Digitalisierung

Ärzte: Video-Praxis statt Wartezimmer dpa, 18.12.2017 12:02 Uhr

Berlin - 

So könnte die Hausarztpraxis der Zukunft aussehen: Patienten müssen nicht mehr im Wartezimmer sitzen, stattdessen stellt der Arzt per Videochat eine Diagnose und empfiehlt ein Medikament oder verordnet Bettruhe. Nur in schlimmeren oder komplizierten Fällen entscheidet der Doktor, dass der Patient in die Praxis kommen oder zu einem Spezialisten gehen soll.

In Deutschland ist das nicht erlaubt. Noch nicht, sagt Franz Bartmann, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer. Eine Expertengruppe der Kammer aus Ärzten und Juristen hat sich nach seinen Angaben dafür ausgesprochen, Diagnosen über den Bildschirm oder per Telefon künftig zumindest in Ausnahmefällen zu erlauben. Beim nächsten Deutschen Ärztetag im Mai 2018 in Erfurt wollen Ärztevertreter voraussichtlich offiziell darüber entscheiden. „Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird dies auch beschlossen werden“, sagt Bartmann.

Zurzeit dürfen Ärzte nur Folgebehandlungen per Videosprechstunde anbieten, wenn sie den Patienten bereits in ihrer Praxis behandelt haben. Sie können etwa schauen, ob eine Wunde gut heilt. „Die Änderungen im Bereich der Fernbehandlung sind wichtig, um Telemedizin in Deutschland zu stärken“, sagt Bartmann. So könnten kompetente Diagnosen aus der Ferne etwa helfen, auf dem Land trotz Ärztemangels eine gute Gesundheitsversorgung sicherzustellen, sagt Gisbert Voigt vom Vorstand der niedersächsischen Ärztekammer.

In Pilotprojekten etwa in Nordrhein-Westfalen und in Berlin hatten Pfleger aus Altenheimen den Hausarzt per Videoschalte zu den Bewohnern geholt. „So haben Ärzte und Patienten seltener lange Anfahrtswege und Wartezeiten. Das ist auch in der Stadt praktisch“, sagt Voigt. Auch Hausärzte zogen in Pilotversuchen schon per Videoschalte Spezialisten zurate.

Gesundheitsexperten der Verbraucherzentrale unterstützen den Vorstoß der Ärzte. „In Ländern wie der Schweiz und Großbritannien gehört Telemedizin bereits zur Regelversorgung“, sagt Referentin Susanne Mauersberg. „Sie ist für bestimmte Medizinfelder gleich gut wie ein direkter Kontakt zwischen Arzt und Patient.“ Mauersberg glaubt: „Videosprechstunden werden in Zukunft ein ganz normaler Bestandteil der Versorgung sein.“ Für knapp jeden zweiten Deutschen wäre es kein Problem, mit einem Arzt am Bildschirm zu sprechen, fand die Bertelsmann Stiftung 2015 heraus. Bei anderen Befragungen war die Zustimmung der Patienten allerdings niedriger.

In Deutschland bieten erst einige Hundert der knapp 379.000 zugelassenen Ärzte Videosprechstunden an, wie es von den zertifizierten Anbietern von entsprechender Software heißt. Der Hauptgrund dafür liegt aus Sicht der Ärztekammern bei den Krankenkassen, die zu wenig für Videosprechstunden bezahlen würden. Für eine Software, die Mediziner sicher mit Patienten sprechen lässt, müssen diese 30 bis 70 Euro pro Monat bezahlen. Gleichzeitig dürfen sie höchstens 800 Euro pro Jahr abrechnen und auch nur für vergleichsweise günstige Folgebehandlungen.

Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Dr. Martina Wenker, meint außerdem: „Viele ältere Kollegen bezweifeln noch den Sinn von Telemedizin.“ Jüngere Ärzte seien hingegen offener für die Technik und dafür, dass sich damit ihr Berufsbild ändere. „Für viele Landärzte wie mich ist das Internet aber noch zu schlecht, um Videosprechstunden anzubieten“, sagt Kinderarzt Voigt aus Melle in der Nähe von Osnabrück. Der Osnabrücker Hausarzt Micha Neubert ist da schon einen Schritt weiter, er bietet seit Jahresanfang eine Online-Sprechstunde an. „Ich will meinen Patienten einen Service bieten, aber zurzeit mache ich damit noch Verluste.“