Die Verhandlungen der Arbeitsgruppe Gesundheit von SPD, Grünen und FDP waren vertraulich, aber auch die Ergebnisse waren bislang nicht bekannt. Jetzt liegt das sechsseitige Arbeitspapier vor. Es enthält auch Pläne für eine große Apothekenreform. Es geht um eine Liberalisierung und eine Novellierung des Apothekenstärkungsgesetzes (VOASG).
„Wir wollen einen Aufbruch in eine moderne sektorenübergreifende Gesundheits- und Pflegepolitik und ziehen Lehren aus der Pandemie, die uns die Verletzlichkeit unseres Gesundheitswesens vor Augen geführt hat“, heißt es in dem Papier, das APOTHEKE ADHOC vorliegt. „Alle Menschen in Deutschland sollen gut versorgt und gepflegt werden – in der Stadt und auf dem Land. Wir sorgen für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung und eine menschliche und qualitativ hochwertige Medizin und Pflege. Wir verbessern die Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe und Pflegekräfte. Wir ermöglichen Innovationen und treiben die Digitalisierung voran. Grundlage für all dies ist eine auf lange Sicht stabile Finanzierung des Gesundheitswesens und der Pflege.“
Auf Seite 4 folgt der Passus zu Apotheken mit mehreren Ankündigungen:
Auch die ärztliche Versorgung auf dem Land soll verbessert werden. „Wir stellen gemeinsam mit den KVen die Versorgung in unterversorgten Regionen sicher. Wir heben die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich auf. Die Gründung von kommunal getragenen Medizinischen Versorgungszentren und deren Zweigpraxen erleichtern wir und bauen bürokratische Hürden ab. Entscheidungen des Zulassungsausschusses müssen künftig durch die zuständige Landesbehörde bestätigt werden.“
Cannabis soll zu Genusszwecken freigegeben werden, die kontrollierte Abgabe soll in „lizenzierten Geschäften“ stattfinden. „Dadurch wird die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet. Das Gesetz evaluieren wir nach vier Jahren auf gesellschaftliche Auswirkungen.“ Auch Modelle zum Drugchecking und Maßnahmen der Schadensminderung sollen ermöglicht und ausgebaut werden. „Bei der Alkohol- und Nikotinprävention setzen wir auf verstärkte Aufklärung mit besonderem Fokus auf Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen. Wir verschärfen die Regelungen für Marketing und Sponsoring bei Alkohol, Nikotin und Cannabis. Wir messen Regelungen immer wieder an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und richten daran Maßnahmen zum Gesundheitsschutz aus.“
Außerdem will die Ampel das Problem der Lieferengpässe angehen: „Wir stellen die Versorgung mit innovativen Arzneimitteln und Impfstoffen sicher. Die Engpässe in der Versorgung bekämpfen wir entschieden. Wir ergreifen Maßnahmen, um die Herstellung von Arzneimitteln inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion nach Deutschland oder in die EU zurück zu verlagern. Dazu gehören der Abbau von Bürokratiepflichten, die Prüfung von Investitionsbezuschussungen für Produktionsstätten, sowie die Prüfung von Zuschüssen zur Gewährung der Versorgungssicherheit.“ Um Interessenkonflikte zu vermeiden, soll mehr Transparenz über finanzielle Zuwendungen an Leistungs- und Hilfsmittelerbringer geschaffen werden.
Der Herstellerrabatt für patentgeschützte Arzneimittel soll wieder auf 16 Prozent angehoben werden, die Regelungen zum Preismoratorium sollen beibehalten werden. Die Mehrwertsteuer auf Arzneimitteln soll auf 7 Prozent abgesenkt werden. Das AMNOG wird weiter entwickelt: „Wir stärken die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Begrenzung der Arzneimittelpreise. Der verhandelte Erstattungspreis gilt ab dem 7. Monat nach Markteintritt.“
Für Krisenzeiten soll vorgesorgt werden: „Mit einem Gesundheitssicherstellungsgesetz stellen wir insbesondere die effiziente und dezentrale Bevorratung von Arzneimittel- und Medizinprodukten sowie regelmäßige Ernstfallübungen für das Personal für Gesundheitskrisen sicher.“
Versprochen wird ein Ausbau der Digitalisierung im Gesundheitswesen: „Wir ermöglichen regelhaft telemedizinische Leistungen inklusive Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen sowie Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und die telenotärztliche Versorgung. Wir beschleunigen die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und deren nutzenbringende Anwendung und binden beschleunigt sämtliche Akteure an die Telematikinfrastruktur an. Alle Versicherten bekommen DSGVO-konform eine ePA zur Verfügung gestellt; ihre Nutzung ist freiwillig (opt-out). Die Gematik bauen wir zu einer digitalen Gesundheitsagentur aus.“
Auch Bürokratieabbau hat sich die Ampel auf die Fahne geschrieben: „Wir durchforsten das SGB V und weitere Normen nach auch durch technischen Fortschritt überholten Dokumentationspflichten. Durch ein Bürokratieabbaupaket bauen wir Hürden für eine gute Versorgung der Patienten ab. Die Belastungen durch Bürokratie und Berichtspflichten jenseits gesetzlicher Regelungen werden kenntlich gemacht. Wir verstetigen die Verfahrenserleichterungen, die sich in der Pandemie bewährt haben. Sprachmittlung auch mit Hilfe digitaler Anwendungen wird im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung Bestandteil des SGB V.“ Für Kinder und Jugendliche in der PKV soll zukünftig das Prinzip der Direktabrechnung gelten.
