Ärzte wollen Revision zu Sterbehilfe-Urteil Patrick Hollstein, 04.04.2012 16:22 Uhr
Die Bundesärztekammer bewertet das Sterbehilfe-Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts nicht als Türöffner für Sterbehelfer. Sie hofft dennoch darauf, dass sich höhere Gerichtsinstanzen mit dem Fall beschäftigen: „Wir haben ein Interesse daran, dass die Abgrenzung zwischen ärztlichem Berufsrecht und Verfassungsrecht durch die Instanzen geklärt wird“, sagte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery. Dabei gehe es um die Frage, welche beruflichen Schranken sich die Ärzteschaft selbst auferlegen darf.
Das Verwaltungsgericht hatte am vergangenen Freitag in erster Instanz entschieden, dass Ärzte in besonderen Ausnahmefällen Beihilfe zur Selbsttötung eines Todkranken leisten dürfen, ohne damit gegen Berufsrecht zu verstoßen. Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht.
Das Urteil sei alles andere als ein Freibrief für Sterbehelfer, sagte Montgomery. Man sollte es nicht überinterpretieren. Es gebe in dem Richterspruch Passagen, die ein Verbot beruflicher oder organisierter Sterbehilfe für zulässig erklärten.
Die Berliner Richter hatten im Fall eines Arztes entschieden, dem im Jahr 2007 von der Berliner Ärztekammer ausnahmslos verboten worden war, Sterbewilligen todbringende Medikamente zu überlassen. Der Mediziner ist als Befürworter ärztlicher Sterbehilfe bekannt.
Dem Verwaltungsgericht ging das uneingeschränkte Verbot zu weit. Denn aus Sicht der 9. Kammer könnte es Mediziner in Gewissensnöte stürzen, wenn es um unheilbar kranke und sterbewillige Menschen geht, zu denen der Arzt eine lange, enge Beziehung hat und für die es keine andere Möglichkeit zur Leidensminderung gibt. Die Richter argumentierten mit den Grundrechten der Gewissensfreiheit der Ärzte und der Freiheit der Berufsausübung.
Der dem Deutschen Ethikrat angehörende Mannheimer Medizinrechtler Professor Dr. Jochen Taupitz hatte nach dem Richterspruch die Ansicht vertreten, das Urteil habe Ärzten, die Todgeweihten helfen wollen, einen „kleinen Türspalt“ geöffnet.
Tötung auf Verlangen steht in Deutschland gesetzlich unter Strafe, nicht jedoch Beihilfe zum Selbstmord. Leisten ärztlichem Ethos verpflichtete Mediziner Beihilfe zum Selbstmord, etwa indem sie Patienten todbringende Medikamente überlassen, müssen sie unter Umständen mit berufsrechtlichen Konsequenzen rechnen. Anders ist die Situation, wenn beispielsweise im Krankenhaus lebensverlängernde Maßnahmen eingestellt werden, weil etwa entsprechende Patientenverfügungen vorliegen.