Der Deutsche Ärztetag fordert ein Dispensierrecht im Notdienst. Außerdem wird eine stärkere Einbindung der Berufsvertretungen bei gesundheitspolitischen Vorhaben gewünscht. Gegen Lieferengpässe soll ein Notfallvorrat helfen, die Cannabis-Legalisierung wird abgelehnt.
Die Reform der Akut- und Notfallversorgung sei überfällig, das künftige System müsse „stimmige, patientenorientierte und durch Ärztinnen und Ärzte koordinierte verbindliche Versorgungspfade vorgeben“. Daher sei es richtig, dass nach den Empfehlungen der Regierungskommission im Wesentlichen auf die Vernetzung der prinzipiell funktionierenden und praxistauglichen Strukturen gesetzt werden solle. „Die Schaffung von neuen Versorgungsbereichen oder Doppelstrukturen wäre hingegen kontraproduktiv.“
Unabdingbar seien dabei die Einbeziehung des Rettungsdienstes und eine effektive IT-Vernetzung aller Akteure mit definierten Schnittstellen und Datensätzen. „Notwendig ist auch die Bereitschaft zu neuen Wegen in der Versorgung, etwa durch die verstärkte Nutzung von telemedizinischen Ansätzen und ein ärztliches Dispensierrecht im ärztlichen Bereitschaftsdienst.“
In einem zweiten Antrag heißt es: „Der Verweis des Patienten auf eine Apotheke im Bereitschaftsdienst wird nicht zwingend weiterhelfen, schon gar nicht in Zeiten einer Arzneimittelknappheit. Eine direkte medikamentöse Behandlung von Patientinnen und Patienten ist ganz im Sinne einer schnellen und zielgerichteten Notfallversorgung.“ Daher werde ein entsprechender Antrag aus dem Jahr 2021 erneuert: „Denn über die Zusage einer Prüfung hinaus durch den Gesundheitsminister ist bislang nichts geschehen.“
Ein weiterer Antrag, der allerdings nicht beschlossen wurde, geht noch weiter, hier wird das Bundesgesundheitsministerium (BMG) aufgefordert, „den rechtlichen Rahmen dafür zu schaffen, dass Ärztinnen und Ärzte originalverpackte Medikamente vor Ende des Verwendbarkeitsdatums von Patientinnen und Patienten zurücknehmen dürfen, wenn diese Medikamente nicht mehr gebraucht oder nicht vertragen werden“. Ziel ist die Vermeidung von Müll: „Ärztinnen und Ärzte sollten die Berechtigung erhalten, diese unentgeltlich an andere Patientinnen und Patienten weitergeben zu können. So kann die Erprobung von Wirksamkeit, Verträglichkeit und Akzeptanz einer neu zu verordnenden Medikation gegebenenfalls klimaneutral erfolgen.“
Zur Begründung heißt es: „Trotz eines klugen Verordnungsverhaltens gibt es Medikamente, die von den Patientinnen und Patienten, denen sie verordnet wurden, nicht mehr verwendet werden.“ Aktuell sei es Ärztinnen und Ärzten verboten, originalverpackte, haltbare Medikamente von Patientinnen und Patienten zurückzunehmen, auch wenn diese Medikamente nicht mehr gebraucht oder vertragen würden. Stattdessen müssten diese Medikamente im Hausmüll entsorgt werden. „Dieser Umgang mit Medikamenten bedeutet Verschwendung von Ressourcen und unnötige Müllproduktion. Dies ist angesichts der eskalierenden Klima- und Umweltkrise unverantwortlich. Ein weiteres Argument für eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen ist die bestehende Medikamentenknappheit. Hierbei geht es um eine Rücknahmemöglichkeit und nicht um eine Rücknahmepflicht.“
Bei Gesetzesvorhaben – und zwar über alle Ressorts wegen – wollen die Ärzte künftig stärker eingebunden werden: „Deutschland braucht eine ganzheitliche und nachhaltig ausgerichtete Gesundheitspolitik, in deren konzeptionelle Ausgestaltung der medizinisch-fachliche Sachverstand und das Versorgungswissen der Ärzteschaft einbezogen werden müssen. Nur die Partizipation der Akteure aus der Versorgung ermöglicht praxistaugliche und planvolle Lösungen für die Herausforderungen unserer Zeit. Die Ärzteschaft ist bereit, hierfür Verantwortung zu übernehmen.“
