Die AOK Hessen und AOK Sachsen-Anhalt fordern von den Apotheken auch in diesem Jahr eine Verzichtserklärung. Weil die Kassen befürchten, womöglich zu viel Umsatzsteuer auf Herstellerabschläge gezahlt zu haben, sollen die Apotheken eine mögliche Verjährung solcher Ansprüche abwenden. Die Steuerberater der Apotheker sind sich dagegen einig, dass die beiden Kassen völlig ohne Not alle verrückt machen.
Hintergrund ist der Streit einer ausländischen Versandapotheke um die umsatzsteuerliche Behandlung von Herstellerabschlägen. Das Finanzgericht Münster hatte im März 2018 entschieden, dass dem Zwangsrabatt keine umsatzsteuerrechtliche Bedeutung zukommt. Weil damit die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer in Höhe des Herstellerabschlags gemindert sei, habe man „ohne Rechtsgrund Umsatzsteuer auf ein ‚Nicht-Entgelt‘“ gezahlt, schreibt etwa die AOK Sachsen-Anhalt. Und daraus könne gegebenenfalls ein „bereicherungsrechtlicher Anspruch gegenüber der abrechenden Apotheke“ entstehen. Die Apotheker sollen schriftlich bestätigen, dass etwaige Ansprüche zum Jahreswechsel nicht verfallen, im Juristendeutsch: Verzicht auf Einrede der Verjährung.
Die Aktion erinnert stark an die Situation vor fast genau einem Jahr: Auch im Dezember 2019 wurden Apotheken von gut einer Handvoll Kassen zu entsprechenden Verzichtserklärungen aufgefordert, namentlich von den AOKen Hessen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Rheinland/Hamburg sowie der IKK gesund plus und der IKK Südwest. Aber weil der auslösende Steuerstreit der Versandapotheke noch beim Bundesfinanzhof (BFH) zur Entscheidung liegt und überhaupt gewichtige Gründe gegen einen Anspruch der Kassen bestehen, gaben viele Apotheken die geforderte Erklärung auf Empfehlung ihrer Steuerberater nicht ab. Insbesondere die AOK Hessen machte ihre Klageandrohung kurz vor Weihnachten in hunderten Fällen wahr, scheiterte aber sang- und klanglos vor den Sozialgerichten.
Auffällig war schon damals, dass die allermeisten Kassen, darunter alle Ersatzkassen und mehrere große AOKen, solche Befürchtungen nicht hatten und nie aktiv wurden. Trotzdem haben in diesem Jahr zumindest die AOKen Hessen und Sachsen-Anhalt wieder Schreiben verschickt. In Abstimmung mit den jeweiligen Landesapothekerverbänden (LAV) wurden Verzichtserklärungen erarbeitet, die die Apotheker unterschreiben sollen. Anderenfalls müssten sie damit rechnen, erneut verklagt zu werden. „Die damit möglicherweise verbundenen Unannehmlichkeiten können durch die Abgabe der Vereinbarung zum o.g. Termin vermieden werden“, heißt es im Schreiben.
Obwohl der Anspruch der Kassen nach Auffassung von Experten nicht besteht und Klageaussichten der Kassen als sehr gering angesehen werden, bleibt natürlich ein Restrisiko bestehen. Deshalb müssen die Apotheker abwägen, ob sie die vermutlich am Ende gegenstandslose Erklärung nicht einfach abgeben sollen. Die Verbände beraten grundsätzlich in diese Richtung, wurden aber von verschiedenen Steuerberatern auf ein neues Risiko hingewiesen.
Die Apotheker müssen ihre Umsatzsteuerbescheide offenhalten, damit sie auf jeden Ausgang des BFH-Verfahrens reagieren können. Das wiederum machen nicht alle Finanzämter mit. Und es sei den Apotheken nicht zumutbar, in diesen Fällen wie von der AOK zunächst empfohlen, selbst gegen die Bestandskraft der Bescheide zu klagen. Mit Hilfe der Steuerberatungsgesellschaft Treuhand Hannover konnte die AOK Sachsen-Anhalt überzeugt werden, in diesen Fällen auf etwaige spätere Ansprüche zu verzichten. Die Apotheken müssen dazu aber nachweisen, dass ihr Antrag vom Finanzamt abgelehnt wurde. Allen anderen Apothekern empfiehlt der LAV aber weiterhin, die Vereinbarung mit der AOK zu unterzeichnen. Die AOK Hessen hat diese Einschränkung nicht zugesagt, der LAV daher eine eigene Vereinbarung für seine Mitglieder vorbereitet. Diese sieht auch eine Klagerücknahme der AOK Hessen für die Fälle aus dem vergangenen Jahr vor. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Kasse dazu verhält.
Steuerberater Gilbert Hönig hat seinen Mandanten empfohlen, die Vereinbarung nicht zu unterzeichnen, mit der die Apotheken „zur umfassenden Mitwirkung verpflichtet“ würden. Das SG Kassel habe die Klagen der AOK Hessen im Mai abgewiesen, weil diese „keinen schlüssigen Sachverhalt“ enthalten habe.
Hönig hat seinem Schreiben eine Erklärung zum vermeintlichen Erstattungsanspruch wegen zu viel entrichteter Umsatzsteuer auf den Herstellerabschlag beigefügt. Die Bewertung der AOK sei falsch, was anhand einer beigefügten Beispielrechnung auch leicht nachvollziehbar sei. Unter dem Strich steht: „Umsatzsteuerliche Auswirkungen betreffen nur die Eben der pharmazeutischen Unternehmen; bei den Apotheken sind sie neutral.“ Das Verfahren beim BFH betreffe die gerade nicht die Apotheken, der Ausgang des Rechtsstreits sei daher auch nicht abzuwarten. Er empfiehlt stattdessen der AOK, keine weiteren Aufforderungen mehr zu verschicken und insbesondere die Gerichte nicht mehr zu bemühen.
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