Deutlich mehr Leistungen sollen ambulant statt stationär erbracht werden. Dazu soll zügig für geeignete Leistungen eine sektorengleiche Vergütung durch sogenannte Hybrid-DRG eingeführt werden. „Durch den Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren stellen wir eine wohnortnahe, bedarfsgerechte, ambulante und kurzstationäre Versorgung sicher und fördern diese durch spezifische Vergütungsstrukturen. Zudem erhöhen wir die Attraktivität von bevölkerungsbezogenen Versorgungsverträgen (Gesundheitsregionen) und weiten den gesetzlichen Spielraum für Verträge zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern aus, um innovative Versorgungsformen zu stärken.“ In besonders benachteiligten Kommunen und Stadtteilen sollen niedrigschwellige Angebote wie Gesundheitskioske für Behandlung und Prävention eingerichtet werden.
Geschlechtsbezogene Unterschiede sollen stärker berücksichtigt werden, Gendermedizin soll Teil des Medizinstudiums sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe werden. Die paritätische Beteiligung von Frauen in den Führungsgremien der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen sowie ihrer Spitzenverbände auf Bundesebene sowie der Krankenkassen soll gestärkt werden.
Großen Raum nimmt das Thema Pflege ein. „Der Dramatik der Situation in der Pflege begegnen wir mit Maßnahmen, die schnell und spürbar die Arbeitsbedingungen verbessern.“ Hier ist nach den gescheiterten Pflegekammern ein neuer Anlauf geplant: „Mit einer bundesweiten Befragung aller professionell Pflegenden wollen wir Erkenntnisse darüber erlangen, wie die Selbstverwaltung der Pflege in Zukunft organisiert werden kann.“
Das Pflegegeld soll dynamisiert werden. Leistungen wie die Kurzzeit- und Verhinderungspflege sollen in einem „unbürokratischen, transparenten und flexiblen Entlastungsbudget mit Nachweispflicht“ zusammengefasst werden, um die häusliche Pflege zu stärken und auch Familien von Kindern mit Behinderung einzubeziehen. Bei der intensivmedizinischen Versorgung soll die freie Wahl des Wohnorts erhalten bleiben. Schmerzmittel im Betäubungsmittelgesetz sollen für Gesundheitsberufe delegationsfähig werden. „Wir bringen ein Modellprojekt zum Direktzugang für therapeutische Berufe auf den Weg.“
Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) soll gestärkt werden, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) in einem Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit aufgehen, die Unabhängige Patientenberatung (UPD) in eine „dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen“ überführt werden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) soll reformiert werden, um Entscheidungen der Selbstverwaltung zu beschleunigen und die Patientenvertretung zu stärken. Der Pflege und anderen Gesundheitsberufen sollen weitere Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt werden, sobald sie betroffen sind. Der Innovationsfonds wird verstetigt. „Für erfolgreiche geförderte Projekte, wie die der Patientenlotsen werden wir einen Pfad vorgeben, wie diese in die Rege Iversorg ung überführt werden können.“
Die Notfallversorgung soll in integrierten Notfallzentren in enger Zusammenarbeit zwischen KVen und Krankenhäusern erfolgen. „Wir räumen den KVen die Option ein, die ambulante Notfallversorgung dort selbst sicherzustellen oder diese Verantwortung in Absprache mit dem Land ganz oder teilweise auf die Betreiber zu übertragen.“ Überhaupt will sich die Ampel mit dem Block Klinikfinanzierung und -planung beschäftigen.
Das Präventionsgesetz soll weiterentwickelt werden. Krankenkassen sollen die Möglichkeit erhalten, ihren Versicherten auch monetäre Boni für die Teilnahme an Präventionsprogrammen zu gewähren. Geplant ist außerdem eine bundesweite Aufklärungskampagne zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen. Fehlanreize im Zusammenhang mit natürlicher Geburt und Kaiserschnitt sollen beseitigt werden, Hebammen gestärkt werden. „Bei Behandlungsfehlern stärken wir die Stellung der Patienten im bestehenden Haftungssystem. Ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen wird eingeführt.“
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