Versandhandel

Hermann: Apotheken gehen nicht unter Lothar Klein, 03.07.2017 13:58 Uhr

Berlin - 

Nicht die Versandapotheken sind die schärfsten Konkurrenten der Vor-Ort-Apotheken, sondern die Apotheke an der nächsten Ecke. So sieht es jedenfalls die AOK Baden-Württemberg: „Wir sind der Meinung, dass die Präsenzapotheke durch den Versandhandel weniger in einen Wettbewerb gebracht wird als durch andere Präsenzapotheken“, so Vorstandschef Dr. Christopher Hermann im Gespräch mit APOTHEKE ADHOC. Existenzsorgen wegen des Versandhandels seien daher unbegründet. Vielmehr sollten die Apotheken froh über die Wahlfreiheit der Versicherten sein.

Die Wettbewerbsfrage bei Apotheken laute: Wie kann ich meinen Kunden an mich binden? „Daran ändert sich in Zukunft auch nichts“, so Hermann. Früher sei der Wettbewerb ausschließlich unter den Präsenzapotheken verortet gewesen. In den letzten Jahren sei der Versandhandel hinzugekommen. Der Kundenwunsch nach persönlichem Kontakt werde dafür sorgen, dass die Präsenzapotheken nicht um ihre Existenz fürchten müssten. Auch in Zukunft solle und werde die Apotheke vor Ort bei der Arzneimittelversorgung die bei Weitem wichtigste Rolle spielen.

„Aber Kunden sollen auch weiterhin die Wahl treffen dürfen und ihre Arzneimittel im Internet bestellen“, so der AOK-Chef. Gerade die inhabergeführte Apotheke vor Ort lebe davon, dass Patienten der Arzneimittelbezug nicht vorgeschrieben werde. Jede Initiative, die diese Wahlmöglichkeiten der Patienten einschränke, stelle das Prinzip in Frage und werde von der AOK Baden-Württemberg nachdrücklich abgelehnt.

Wegen der nicht abreißenden Kette von Lieferproblemen fordert Hermann den Aufbau von Melderegistern und eine Bevorratungspflicht für die Pharmaindustrie. „Es geht insbesondere darum, die Hersteller stärker in die Pflicht zu nehmen“, so Hermann. Die AOK erlebe immer wieder, dass von den Firmen Lieferprobleme behauptet würden, wo nachweislich keine bestünden, „während tatsächliche und versorgungsrelevante Probleme verschwiegen werden“. Hermann: „Hersteller, die kontingentiert oder nur symbolische Mengen ausliefern, behaupten ihre uneingeschränkte Lieferfähigkeit, ohne dass die Menge der in den Markt gelieferten und im Markt verfügbaren Packungen transparent wird.“

Außerhalb der Rabattverträge bestehe für Apotheken nicht einmal die technische Möglichkeit, ein Lieferproblem im Abrechnungsweg zu dokumentieren. „Wir wissen, dass die Apotheken ein ureigenes Interesse an einer uneingeschränkten Lieferfähigkeit der Großhandlungen und Hersteller haben. Das ist nur mit mehr Transparenz zu erreichen“, so der AOK-Chef.

Erst auf der Basis dieser Transparenz über die herstellerseitig in den Markt gelieferten Packungen und ihren Verbleib könnten Maßnahmen wie Mindestliefermengen oder Mindestbevorratung der Hersteller greifen. Angesichts der bestehenden Intransparenz im Gesamtmarkt brächte selbst eine stringente und strafbewehrte Meldepflicht von Lieferausfällen für die Hersteller nichts, „faktisch bliebe sie immer freiwillig“, so Hermann. Dass das Freiwilligkeitsprinzip dort versage, sei spätestens nach der Befragung unter den bundesdeutschen Krankenhausapotheken durch die ADKA im Februar 2017 belegt.

Bereits heute seien Großhändler, Krankenhausapotheken und Apotheken per Gesetz zur Anlage einer „Versorgungsreserve“ verpflichtet. „Die Regelung für diese Parteien sind gut, für sie ausreichend und können einen Lieferausfall des Herstellers für bis zu drei Wochen überbrücken. Das gesamte System funktioniert allerdings nur dann zuverlässig, wenn der Hersteller nicht länger ausfällt und es zudem keinen wirkstoffgleichen Ersatz gibt“, so Hermann.

Angesichts der Bedeutung des Herstellers für die Verfügbarkeit von Arzneimitteln sei es „geradezu grotesk, dass allen Vertriebsstufen des Marktes Bevorratungspflichten auferlegt sind, der Hersteller dagegen seine Lagerkapazität frei bestimmen und etwa Bestellmengen nach Belieben kürzen kann“.

Die Versorgung der Patienten mit lebenswichtigen Arzneimitteln werde offenbar erst dann wirklich wichtig, wenn das Arzneimittel nicht mehr beim Hersteller sei. Hermann: „In Analogie zu Apotheken und Großhandlungen sind auch Hersteller zu verpflichten, Mindestmengen vorzuhalten und bestellte Arzneimittelmengen auch zu beliefern.“ Die Bevorratung sei für alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel erforderlich und von den Herstellern zu bezahlen.