurück an die Beitragszahler – also unsere Versicherten und deren Arbeitgeber“, so der Sprecher. 2014 hatte der Haushalt der Kasse ein Volumen von 4,8 Milliarden Euro zuzüglich 800 Millionen Euro für die Pflegeversicherung.
Für die Apotheker bedeuten die Kürzungen dagegen schmerzhafte, mitunter existenzbedrohende Einschnitte. Allein im vor dem BSG verhandelten Fall ging es um 70.500 Euro – nur für den Monat Dezember. Da insgesamt rund ein Dutzend Apotheker retaxiert wurde, kann die Kasse jetzt einen zweistelligen Millionentrag einziehen. Dem Vernehmen nach hat die Kasse im Januar angekündigt, weitere 15 Millionen Euro abzuziehen.
Immerhin hat die Kasse offenbar angeboten, die Retaxationen nicht auf einmal fällig zu stellen, sondern auf mehrere Abrechnungen zu verteilen. Zudem hatten einige der betroffenen Apotheker im Vorfeld der entscheidenden Gerichtsverhandlung eine Vereinbarung getroffen, die beide Seiten absichert: Die Kasse würden demnach im Fall eines Sieges nicht komplett auf Null retaxieren, die Apotheker hätten der AOK im anderen Fall einen Rabatt eingeräumt.
Die genauen Zahlen aus dem „Zyto-Deal“ sind nicht bekannt. Fest steht, dass die AOK Hessen mit ihren Exklusivverträgen viel mehr Geld eingespart hat als ursprünglich eingeplant. Da nicht alle Apotheker ein Sicherungsnetz für sich gespannt hatten, bekommt die AOK die Versorgung ihrer Versicherten mit teuren Krebsmedikamenten in diesen Fällen sogar vollständig gratis.
Die AOK hatte 2013 die Versorgung mit parenteralen Zytostatika-Zubereitungen ausgeschrieben und exklusive Verträge mit zwölf Apotheken geschlossen. Trotz schriftlicher Bestätigung der Patienten, dass sie weiterhin auf diesem Weg versorgt werden möchten, retaxierte die AOK alle Apotheken ohne Vertrag gemäß ihrer eigenen Ankündigung auf Null. Während des Verfahrens hatte man sich darauf verständigt, dass die AOK vorläufig jeden dritten Monat retaxiert.
Das Sozialgericht Darmstadt (SG) hatte noch zu Gunsten des Apothekers entschieden. Doch im Revisionsverfahren vor dem BSG setzte sich die Kasse durch: Mit der Möglichkeit von Exklusivverträgen habe der Gesetzgeber den Ausschluss anderer Apotheken „bewusst in Kauf genommen“. Damit war auch die Nullretaxation aus Sicht des BSG angemessen. Der Apotheker habe keinen Anspruch auf Erstattung der „Sowiesokosten“ der Krankenkasse – also Zahlung zumindest des rabattierten Preises. Das BVerfG habe ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen Nullretaxationen gesehen. Jetzt müssen sich die Karlsruher Richter erneut mit den Apothekern befassen.
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