Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich die Lage entspannt – die Lieferengpässe bestimmen aber weiterhin den Versorgungsalltag der Apotheken und Praxen, wie Apothekerverband und Kassenärztliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam betonen. Antibiotika könnten in Zukunft intravenös verabreicht werden müssen, um die Lieferengpässe aufzufangen, berichtet ein Kinderarzt.
„Bei jedem zweiten Patienten, der in die Apotheke kommt, besteht Klärungsbedarf in Bezug auf die Abgabe des vom Arzt verordneten Medikaments, in 10 Prozent der Fälle ist das verordnete Arzneimittel nicht verfügbar und es muss nach einer Alternative gesucht werden“, so Axel Pudimat, Vorsitzender des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern und Apotheker in Rostock Lütten-Klein.
Das bedeute erheblichen zusätzlichen Aufwand und eine Verunsicherung der Patient:innen. Bis das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) in Kraft tritt, muss auch noch mehrfach die gesetzlich vorgeschriebene Zuzahlung geleistet werden, wenn nur kleine Packungsgrößen lieferbar sind. „Ein echtes Ärgernis für alle Beteiligten“, so Pudimat. Er könne es verstehen, wenn sich die Patient:innen dann in den Apotheken beschwerten und ihren Unmut äußerten.
„Die Situation spitzt sich langsam zu“, so Kinderarzt Dr. Frank Kirchhoff aus Rostock über die Umstände in den Haus- und Kinderarztpraxen. Mittelohr- oder Mandelentzündungen, Scharlach und weitere Infektionskrankheiten seien in seiner Praxis seit Monaten an der Tagesordnung und bedürfen Antibiotika zur Behandlung. „Die sind aber gerade für Kinder gegenwärtig schwer verfügbar. Zunächst gingen die Antibiotika der Standardtherapie, wie Penicillin- und Amoxicillin-Tabletten aus, dann auch die entsprechenden Säfte für Kinder. Wenn das erste Antibiotikum der Wahl nicht vorrätig ist, greifen wir auf Alternativen zurück. Aber selbst bei diesen Alternativtherapien, die in unseren Leitlinien vorgesehen sind, geraten wir bisweilen schon an die Grenzen und müssen gegebenenfalls erhöhte Nebenwirkungen in Kauf nehmen“, so Kirchhoff.
Und selbst dann müssten Eltern mit fiebernden Kindern oft mehrere Apotheken aufsuchen und weite Wege zurücklegen, um überhaupt noch an das Präparat zu gelangen. „Ich kann nicht ausschließen, dass Kinder ins Krankenhaus eingewiesen werden müssen, um dort ein Antibiotikum intravenös zu erhalten, wenn sich die Lage so weiterentwickelt“, so der Kinderarzt.
Apotheken und Praxen fürchten zudem Retaxationen und Regresse, da in der derzeitigen Mangellage eine wirtschaftliche Verordnung oft nicht möglich sei, wenn man die Patient:innen überhaupt versorgen wolle. Der zusätzliche zeitliche Aufwand werde auch nicht vergütet.
„Die Folgen der Kostendämpfungspolitik der letzten Jahrzehnte wird auf dem Rücken und vor allem zu Lasten der Patienten ausgetragen“, so die KV-Vorstandsvorsitzende Angelika von Schütz. Wieder einmal treffe es vor allem die Kinder und ihre Eltern, nachdem zuletzt schon die Fiebersäfte knapp waren. Darüber hinaus würden die Suche nach Alternativtherapien, das Wiedervorstellen der Patienten sowie erforderliche telefonische Rücksprachen mit den Apotheken viel Zeit in den Praxen kosten, die dann für die Versorgung fehle, so von Schütz.
Bis das ALBVVG in Kraft tritt und die darin beschlossenen Maßnahmen ihre Wirkung zeigen, wird es noch dauern. „Festbeträge und das Rabattvertragssystem haben die Erstattungspreise für viele Standardpräparate in den letzten Jahren so stark gedrückt, dass immer mehr Hersteller aus dem deutschen Markt ausgestiegen sind. Diese Preispolitik rächt sich jetzt und die Folgen lassen sich eben nicht von heute auf morgen beheben“, so Pudimat.
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