Eine wissenschaftliche Studie nährt Zweifel an den Selbstzahler-Untersuchungen beim Arzt. Nach einer Umfrage im Auftrag des Medizinischen Dienstes (MD) geben die Deutschen jährlich rund 2,4 Milliarden Euro für sogenannte IGeL-Angebote aus – dabei hätten diese oft keinen nachgewiesenen Nutzen, erläuterte der MD-Vorsitzende Dr. Stefan Gronemeyer. Mitunter drohten sogar folgenschwere falsch-positive Ergebnisse, die den Betroffenen schaden könnten.
Bei den Individuellen Gesundheits-Leistungen (IGeL) handelt es sich um ärztliche Untersuchungen, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden und deshalb aus eigener Tasche zu zahlen sind. Im Auftrag des Medizinischen Dienstes, dem Begutachtungsdienst der gesetzlichen Krankenkassen, hatte das Marktforschungsinstitut Forsa mehr als 2000 Patientinnen und Patienten im Alter zwischen 18 und 80 Jahren befragt, um einen Überblick über die Nutzung der Angebote zu bekommen.
Bei der Inanspruchnahme seien teils deutliche sozioökonomische Unterschiede festzustellen gewesen: In den südlichen Bundesländern (37 Prozent) werden IGeL häufiger genutzt als in westlichen (33 Prozent), nördlichen (31 Prozent) oder östlichen (26 Prozent). Ein Stadt-Land-Gefälle war hingegen nicht sichtbar.
Frauen (41 Prozent) nutzen der Befragung zufolge etwa doppelt so häufig IGeL wie Männer (22 Prozent) – mit zunehmendem Alter steigend: Ab einem Alter von 45 Jahren liegt der Anteil bei jeder zweiten Frau (50 Prozent) und etwa jedem dritten Mann (29 Prozent).
Am häufigsten genutzt werden demnach Ultraschall-Untersuchungen der Eierstöcke und der Gebärmutter zur Krebsfrüherkennung. Dabei sei der mögliche Schaden größer als der Nutzen, sagte Gronemeyer. Nach seinen Worten drohen durch unklare Ergebnisse weitere Behandlungen bis hin zu einer unnötigen Entfernung der Eierstöcke. Gleichzeitig gebe es keinen Beweis, dass das Risiko einer Krebserkrankung durch diese Untersuchung verringert werde.
Zu den gefragtesten IGeL-Angeboten gehören außerdem Augeninnendruckmessungen gegen den grünen Star (Glaukom) sowie der PSA-Bluttest zur Früherkennung von Prostatakrebs – zwei Untersuchungen, bei denen nach Einschätzung der MD-Experten das Risiko von Fehlalarmen und unnötigen Behandlungen größer sei als der medizinische Nutzen.
Gleichzeitig gab in der Befragung nur jeder vierte Versicherte an, gut über die angebotenen Leistungen informiert worden zu sein. „Besorgniserregend ist, dass die meisten Patientinnen und Patienten viel zu wenig Wissen haben, um eine informierte Entscheidung für oder gegen eine IGeL treffen zu können“, so Professor Dr. Jonas Schreyögg, Lehrstuhl für Management im Gesundheitswesen, Universität Hamburg, der die Befragung wissenschaftlich begleitet und ausgewertet hat.
Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze, bezeichnete diese Zahl als „alarmierend“. „Es ist nicht hinnehmbar, dass Patientinnen und Patienten aus Sorge um ihre Gesundheit oder aufgrund unzureichender Aufklärung erhebliche Summen für Leistungen ausgeben, die nachweislich wenig nützen oder sogar schaden können“, so Schwartze weiter. „Die Ergebnisse verdeutlichen den dringenden Handlungsbedarf. Ärztliche Praxen müssen dazu verpflichtet werden, Patientinnen und Patienten umfassend und unabhängig zu informieren. Nur so können informierte Entscheidungen getroffen und unnötige finanzielle Belastungen vermieden werden“, fordert er.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) will Ärzte dazu verpflichten, den Patienten im Beratungsgespräch neutrale, standardisierte Informationsblätter auszuhändigen. Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz fordert sogar eine verpflichtende 14-tägige Bedenkzeit: „Überrumpeln und Ängste zu schüren, sind Bestandteil dieses Geschäftsmodells.“
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann, sieht einen Zusammenhang zwischen den Selbstzahler-Leistungen und den immer längeren Wartezeiten auf einen Arzttermin: „Wenn ein Facharzt seine Zeit mit Schönheitsbehandlungen oder fragwürdigen Vorsorgeuntersuchungen ohne wissenschaftlich belegbaren Nutzen verbringt, fehlen eben Kapazitäten für die vertragsärztliche Versorgung.“
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