Neue EU-Richtlinie

Antimykotika & Co: Bald nur noch auf Rezept? Hanna Meiertöns, 16.06.2023 10:30 Uhr

In Zukunft könnten Patient:innen in der EU Cremes zur Fußpilz-Behandlung nur noch auf Rezept erhalten. Foto: pedalist/shutterstock.com
Berlin - 

Bislang können Kund:innen bei Lippenherpes, Haut-, Nagelpilzerkrankungen & Co. auch ohne Rezept in die Apotheke kommen. Nach einer entsprechenden Beratung erhalten sie ein passendes Arzneimittel, der Gang zum Arzt ist in den meisten Fällen nicht notwendig. Sollte ein Vorschlag der EU-Kommission allerdings umgesetzt werden, wäre das zukünftig anders.

Ende April hat die EU-Kommission Vorschläge für eine neue Richtlinie und eine neue Verordnung für das EU-Arzneimittelrecht vorgelegt. Neben der Innovationsförderung vor allem bei der Erforschung neuer Antibiotika ist auch die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen darin ein großes Thema – laut der neuen Richtlinie sollen daher alle Arzneimittel „mit direkter Wirkung auf Mikroorganismen, die zur Behandlung oder Vorbeugung von Infektionen oder Infektionskrankheiten verwendet werden, einschließlich Antibiotika, Virostatika und Antimykotika“ in die Verschreibungspflicht aufgenommen werden.

Durch solch eine Anpassung würden in Deutschland aktuell apothekenpflichtige Antimykotika und antivirale Arzneimittel für die Behandlung von beispielsweise Lippenherpes, Nagel- und Fußpilz nur noch nach einem Arztbesuch für Patient:innen zugänglich sein. Sogar Desinfektionsmittel wären betroffen.

Weitreichende Auswirkungen

Das hätte nicht nur Folgen für den OTC-Markt, auch die Auswirkungen auf Krankenkassen, Arztpraxen und Patient:innen wären wohl weitreichend:

  • Mehrbelastung der Arztpraxen und längere Wartezeiten durch höheres Patientenaufkommen
  • Therapieverzögerungen oder -versäumnisse durch Mehraufwand für Patient:innen
  • ggf. Gefährdung der Therapiesicherheit durch Zuwendung zu Teleärzt:innen und Online-Handel
  • Mehrbelastung der Krankenkassen durch Behandlungs- und Erstattungskosten
  • geringeres Arzneimittelangebot, höheres Risiko für Lieferengpässe durch Rückzug aus dem Markt von OTC-Herstellern

„Vorgehensweise überzogen“

Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) hält „diese Vorgehensweise für überzogen, da Resistenzen bei topisch anzuwendenden Präparaten gegen Virus- und Pilzinfektionen aus dem nicht-verschreibungspflichtigen Bereich, im Gegensatz zu Antibiotika und systemisch anzuwendenden Antimykotika beziehungsweise antiviralen Arzneimitteln, nicht hinreichend untersucht sind“.

Erläutert wird die Situation am Beispiel der Arzneimittel zur Behandlung von Lippenherpes. Seit 1992 sind Aciclovir-haltige Arzneimittel zur Behandlung von Lippenherpes ohne Rezept erhältlich, seit 2005 auch Penciclovir-haltige Arzneimittel. In Deutschland handelt es sich dabei um Zwei-Gramm-Tuben, es erfolgt eine lokale Anwendung auf einem sehr begrenzten Hautareal, systemisch ist der Wirkstoff daher kaum verfügbar. An der betroffenen Stelle wird zudem lediglich eine geringe Menge des Arzneimittels aufgetragen.

„Im Übrigen werden dabei am Wirkort Konzentrationen des antiviralen Wirkstoffs erreicht, die eine vollständige Eradikation der Lippenherpes-Viren ermöglicht und die Entwicklung von Resistenzen zuverlässig ausschließt“, so die Einschätzung des BAH. Man kenne keine Berichte über oder Hinweise auf resistente Lippenherpes-Virenstämme. Daher halte man eine Verschreibungspflicht weder für notwendig noch für angemessen. Gleiches gelte im Grundsatz auch für topisch angewandte Arzneimittel gegen Haut-, Fuß- und Nagelpilz- sowie Vaginal-Infektionen, so der BAH.

„Keine Resistenzentwicklung zu erwarten“

Aufgrund der vorliegenden Erfahrungen sei bei topischen Arzneimitteln zur Behandlung von Pilzinfektionen oder Virusinfektionen in den genannten Anwendungsgebieten keine Entwicklung von Resistenzen zu erwarten, ebenso bei Desinfektionsmitteln und Antiseptika wie Alkoholen und Povidon-Jod. „Die hygienische Händedesinfektion ist die wirksamste und unkomplizierteste Einzelmaßnahme zur Infektionsprävention“, so der BAH weiter. Eine Verschreibungspflicht würden den Zugang stark verkomplizieren.

Ein konkreter Änderungsvorschlag für den Entwurf vom BAH, der APOTHEKE ADHOC vorliegt, lautet daher: Es sollten lediglich „Antibiotika, mit Ausnahme von Desinfektionsmitteln und Antiseptika zur äußeren Anwendung“ EU-weit in die Verschreibungspflicht aufgenommen werden.