Mit der Zulassung von Light-Filialen könnte auch das Fremdbesitzverbot ins Wanken geraten. Davon ist jedenfalls Stefan Kurth, Steuerberater und Rechtsanwalt aus Dresden, Geschäftsführer in der Schneider+Partner Beratergruppe, überzeugt. Aus seiner Sicht untergraben die Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nämlich wichtige Argumente, mit denen der Europäische Gerichtshof (EuGH) seine Entscheidung zu DocMorris im Jahr 2009 begründet hatte. Besonders perfide aus seiner Sicht: Wieder einmal sorgt die Politik gezielt für unklare Verhältnisse – und überlässt es den Gerichten, die unpopulären Entscheidungen zu treffen.
Lauterbach hatte mehrfach beteuert, dass die von ihm geplanten Light-Filialen – kein Apotheker, keine Rezeptur, kein Notdienst – nicht der Einstieg in eine weitergehende Liberalisierung sein sollen. Auch weitere Lockerungen beim Mehrbesitz um ein bis zwei Filialen mehr pro Apotheke sollen die Struktur des Marktes nicht beschädigen – „erneut in Apothekerbesitz, kein Fremdbesitz, keine Investoren“, wie der Minister bei seiner Videoansprache zum Deutschen Apothekertag (DAT) versicherte.
Auf diese Aussagen darf man nicht viel geben, findet Kurth. Denn wenn Lauterbach seine Pläne umsetzt, fallen entscheidende Argumente für das Fremdbesitzverbot weg. Der Experte verweist auf das Urteil des EuGH aus dem Jahr 2009 zu DocMorris: Damals hatten die Richter in Luxemburg in den deutschen Regelungen zwar einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gesehen, diese aber dadurch als gerechtfertigt angesehen, da sie dem Schutz der Gesundheit und dem finanziellen Gleichgewicht der Sozialversicherungssysteme diene. Der nationale Gesetzgeber ist frei, Instrumente zu suchen, um das Gewinnstreben zu beschränken. Die Inhaberschaft durch Apotheker:innen und eigenverantwortliche Führung ist ein solches taugliches Instrument.
Konkret wurde argumentiert, dass es eben Apothekerinnen und Apotheker sind, die nicht nur persönlich für ihre Arbeit zur Verantwortung gezogen werden können, sondern auch in der jeweiligen Apotheke die persönliche Leitung übernehmen.
So heißt es in dem Urteil, dass bei einem „Berufsapotheker“ davon auszugehen sei, „dass er die Apotheke nicht nur aus rein wirtschaftlichen Zwecken betreibt, sondern auch unter einem beruflich-fachlichen Blickwinkel“. Und weiter: „Sein privates Interesse an Gewinnerzielung wird somit durch seine Ausbildung, seine berufliche Erfahrung und die ihm obliegende Verantwortung gezügelt, da ein etwaiger Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder berufsrechtliche Regeln nicht nur den Wert seiner Investition, sondern auch seine eigene berufliche Existenz erschüttert.“
Vor diesem Hintergrund wurde auch die aktuell geltende Regelung von bis zu drei Filialen pro Hauptapotheke verteidigt: „Zunächst betreibt der betreffende Apotheker die Filialapotheken in eigener Verantwortung und bestimmt somit die allgemeine Geschäftspolitik dieser Filialen. Für die genannten Filialen ist mithin davon auszugehen, dass auch sie unter einem beruflich-fachlichen Blickwinkel betrieben werden, wobei das private Interesse an Gewinnerzielung in dem gleichen Maße gezügelt wird, wie dies beim Betrieb von Apotheken, die nicht den Status von Filialapotheken haben, der Fall ist.“
Für Kurth ist klar: „Ist diese Zügelung ausgehebelt, weil der Apotheker diese nicht mehr umsetzen kann, fehlt es an der Rechtfertigung genau dieser Beschränkung der Niederlassungsfreiheit, die der EuGH ja dem Grunde nach bejaht.“ Mit anderen Worten: Lässt sich eine Beschränkung nicht mehr damit rechtfertigen, dass sie zur Erreichung eines bestimmten Ziels geeignet ist, kann sie nicht mehr verteidigt werden.
„Die Zulässigkeit des Fremdbesitzverbots liegt genau in dieser Eigenverantwortlichkeit bei der Abgabe von Arzneimitteln zum Schutz der Gesundheit.“ Der EuGH habe anerkannt, dass der Apotheker gegenüber dem Nichtapotheker dafür die Gewähr biete und dass auch bei drei Filialen unter den jetzigen Voraussetzungen von dieser „Zügelung“ auszugehen sei. Es wird Zeit, dass das auch der Gesundheitsminister realisiert. „Ketten in Apothekerhand oder grenzenloser Mehrbesitz ohne Eigenverantwortlichkeit des Apothekers würden dies zerstören“, so Kurth.
Der EuGH hatte explizit darauf abgestellt, dass Filialen nach den heutigen Regelungen in einem bestimmten räumlichen Umkreis liegen müssen, „damit eine hinreichende Anwesenheit des betreibenden Apothekers in den Filialen und deren tatsächliche Überwachung durch diesen gewährleistet ist“. Außerdem habe der Inhaber für jede Filiale „einen Apotheker als Verantwortlichen zu benennen, der für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und dafür zu sorgen hat, dass die Führung der betreffenden Filialapotheke mit der allgemeinen Geschäftspolitik, die der betreibende Apotheker festgelegt hat, übereinstimmt“.
Eine Vielzahl von Filialen, in denen noch nicht einmal Approbierte mit Berufsethos tätig sind, lassen sich laut Kurth nicht mit dem Grundprinzip des freien Heilberufs mit persönlicher Verantwortung, Überwachung und Leitungsfunktion vereinbaren. „Ich halte daher die Aussage von Lauterbach, das Fremdbesitzverbot nicht angreifen zu wollen, für scheinheilig.“
Was ihn besonders ärgert: dass der Minister die Branchen mit seinen Plänen gezielt in diesen rechtlichen Graubereich treibe. „Sein eigentliches Ziel weist er wieder einmal der Justiz zu, die dann ‚plötzlich und unerwartet‘ eine andere Entscheidung fällt.“ Dieses Vorgehen sei unverantwortlich, aber keineswegs neu: „Das hatten wir schon mal – etwa bei Rx-Boni oder zuletzt beim Skonto.“ Laut Kurth tappen die Richter dann nur noch in die Falle, die die Politik ausgelegt hat: „Es handelt sich nicht um eine Fehlleistung der Justiz, sondern der Politik.“
Fraglich ist laut Kurth ohnehin, ob bei den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine derart hochwertige Arzneimittelversorgung, wie sie die Apotheker und Apothekerinnen täglich teilweise ohne Vergütung sicherstellten, für eine Kette ohne massive Verschlechterungen in der Patientenversorgung überhaupt machbar wäre.
Sein Appell lautet daher: „Es ist daher an der Zeit, den Protest breiter aufzustellen und klarzustellen, dass weitaus mehr auf dem Spiel steht. Die Krankenkassen stehen vor großen Herausforderungen, da erscheint es geradezu absurd, das jetzige hochqualifizierte System gegen ein schlechteres und teureres tauschen zu wollen.“
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