Umfrage

AfD überholt SPD dpa, 19.02.2018 18:33 Uhr

Nach Widerstand der SPD-Basis führt Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz die Partei kommissarisch. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Die SPD startet ihr in Europa mit Spannung erwartetes Votum über den Eintritt in eine erneute große Koalition. Während die Mitglieder am Küchentisch über ein Ja oder Nein grübeln, platzt die nächste Hiobsbotschaft herein. Die AfD sieht einen „historischen Tag“.

Die rechtspopulistische AfD hat in einer Umfrage erstmals die SPD bundesweit überholt. In der neuen INSA-Umfrage für die Bild-Zeitung landen die Sozialdemokraten nach dem Chaos der letzten Wochen bei nur noch 15,5 Prozent (minus 1,5), die AfD liegt knapp vor der SPD mit 16 Prozent (plus 1). Die Union kann etwas zulegen auf 32 Prozent (+2) und ist damit mehr als doppelt so stark wie die SPD. Die FDP landet bei 9 Prozent (-1,5), die Linke bei 11 Prozent (-0,5), die Grünen kommen unverändert auf 13 Prozent. Damit reicht es in der Umfrage auch nicht mehr für eine große Koalition.

Alice Weidel reagierte euphorisch. „Wir sind Volkspartei!“, schrieb sie AfD-Fraktionschefin im Nachrichtendienst Twitter. „Wir sind zweitstärkste Kraft in Deutschland!“ Die Partei sprach von einem historischen Tag. Parteichef Jörg Meuthen kommentierte auf seiner Facebook-Seite, Union und SPD seien zumindest in dieser Umfrage mit 47,5 Prozent weit von einer Mehrheit entfernt. Wer Milliarden für Flüchtlinge ausgebe, statt für das eigene Volk, „braucht sich über solche Werte nicht zu wundern“.

Für die SPD ist es ein weiterer Nackenschlag, trotz des Rückzugs von Martin Schulz und dem Neustart mit Andrea Nahles sackt sie weiter ab. Im ARD-„Deutschlandtrend“ lag die SPD zuletzt mit 16 Prozent noch knapp vor der AfD (15 Prozent).

Die SPD stimmt derzeit über den zunächst nicht gewollten Gang in eine erneute große Koalition ab, die rund 463.000 Mitglieder sind aufgerufen, bis 2. März ihre Abstimmungsbriefe zurückzuschicken.

Viele Mitglieder warnten angesichts der schlechten Umfragen bei Basiskonferenzen zuletzt vor Neuwahlen – daher könnte die Angst vor einem Überrunden durch die AfD sogar die Zustimmung zur großen Koalition erhöhen. SPD-Chef Martin Schulz, der die Partei mit einem Schlingerkurs verprellt hatte, war nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen zurückgetreten. Mit ihm als Kanzlerkandidat war die SPD bei der Bundestagswahl auf 20,5 Prozent abgestürzt.

Schulz wollte nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen aber zumindest Außenminister werden – obwohl er nach der Wahl ausgeschlossen hatte, in ein Kabinett von Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel einzutreten. Nach Protest der Basis erklärte Schulz auch den Verzicht auf den Ministerposten. Er sollte zunächst bis nach dem Mitgliederentscheid Parteichef bleiben. Aber nach den Schulz-Turbulenzen wollte die designierte Nachfolgerin, Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles, vergangene Woche sofort das Amt kommissarisch übernehmen. Auch dieser Plan scheiterte am Widerstand der Basis.

Denn Nahles gehört gar nicht dem Vorstand an, und dies hätte wie eine Vorentscheidung noch vor dem Parteitag ausgesehen. Daher führt bis zum Sonderparteitag am 22. April in Wiesbaden der dienstälteste Vizechef, Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, die Partei interimsweise. Es gibt mehrere Gegenkandidaten für Nahles.

Eine ist die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange. Sie kritisiert, dass der SPD neue Ideen fehlen und Nahles bei ihrer Werbekampagne für das GroKo-Votum an der Basis den gemeinsamen Auftritt mit Koalitionsgegnern wie Juso-Chef Kevin Kühnert scheue.

Mit dem Versand hunderttausender Wahlunterlagen startete die SPD in die heiße Phase ihres Mitgliederentscheids über eine erneute große Koalition mit CDU und CSU. Die SPD-Spitze um Nahles rechnet nach den Erfahrungen bei den ersten Basiskonferenzen mit einer mehrheitlichen Zustimmung. Es wird aber ein enges Rennen erwartet. Nur wenn die SPD-Basis mehrheitlich dem 177-seitigen Koalitionsvertrag zustimmt, kann sich Merkel bis Mitte März erneut zur Kanzlerin wählen lassen. Bei einem Nein könnte sie eine Regierung ohne Bundestagsmehrheit versuchen, wahrscheinlich wären Neuwahlen.

Juso-Chef Kühnert sagte der Süddeutschen Zeitung, der nächste Wahlkampf müsse „ein klarer Lagerwahlkampf sein“. Klare Alternativen ermöglichten Wählern klare Entscheidungen. In dieser Koalition sei es kaum möglich, Unterschiede herauszustreichen. Bei vielen Mitgliedern gebe es ein Gefühl der Demütigung. Für sie sei es nicht akzeptabel, „mit unserem wichtigsten Konkurrenten, der Union, jahrelang in einer Koalition verhaftet zu sein, noch dazu als Juniorpartner“.

Zwar wollen Union und SPD rund 46 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben und versprechen Verbesserungen etwa bei Rente, Jobbefristungen, Pflege, Wohnungsbau, Internet, Schulen und im Gesundheitssystem – aber viele Sozialdemokraten sehen ein „Weiter so“ mit Merkel, statt echten Politikwechsel, zum Beispiel mit klaren Maßnahmen gegen das Auseinanderdriften der Vermögen und der Gesellschaft in Deutschland.

CDU-Vizechefin Julia Klöckner rügte das Votum. „Wir haben mehr als 60 Millionen Wahlberechtigte.“ Dass die SPD-Mitglieder das letzte Wort hätten, werfe die Frage auf, „ob wir es mit einem Wahlrecht erster und zweiter Klasse zu tun haben“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das sei ein „Wegdelegieren“ von Verantwortung.