Die zentrale Frage der diesjährigen Honorarverhandlungen für die 150.000 niedergelassenen Kassenärzte ist: Wie kommt man innerhalb von rund acht Verhandlungsstunden von einer Fünf-Milliarden-Forderung auf ein 800-Millionen-Ergebnis? Der NAV-Virchow-Bund kritisiert das Ergebnis.
Der Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Roland Stahl, argumentiert, man sei nicht so blauäugig gewesen, dieses Gesamtvolumen „auf einen Schlag“ durchsetzen zu können. Es sei um einen Einstieg in feste Preise gegangen. Dies sei durch eine Förderung der haus- und fachärztlichen Grundversorgung erreicht worden. Dies werde in den nächsten Jahren weiter entwickelt.
Doch das erklärt noch nicht, weshalb KBV-Chef Dr. Andreas Gassen mit einer solch hohen Forderung in die Verhandlungen eingestiegen ist – auch wenn man zugesteht, dass es seine ersten als Verhandlungsführer waren. Ein Erklärungsversuch ist, dass er der Ärzteschaft signalisieren wollte, er sehe den hohen Grad an Unterfinanzierung. Aber letztlich sei nicht mehr rauszuholen gewesen.
Die Erfahrungen seines Vorgängers Dr. Andreas Köhler aus den Jahren 2013 und vor allem 2012 hätten Gassen aber sagen müssen, dass derartige Forderungen nicht durchzuhalten sind. 2012 verlangten die Ärzte „nur“ 3,5 Milliarden Euro mehr und lösten heftigste Auseinandersetzungen mit den Kassen aus, bis hin zu Drohungen einzelner Ärzte, vorübergehend ihre Praxen zu schließen. Als damals der Rauch verzogen war, kamen immerhin bis zu 1,25 Milliarden heraus.
Beobachter fragen sich, ob Gassen das Risiko eines nachhaltigen Imageschadens als Verhandler nicht erkannt hat, wenn er bei einer Maximalforderung von 5 Milliarden nicht mindestens mit einer 2 vor dem Komma abschließt. Die Ärzteschaft dürfte sich jedenfalls schwertun, das Ergebnis zu schlucken. Da wird es Gassen wohl auch nicht nützen, dass es seit langem mal wieder gelungen ist, ohne Schiedsspruch auszukommen.
Grundsätzlich, so heißt es, habe den Verhandlungen jener Druck gefehlt, der 2012 aufgebaut werden konnte. Das werde auch dadurch bestätigt, dass die KBV bereits nach zwei Verhandlungsrunden mit insgesamt rund acht Gesprächsstunden zu schlechten Konditionen abgeschlossen habe.
Der Vorsitzender des Verbandes der niedergelassenen Ärzte Deutschlands, NAV-Virchow-Bund, Dr. Dirk Heinrich, verlangte Konsequenzen bei der Honorarpolitik. „Keines der von der KBV gesteckten Ziele ist erreicht worden“, erklärte er. Ein Ende der Budgetierung sei nicht in Sicht und die Angleichung des Orientierungspunktwertes gleiche nicht einmal die Inflationsrate aus. Der NAV-Virchow-Bund will den Widerstand der Praxisärzte organisieren, um grundlegende Veränderungen in der Honorarpolitik zu erzwingen. „So wie die Verhandlungen in diesem Jahr gelaufen sind, kann es nicht weitergehen.“
„Für uns ist eines klar“, meint Heinrich weiter: „Die Institution KBV braucht bei ihrer Honorarpolitik jetzt starke Verbände an ihrer Seite, um die notwendigen Veränderungen einzuleiten.“ Mit den Vorbereitungen solle dieses Jahr noch begonnen werden. Das könnte für Gassen durchaus bedrohlich werden.
Da klingt es fast schon ein bisschen ironisch, wenn die Chefin des GKV-Spitzenverbandes, Dr. Doris Pfeiffer, erklärt: „Mit Blick auf die langfristige Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung ist dieses Verhandlungspaket gerade noch vertretbar.“
Vom Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz, wird eingeräumt, dass es sich bei diesen insgesamt 264 Millionen Euro für Haus- und Fachärzte um eine besondere Förderung handele. Doch das sei kein Muster für die Zukunft. Für die Krankenkassen gelte auch künftig: Werden die Menschen kränker, gibt es mehr Geld für die Ärzte. Und „über die Zukunft wird dann nächstes Jahr verhandelt“, meinte er.
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