Auch die Selbstverwaltung soll gestärkt werden: „Die Politik soll sich darauf beschränken, Rahmenvorgaben zu machen. Starre Fristen und detaillierte Vorgaben verhindern, dass die Selbstverwaltung ihrem Auftrag zur Gestaltung von Versorgung nachkommen kann.“ Entscheidungen, die nicht zwingend auf Bundesebene getroffen werden müssten, sollten an der lokalen Versorgung auf Länderebene ausgerichtet werden können. Und: „Die Dauerblockade des GKV-Spitzenverbandes (Forderung der Nullrunde für Vertragsärzte seit Jahren) muss beendet werden, um die Patientenversorgung und nicht die Beitragsstabilität wieder in den Vordergrund zu rücken.“
Im Zusammenhang mit den Lieferengpässe bei zahlreichen Medikamenten soll es keine Regresse für „unwirtschaftliche“ Verordnungen geben. Der Mangel dürfe nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden. „Dies wäre aber dann der Fall, wenn Ärztinnen und Ärzte Regresse drohen, wie bereits einzelnen Kostenträgern avisiert. Hier ist schnelles Handeln angezeigt. Denn schon die Befassung von Ärztinnen und Ärzten mit Regressvorwürfen, selbst wenn sie sich am Ende als haltlos erweisen sollten, kostet ‚Arztzeit‘ und damit Behandlungszeit.“
In diesem Zusammenhang wird die Schaffung einer „Übersicht der meistverordneten, relevanten Wirkstoffe in der Akut- und Notfallversorgung“ angeregt. Die Möglichkeit zum Austausch von diesen Präparaten ohne Rückfrage beim Verordner könnte den Prozess für alle Beteiligten erleichtern. Problematisch sei nämlich im Zusammenhang mit den Engpässen im Notdienst der erhöhte Rückfragebedarf zwischen dem oder der abgebenden Apotheker oder Apothekerin und dem oder der verordnenden Arzt oder Ärztin. „Ebenso führt dies zu einer Verunsicherung und unnötigen Belastung der Patientinnen und Patienten.“
Außerdem fordert der Ärztetag eine Meldepflicht für die Hersteller und eine „nationale Arzneimittelreserve“. Die Bundesregierung müsse Medikamente einlagern, die für die Versorgung von Patienten besonders wichtig seien, heißt es in dem Beschluss, den die 250 Delegierten am Mittwoch in Essen verabschiedeten. Außerdem müssten weitere Medikamentengruppen wie Onkologika, Analgetika, Kardiologika und Psychopharmaka bei der aktuellen Gesetzgebung berücksichtigt werden. Zur Gegenfinanzierung könnten Einsparungen bei den patentgeschützten Arzneimitteln erwogen werden.
Zusätzlich sollte die Haltbarkeit von bereits zugelassenen und in Zulassung befindlichen Fertigarzneimitteln überprüft und wo möglich verlängert werden. Ein Antrag, die Rabattverträge als Belastung auch wegen der Belastung von Praxen und Apotheken abzuschaffen, wurde an den Vorstand verwiesen.
Die Maßnahmen, mit denen die Ampel-Koalition bislang darauf reagiere, seien nicht ausreichend, kritisierte der Ärztetag. Neben einer nationalen Arzneimittelreserve müsse die Politik auch Anreize schaffen, damit wieder mehr Medikamente in Deutschland produziert würden. Pharmaunternehmen sollten außerdem verpflichtet werden, drohende Lieferengpässe frühzeitig zu melden.
Mit Blick auf E-Rezept & Co. fordern die Delegierten vom BMG eine breit angelegte Kampagne unter Leitung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Ziel sei es, die Bevölkerung besser über die Digitalisierungspläne zu informieren.
Um den Nachwuchs zu sichern, sollen bundesweit 6000 zusätzliche Medizinstudienplätze an staatlichen Hochschulen geschaffen werden. „In einer Gesellschaft des langen Lebens mit steigendem Versorgungsbedarf ist es nicht hinnehmbar, dass die Zahl der Medizinstudienplätze heute um mehrere Tausend geringer ist als noch nach der Wiedervereinigung.“ Für das Praktische Jahr (PJ) werden „angemessene Rahmenbedingungen“ gefordert, insbesondere in Form einer verpflichtenden Aufwandsentschädigung und einer angepassten Fehlzeitenregelung. Generell müsse konsequent auf bessere, vor allem familienfreundlichere Arbeitsbedingungen gesetzt werden. „Die Berufszufriedenheit der Ärztinnen und Ärzte ist grundlegende Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige und patientenorientierte Versorgung in Kliniken und Praxen.“
Der Ärztetag ist die Hauptversammlung der Bundesärztekammer (BÄK), die die Interessen von 550.000 Ärztinnen und Ärzte vertritt.
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